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Familien, bitte warten!

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Die Steuerreform ist lei-stungs-, investitions- und arbeitsplatzfreundlich, heißt es. Für familienpolitische Akzente war da offensichtlich kein Platz mehr.

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Die Steuerreform ist lei-stungs-, investitions- und arbeitsplatzfreundlich, heißt es. Für familienpolitische Akzente war da offensichtlich kein Platz mehr.

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Eine erste Analyse der Steuerreform 1989 ist für manchen Familienvater in diesen Tagen ernüchternd. Zwar wird nach der Reform den meisten Familien netto kaum weniger in der monatlichen Haushaltskasse bleiben als bisher, so-f erne der betreffende Familienerhalter nicht gerade Richter, Journalist, nebenberuflicher Schriftsteller oder sonst eine Person ist, die bisher Werbungskostenpauschale oder halbe Steuersätze in Anspruch nehmen konnte. Auch, wer Absetzbeträge für Versicherungen, Aktien, Genußscheine, Wohnraumbeschaffung und energiesparende Maßnahmen voll ausgenützt hat, gehört zu den Verlierern der Reform. Doch über die Frage, ob man selbst zu den Verlierern oder Gewinnern gehört, sollte der familienpolitisch entscheidende Punkt der Reform nicht übersehen werden; nämlich: Am Prinzip der Individualbe-steuerung ändert sich nichts.

Auch in Zukunft wird der österreichische Fiskus einen Alleinerhalter einer sechsköpfigen Familie etwa im gleichen Ausmaß zur Kasse bitten wie den Junggesellen der gleichen Einkommenskategorie, der für niemand außer sich selbst zu sorgen hat.

Mit einer Ausnahme: Ein Al-leinverdienerabsetzbetrag von 4.000 Schilling (bisher 3.900 Schilling) und ein Kinderabsetzbetrag von 1.800 Schilling (bisher 600 Schilling) jährlich sollen den Eindruck erwecken, daß das Menschenmöglichste getan worden sei, um die Familien im Rahmen dieser Steuerreform nicht völlig leer ausgehen zu lassen. Dazu kommen noch 2.500 Schilling pro Kind und Jahr, die für Versicherungen, Wohnraumbeschaffung, Zukunftsvorsorge zusätzlich abgesetzt (allerdings auch - und zwar doppelt! — bezahlt) werden können beziehungsweise müssen.

Die letzteren 2.500 Schilling Absetzbetrag pro Jahr und Kind waren übrigens ein familienpolitischer Glücksfall: An und für sich in der Reform nicht eingeplant, standen sie als „eiserne Reserven“ bis zuletzt für den Fall zur Diskussion. daß man sich auf der Einnahmenseite auf ausreichende neue Steuereinnahmen einigt, um die bis zuletzt offene Lücke im Reformpaket zu füllen. Die zehnpro-zentige Quellensteuer, höhere Tabaksteuern, die Verzinsung der Abgabenschuld sind die Posten auf der Aktivseite der Steuerbilanz, die letztlich die Etablierung dieses zusätzlichen Kinder-Absetzbetrages ermöglichten.

Nun, es wäre sicher falsch, den Reformen in dieser Situation ausgesprochene Familienfeindlichkeit yorzuwerfen. Sie haben sich bemüht, wenigstens optisch mit einigen Ansätzen die Familienfeindlichkeit des österreichischen Steuersystems zu kaschieren. Daß auf die Familien überhaupt Bedacht genommen wurde, ist ein Erfolg der Verhandler auf ÖVP-Seite, die sich gegen eine unnachgiebige, von Staatssekretärin Johanna Dohnal und dem Gewerkschaftsbund vertretene Lobby durchzusetzen hatte, die am liebsten den gesamten Familienlastenausgleich über Kinderbeihilfe geregelt sehen möchten und die Weiterexistenz der Indi vidualbe-steuerung zu einem Dogma machen.

Trotzdem wird man sich in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode ernsthaft Gedanken machen müssen, wie die ungerechte Behandlung der Mehrkinderfamilie durch den Fiskus beseitigt werden kann, denn die Steuerreform 1989 schreibt familienpolitisch den Status quo fest:

Solange Eltern nicht mehr als ein, zwei Kinder haben und beide Elternteile einem Beruf nachgehen, ist die Welt materiell für die meisten Familien in Ordnung. Erst ab dem dritten Kind, oder wenn die Frau aus sonstigen Gründen beim besten Willen neben der Kindererziehung keiner beruflichen Tätigkeit nachgehen kann, trifft das Steuersystem die betreffende Familie mit voller Wucht: Statt von der individuellen Leistungsfähigkeit solcher Famüien auszugehen, erfolgt die Besteuerung - von den bescheidenen Alleinverdiener- und Kinder-absetzbeträgen abgesehen — so, als ob der Familienerhalter keine Verpflichtungen hätte.

Das Ergebnis dieses familienfeindlichen Systems ist bekannt: 40 Prozent der Mehrkinderfamilien leben unter der Armutsgrenze. Nur ein Teil von ihnen ist aufgrund von mangelnder Qualifikation, Berufschance oder aufgrund besonderer Umstände nicht in der Lage, ein ausreichendes Einkommen zu verdienen. Ein anderer Teil fällt einfach dem bestehenden Steuersystem zum Opfer.

Die „Salzburger Nachrichten“ nennen die österreichische Familienpolitik daher zu Recht „Kinderverhinderungspolitik“, da sie potentielle Eltern geradezu entmutigt, die materielle Last mehrerer Kinder auf sich zu nehmen. Der Erfolg dieser langjährigen , .Kinderverhinderungspolitik“ ist tatsächlich umwerfend: Die Geburtenzahl ist nach Berechnungen des Statistischen Zentralamtes um 25 Prozent zu gering, um auch nur die Elterngeneration durch Kinder zu ersetzen.

Die demographischen Konsequenzen sind, ohne jede Übertreibung, fürchterlich: Im Jahr 2030 wird es, warnt das Statistische Zentralamt, zwar um 50 Prozent mehr über 60jährige geben als heute, dafür aber um 40 Prozent weniger Kinder unter 15 Jahren.

Der Wirtschaftstreuhänder Josef Böck zum Beispiel ist der Auffassung, daß die progressive Einkommenbesteuerung steuersystematisch auf Dauer nicht haltbar ist: „Familien werden im heutigen Steuersystem zu Sozialfällen degradiert, nachdem man ihnen oft das ganze frei verfügbare Einkommen weggesteuert hat. Eine Steuerreform muß über Freibeträge für Kinder sicherstellen, daß Existenzminima nicht steuerlich schlechtergestellt bleiben als jene, die nichts zum Heranwachsen einer neuen Generation tun, obwohl diese letztlich auch ihre Pensionen bezahlt.“

Böck vertritt damit denselben Gedanken, den Ex-Finanzminister Wolf gang Schmitz bereits vor der Reform über sein Kummer-Institut lanciert hatte (FURCHE 1/1988).

Im Rahmen der bestehenden, auf dem Einkommen des einzelnen beruhenden Steuersystems sollten wenigstens die Existenzminima aller im Haushalt lebenden Personen von der Besteuerung befreit werden. Die Reform 1989 jedenfalls bringt die entscheidende Wende zur familienfreundlichen Steuerpolitik nicht. Dies hat auch OVP-Obmann Alois Mock erkannt, der dem Reformpaket in öffentlichen Äußerungen ursprünglich das Attribut „familienfreundlich“ angeheftet hatte. Von Praktikern auf das fast völlige Fehlen familienpolitischer Akzente hingewiesen, begnügte er sich damit, einen weiteren, und zwar familienfreundlich angelegten Steuerreformschritt für die Zukunft als notwendig zu apostrophieren.

Österreichs Mehrkinderfamilien warten mit Spannung auf die Stunde, in der aus diesen Ankündigungen Ernst wird. Doch geben wir uns keinen Illusionen hin: Unter den gegenwärtigen politischen Mehrheitsverhältnissen würde es kaum zu durchgreifenden Reformschritten kommen. Es sei denn, die bevölkerungspolitische Zeitbombe Pensionssystem detoniert mit ausreichender Brisanz. Der Zeitzünder ist längst eingestellt ...

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