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Nur eine „Beihilfe" zum Verfassungsbruch

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Was den Familien kürzlich als Kompromißfähigkeit der Regierung in Sachen Familienbesteuerung verkauft wurde, hat mit dem Auftrag der Höchstrichter nicht das geringste zu tun.

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Was den Familien kürzlich als Kompromißfähigkeit der Regierung in Sachen Familienbesteuerung verkauft wurde, hat mit dem Auftrag der Höchstrichter nicht das geringste zu tun.

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Die Koalitionspartner stellen mit dem diskutierten Kinderabsetzbetrag von 500 oder 600 Schilling pro Kind keineswegs die Gleichheit unterhaltspflichtiger und nicht unterhaltspflichtiger Steuerzahler vor dem Fiskus her, wie es die Höchstrichter gefordert hatten. Es wird, als kleinster gemeinsamer Nenner, stattdessen einfach die Kinderbeihilfe - aus Budgetmitteln und unter der Bezeichnung „Kinderabsetzbetrag" - erhöht.

Um die vom Höchstgericht postulierte „steuerliche Gleichbehandlung von Kinderlosen und Unterhaltspflichtigen gleichen Einkommens" kümmert sich in Wirklichkeit schon seit Beginn der Verhandlungen niemand mehr - mit Ausnahme von Staatssekretär Johannes Ditz, der sich bemüht, unter anderem Titel („Mehr Familienförderung ab dem dritten Kind") einen Teil des weiter existierenden Steuer-Unrechtes einzuebnen.

Warum ist ein Absetzbetrag in der doch nennenswerten Höhe von 500, 600 oder mehr Schilling pro Kind und Monat nicht geeignet, dem höchstrichterlichen Urteil Rechnung zu tragen?

Die Antwort hat Professor Horst Knapp in der Ausgabe 9 seiner „Finanznachrichten" gegeben: Weil ein Steuerabsetzbetrag, im Gegensatz zu einem Steuerfreibetrag, eo ipso einfach untauglich ist, dem Auftrag der Höchstrichter zu genügen - es sei denn, er ist umso höher, je höher Einkommen und Familiengröße sind.

Das liegt daran, daß - progressionsbedingt - derzeit Einkommen umso höher besteuert werden, je größer die Familie ist. Und weil dabei auf die Familiengröße praktisch keine Rücksicht genommen wird, werden Familien bei gleichem Pro Kopf-Einkommen weitaus stärker vom Fiskus zur Kasse gebeten.

Der derzeitige Steuertarif führt zu einer absurden Situation, deren Ungerechtigkeit Höchstrichtern ins Auge stach: Während ein Alleinstehender mit einem Lebensstandard am nack- • ten Existenzminimum für sein Einkommenjährlich 530 Schilling Steuern - und keinen Schilling mehr - berappen muß, bittet der Fiskus den Alleinerhalter einer fünfköpfigen Familie mit dem gleichen kärglichen Lebensstandard mit sage und schreibe 56.000 Schilling jährliche Steuern auf sein Einkommen zur Kasse.

Der Erhalter dieser in bescheidenen Umständen lebenden Familie muß also mehr als 100 mal so viel Steuer auf sein Einkommen zahlen - und dieses natürlich zuerst einmal verdienen! - als der Alleinstehende .

Professor Knapp hat auch ausgerechnet, wie stark die Steuerabsetzbeträge für Kinder im derzeitigen In-dividual-Steuersystem erhöht werden müßten, damit das Existenzminimum von Kindern und Müttern ohne eigenes Einkommen in Zukunft zumindest nicht mehr besteuert wird. Nämlich von derzeit 4.000 auf 11.000 Schilling jährlich für die nicht berufstätige Ehefrau, von derzeit 1.800 auf rund 4.300 Schilling für das erste und zweite Kind und 6.300 Schilling jährlich für jedes weitere Kind.

Diese Erfordernisse wären ja durch die vorgeschlagenen Absetzbeträge von 500 bis 600 Schilling monatlich, zumindest für Kinder, erfüllt.

Aber auch Knapp schränkt ein, daß diese Lösung Steuergerechtigkeit nur bei niedrigeren Einkommen herstellen würde, jedoch bei mittleren und bei höheren Einkommen und größeren Familien den vom Höchstgericht verlangten „schichtenspezifischen Belastungsausgleich" nicht durchführt. Der Grund: Die Steuerprogression ist im derzeitigen Steuersystem an die Einzelperson und nicht an die Haushaltsgröße gekoppelt.

Selbst wenn also das Existenzminimum der Haushaltsangehörigen in Zukunft nicht mehr besteuert würde, würden Familien dann gegenüber Kinderlosen weiterhin extrem diskriminiert: Für jeden Schilling, den ein Kinderloser über das bloße Existenzminimum hinaus verdient, müßte er dann - wie bisher - 22 Prozent Steuer berappen. Ein Familien-Alleinerhalter müßte hingegen selbst nach einer Steuerfreistellung des Existenzminimums weiterhin mindestens 32 Prozent von jedem zusätzlich, über die minimalen Existenzbedürfnisse seiner Familie hinaus verdienten Schilling dem Fiskus abliefern.

22 Prozent Steuer für Kinderlose, 32 Prozent für Alleinerhalter von größeren Familien - das soll „schichtenspezifischer Ausgleich" sein?Jeder vernünftige Mensch würde dafür plädieren, es umgekehrt zu machen -also dem Familienerhaiter maximal 22, hingegen dem Alleinstehenden 32 Prozent Steuer zu verrechnen -und so die Familiengründung zu erleichtern statt zu bestrafen. Aber so weit wird in Parteizentralen nicht (nach-)gedacht, sonst müßten ideologische Positionen den Tatsachen geopfert werden.

Fazit: Die angepeilte Erhöhung der Familienbeihilfe unter der Bezeichnung „Kinderabsetzbeitrag" ist sicherlich familienpolitisch erfreulich. Nur wird die vom Höchstgericht kritisierte Ungleichbehandlung der Familie im Steuerrecht damit nicht beseitigt. Dr. Viktor Bauer ist freier Wirtschaftsjourna-list und Mitglied des Arbeitskreises Familienbesteuerung des Dr. Karl Kummer-Institutes.

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