6601793-1953_44_01.jpg
Digital In Arbeit

Wird die Chance verpaßt?

Werbung
Werbung
Werbung

Zweifellos wird die geplante österreichische Steuerreform ein großes und kühnes Unternehmen sein. Nach allem, was man hört, wird die Steuerreform einigen Problemen mit jener Gründlichkeit und Energie zu Leibe rücken, die dem derzeitigen österreichischen Finanzminister eigen ist.

Dem Vernehmen nach will das Bundesministerium für Finanzen in den einstweilen noch inoffiziellen, deshalb aber nicht minder ernnzunehmenden Entwürfen vor allem zwei Beschwerden Rechnung tragen, die gegen das geltende Einkommen- und Lohnsteuerrecht mit Recht immer wieder erhoben werden: Die Einkommensteuersätze seien zu hoch und die einschlägigen Vorschriften ebenso kompliziert wie unübersichtlich. Vor allem die unzähligen Ausnahmebestimmungen — ein'Nebenprodukt des Kampfes um die Vermeidung von Inflationsnachteilen — verletzen, so wird weiter ebenso richtig ar i-mentiert, den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und verursachen außerdem überflüssige und vermeidbare Verwaltungs-lufwendungen. Der vorliegende Entwurf betont daher, daß es bei der Bemessung der Einkommen- (und Lohnsteuer also grundsätzlich nur auf die Höhe des erzielten Einkommens wird ankommen dürfen, nicht aber auf persönliche Verhältnisse.

Wohl ist mit Sicherheit anzunehmen, daß bei der Besteuerung doch in irgendeiner Weise auch auf Familienerhalter Rücksicht genommen werden wird. Es weist in dem gegenständlichen Entwurf aber nichts darauf hin, daß auch der dritten, nicht minder ernsten, nicht minder berechtigten und nicht weniger heftig geäußerten Beschwerde Rechnung getragen werden wird.

Diese dritte Richtung der Kritik wendet sich gegen die familienfeindliche Entwicklung seit Kriegsende, die es mit sich brachte, daß die Erhöhung der Besteuerung in weitaus größerem Maße den Familienerhalter traf als den Kinderlosen, ja, daß die steuerliche Belastung nach Prozentsätzen für Unverheiratete sogar teilweise gesenkt wurde. Dies hat unter anderem Doktor Alfons Schneider, Innsbruck, in seiner vielbeachteten Aufsatzreihe in der „Furche“ überzeugend nachgewiesen.

Damit, daß die gegenwärtige Besteuerung die tatsächlichen Familienlasten nicht berücksichtigt, wird auch der Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung verletzt, der nach dem Motivenbericht zu dem inoffiziellen Entwurf des „Steuervereinfachungs- und Stcuerermäßi-gungsgesetzes“ verlangt, daß jeder Staatsbürger seiner wirtschaftlichenLei-stungsfähigkeit entsprechende Steuern entrichtet. Es wird wohl von niemandem bestritten werden, daß der Familienerhalter wirtschaftlich bedeutend weniger leistungsfähig ist als der Kinderlose gleichen Einkommens.

Das Ausmaß der fürs erste zu erwartenden Steuerermäßigung wird es wohl schwer. ermöglichen, diesen Grundsatz vollständig zu verwirklichen. Es kann auch für diese erste Steuererleichterung nichts Unmögliches erwartet werden. Der Entwurf kündigt dies auch an, indem er sagt: „Wenn der vom Entwurf vorgeschlagene Tarif diese beiden Voraussetzungen (Steuervereinfachung und Steuerermäßigung. Der Verfasser) vielleicht nicht ganz erfüllt, so ist dieser Mangel ausschließlich auf budgetäre Rücksichten zurückzuführen.“

Billigerweise müßte von der Gesellschaft erwartet werden können, daß sie bei zu geringen Erleichterungsmöglichkeiten für alle Steuerzahler zunächst die Lasten derer erleichtert, die derzeit am schwersten darunter zu tragen haben. Daraus folgert, daß die möglichen Steuerermäßigungen in erster Linie den Familienerhaltern zugute kommen müssen. Der vorliegende Entwurf nimmt aber auf den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung in dieser Richtung überhaupt keine Rücksicht, obwohl er sich auf diesen beruft. Er ermäßigt die Steuerleistung der Kinderlosen im Verhältnis zu ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in weitaus größerem Maße als die der Familienerhalter. In manchen Einkommensstufen macht die Steuerermäßigung für die Kinderlosen sogar in absoluten Beträgen mehr aus als die für die Familienerhalter.

Unerfindlich bleibt ferner, warum Ledige nach der Vollendung ihres 30. Lebensjahres in eine günstigere Stcuergruppe (nach dem Entwurf: Steuergruppe II) aufrücken sollen. Die höhere Besteuerung ist keine Bestrafung, wie heute oft eingewendet wird, sondern eine gerechte Folge einer höheren wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Ob jemand verschuldet“ oder „unverschuldet“ unverheiratet bleibt, ist dabei unerheblich. Maßgeblich ist allein, daß er für keine Familie zu sorgen hat und daher zum Lastenausgleich der Familienerhalter beizutragen hat. Eine etwaige Erhaltungspflicht anderen Familienangehörigen gegenüber könnte trotzdem über das bestehende Recht hinaus berücksichtigt werden.

Kein Wort enthält der neue Entwurf über einen Wegfall der unzeitgemäßen steuerlichen Begünstigung der doppelverdienenden Ehepaare. In diesem Punkt ist zweifellos der gröbste Verstoß des Entwurfes gegen familienpolitische Erwägungen zu erblicken. Die steuerliche Begünstigung der Doppelverdiener läuft dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung entgegen. Warum sollen jene Frauen begünstigt werden, die — ohne Familienlasten — in der Lage sind, einem Verdienst nachzugehen, während ein eventuell freies Einkommen (z. B. Honorare) einer Mutter, die ihrer Kinder wegen ihren Beruf aufgeben mußte, bei der Besteuerung dem Einkommen des Familienerhalters zugerechnet wird? Diese Begünstigung stammt noch aus der Zeit drr Kriegswirtschaft; sie sollte ehedem die Arbeitsfreude anregen. Die heutige Arbeitsmarktlage erfordert aber geradezu entgegengesetzte Maßnahmen. Oesterreich weist heute ein überdimensioniertes Angebot an Arbeitskräften auf, das in der Arbeitslosenziffer zum Ausdruck kommt. Unbestreitbar ist das' bis zu einem gewissen Ausmaß darauf zurückzuführen, daß die viel zu kleinen Familien-einkommen Mütter an einen Arbeitsplatz außerhalb ihres Haushaltes zwingen und daß die Berufstätigkeit der Frau steuerlich begünstigt wird.

Je rascher und energischer diese beiden Ursachen beseitigt werden, desto rascher wird sich auch die Struktur des österreichischen Arbeitsmarktes normalisieren. Die jüngste Nachricht, daß heuer wohl die männlichen Schulentlassenen, nicht aber alle arbeitsuchenden Mädchen untergebracht werden konnten, bekräftigt diese Erkenntnis.

Sicherlich wird die Zukunft noch Gelegenheit bieten, auch die Steuerlast der Kinderlosen herabzusetzen. Der Entwurf weist selbst darauf hin, daß man bei Besserung <kr Budgetlage des Staates den Steuertarif weiter senken wolle. Die derzeit vorgeschlagene Steuersenkung könne nur der Anfang einer kommenden Entwicklung ein“.

Niemand wird erwarten können, daß der Finanzminister alle Forderungen an die Steuerreform auch nur annähernd erfüllen kann. Nachdrücklich aber muß verlangt werden, daß die Erfüllung der weitergehenden Wünsche der Kinderlosen aufgeschoben wird und dafür alle nur denkbaren Erleichterungei für Familienerhalter verwirklicht werden.

Diese Forderung der sozialen Gerechtigkeit wird noch durch wirtschaftliche Uebsr-legungen unterstützt. Heute fordern alle Kreise, daß durch eine allgemeine Steuersenkung das Realeinkommen der breiten Konsumentenschichten erhöht wird. Damit soll die Nachfrage nach Konsumgütern belebt, der inländische Verbrauch ausgeweitet und dadurch wieder die Produktion erhöht-werden. Dieses Argument zugunsten einer allgemeinen Steuersenkung, das dem Entwurf auch richtig zugrunde zu liegen scheint, gilt in vermehrtem Maße für die Gruppe der Familienhaushalte innerhalb der gesamten Verbraucherschaft. Jede Ausweitung der Produktion wird nämlich um so mehr zur Hebung des Lebensstandards beitragen, je mehr sie Warengattungen betrifft, die auf die Lebenshaltungskosten den größten Einfluß ausüben. Unter solche Warengattungen fallen vor allem Nahrungsmittel, Bekleidung, Einrichtungsgegenstände, Haushaltsartikel usw. Eine Erhöhung der Produktion wird um so mehr zur Rationalisierung und Massenproduktion führen, je mehr sie Massenartikel betrifft. Massenartikel aber sind die Artikel des täglichen Gebrauches. Bei dem heutigen Stand der Durchschnittsversorgung der Bevölkerung wird die gehobene Kaufkraft der Verbraucher von Massenartikeln eine ungleich höhere Rationalisierung zur Folge haben als die der Konsumenten jener Güter und Dienstleistungen, die nicht dem täglichen Gebrauch dienen. Die typischen Verbraucher von Massenartikeln sind aber nicht so sehr die Einkommens- und Lohnbezieher in ihrer breiten Masse. Es sind vor allem nicht die Kinderlosen, die ihr Einkommen zu einem nicht unerheblichen Teil für Motorräder, Auslandsreisen, teure Möbel, Maßbekleidung aus teuren Stoffen usw. ausgeben Die typischen Verbraucher von Massenartikeln sind vielmehr die Familien durch den Bedarf ihrer Kinder. Eine Erhöhung der Kau f-kraft der Familie wird daher die stärkste und nachhaltigste Erhöhung der Erzeugung und Verteilung von Massenartikeln bewirken und damit Güter und Leistungen treffen, deren Preise auf die Lehenshaltuns;s-kosten den (roßten Einfluß ausüben und dadurch die spürbarste allgemeine Erhöhung des Lebensstandards zur Folge haben. Erfahrungsgemäß weist überdies der Familienhaushalt auch den rationellsten Verbrauch auf. Wenn der unmittelbare dringendste Bedarf an Gebrauchsgütern befriedigt ist, werden es überdies in erster Linie die Väter and Mütter sein, die — die Zukunft ihrer Familie vor Augen — ans Sparen denken werden.

Schließlich sei noch auf die Zweckmäßigkeit verwiesen, daß der Steuerreform und den kommenden Familienausgleichskassen oder fonds ein gemeinsames Konzept zugrunde zu legen sei und daß der endgültige Entwurf des Steuerermäßigungs- und Steuervereinfachungsgesetzes gleichzeitig mit dessen Uebersendung an die Kammern auch jenen privaten Institutionen zur Begutachtung zur Verfügung gestellt werde, die sich die Wahrung der Interessen der bisher nahezu völlig übersehenen Familie zum Ziele gesetzt haben, solange in Oesterreich noch keine gesetzlichen Vorkehrungen zur Vertretung der Interessen der Familien in die Verfassung eingebaut sind.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung