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Das Bitten und Betteln der Familien hat auch ein Ende

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Die freundschaftliche Zusammenarbeit in der Familienpolitik, bisher allenfalls bereichert durch inständiges aber stets erfolgloses Bitten und Betteln einzelnen Regierungsmitgliedern gegenüber, ist nun endgültig aus der Mode gekommen: Das mit 1. Jänner 1978 in Kraft tretende Maßnahmepaket der Regierung, mit dessen Hilfe der Familienlastenausgleichsfonds um weitere drei Milliarden Schilling „erleichtert” wird, ist der nur vorläufig letzte, besonders stattliche Tropfen, der das berühmte Faß zum Überlaufen brachte. Katholische Aktion, Katholische Elternvereine, Familienbund, Familienverband und Kolpingwerk haben zu einer ersten gemeinsamen Protestkundgebung aufgerufen, die am Vorabend des Nationalfeiertages vor den Pforten des Bundeskanzleramtes signalisierte: „So geht’s nicht weiter!”

Dipl.-Ing. Helmuth Schattovits sprach auf einer Pressekonferenz in Wien sogar davon, der Katholische Familienverband werde bei den nächsten Wahlen keine Wahlempfehlung abgeben können („Wir bekennen uns ja zum mündigen Bürger”), doch werde man die Öffentlichkeit mit ausreichender Information versorgen. Was letztlich auf dasselbe Resultat hinausläuft. Auch Dr. Leopold Kendöl gab für den Wiener Familienverband die Erklärung ab, man habe sich intern bereits darüber unterhalten, ob die Familienpolitik in zwei Jahren zum Wahlkampfthema gemacht werden sollte oder nicht. Nach seiner Aussage sind die Funktionäre und Mitglieder des Verbandes offenbar nicht der Ansicht, nach dem Verzicht auf eine Fristenlösungsdebatte im letzten National ratswahl- kampf noch einmal einen ähnlichen Fehler zu begehen.

Als Resultat der Familienpolitik nach siebeneinhalb Jahren sozialistischer Regierung sieht Helmuth Schattovits die mangelnde Selbstsicherheit im Kreise der Familien oder der potentiellen Familien an. Geburtenrückgänge, Abtreibungen, Selbstmorde, Jugendkriminalität und Drogensucht scheinen eine recht deutliche Sprache zu sprechen: „Das ist ein stillschweigender Streik - die große Verweigerung der Familien!” Viele Probleme im Bereiche der Familienpo- litik seien nicht staatsfinanzieller, sondern gesellschaftsstruktureller Natur. Schattovits: „Die Familien können vieles besser und billiger.” Das gute als Subsidiaritätsprinzip wartet also nur mehr darauf, in der Famüienpolitik verstärkt in Erinnerung gerufen zu werden. Daß die Sozialisten - vor allem, weil ihnen das Budget-Wasser bis zum Hals steht- in letzter Zeit auch mit dem Subsidiaritätsprinzip liebäugeln, ist zwar eine Tatsache, beschränkt sich aber im Falle der Familienpolitik auf rhetorische Akrobatik.

Dr. Herbert Kohlmaier, ÖVP-Par- lamentarier und Obmann des österreichischen Familienbundes, legt großen Wert auf die Feststellung, daß die Teilnahme der von ihm geleiteten Organisation an der Protestkundgebung auf dem Ballhausplatz mit Parteipolitik nichts zu tun hat: „Es ist dies keine Oppositionsveranstaltung; ich sprechein dieser Angelegenheit nicht als ÖVP-Abgeordneter, denn es ist eine Lebensfrage für die Demokratie: Parteipolitik und Interessenvertretung klar voneinander zu trennen!”

Kohlmaier ist ein Politiker, dem man ausnahmsweise die Behauptung abnimmt, über den Rahmen der Parteibrille hinaus noch andere Ereignisse wahrzunehmen: Im Mai 1969 erklärte Kohlmaier im Parlament, zu einer Zeit, als die ÖVP also noch an der Regierung war, er würde als Abgeordneter einer neuerlichen Belastung des Familienlastenausgleichs „meine Zustimmung nicht geben”. Für die Sanierung des Budgets habe sich die Regierung ganz bewußt jene Gruppe ausgesucht, von der sie gehofft habe, „daß sie am wenigsten schreien”.

Was die konkrete Kritik der Familienorganisationen betrifft, handelt es sich um eine stattliche Reihe von Punkten:

• Dadurch, daß die Regierungspartei dem Familienfonds 15 Prozent der Einnahmen oder jährlich drei Milliarden Schilling entzieht, um die Pensionen zu sichern, seien die Familien „zu den ersten Krisenopfern” geworden.

• Die mit 1. Jänner 1978 in Kraft tretende Direktauszahlung der Beihüfen wird zwar insofern begrüßt, als nun sämtliche Famüien, auch jene, die bisher nicht die volle Höhe der Steuerbegünstigungen ausschöpfen konnten, gleich hohe Beihilfen bekommen. Allerdings wirkt die neue Beihilfe aus zwei optischen Gründen als Geschenk der Regierung: Sie wirkt höher, weil sie nur mehr zwölfmal statt wie bisher vierzehnmal im Jahr ausbezahlt wird. Der Differenzbetrag in der Höhe der bisher nicht genutzten Steuerabsetzbeträge muß vom Familienfonds selbst bezahlt werden, der Finanzminister überweist nur den bisher gewährten Beihüfen- Rahmen an den Fonds, womit dieser um weitere zwei Milliarden geschmälert wird.

• Während das Pro-Kopf-Einkommen seit 1955, dem Inkrafttreten des Familienfondsgesetzes, um 476 Prozent gestiegen ist, nahmen die Beihüfen für Famüien mit zwei Kindern nur um 311 Prozent, für Familien mit vier Kindern nur um 290 Prozent zu. Der Forderung der Familienverbände, die Beihüfen in ähnlicher Form zu dynamisieren wie die meisten anderen Sozialleistungen, ist die Regierung nicht nachgekommen.

• Die Regierung war bisher auch in keiner Weise bereit, auf die je nach Alter verschieden hohen Kinderkosten einzugehen: Bei Kleinkindern sind noch 61,7 Prozent der Unterhaltskosten gedeckt, bei Kindern mit sechs bis zehn Jahren nur 33,3 Prozent, bei 15- bis 19jährigen nur noch 21,7 Prozent.

• Wenn die Regierung die Finanzierung des Famüienfonds bzw. die Ausgabenseite des Fonds nicht neu überdenkt, ist zu befürchten, daß ab etwa Oktober 1979 die Beihü- fen-Auszahlung gefährdet ist.

• Zu all dem kommt noch hinzu, daß nach Ansicht der Familienverbände Staatssekretärin Elfriede Karl nichts zu reden hat, sondern nur vorgeschoben wird.

PS: Warum die sozialistischen Kinderfreunde an der Protestkundgebung im Interesse der Familien und Kinder nicht teüneh- men, ist zwar bekannt, müßte aber konsequenterweise zur Streichung dieser Organisation aus dem Vereinsregister führen. Wegen Irreführung der Öffentlichkeit mit dem Vereinsnamen!

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