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Die Tendenz ist schief

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Die kinderreichen Familien gehören zu den von der Armut am stärksten Betroffenen — stellte kürzlich eine Enquete „Die Armut in Österreich“ der Arbeiterkammer Salzburg fest. In einem Interview tröstete sie em sozialistischer Abgeordneter mit dem Hinweis auf die intensive Familienpolitik der Regierung Kreisky.

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Die kinderreichen Familien gehören zu den von der Armut am stärksten Betroffenen — stellte kürzlich eine Enquete „Die Armut in Österreich“ der Arbeiterkammer Salzburg fest. In einem Interview tröstete sie em sozialistischer Abgeordneter mit dem Hinweis auf die intensive Familienpolitik der Regierung Kreisky.

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Zu Unrecht! Das zeigt ein Blick in die dem Parlament eben zugeleitete Regierungsvorlage, mit der die Familienbeihilfen ab Juli den gestiegenen Lebenshaltungskosten angepaßt werden. Und das sieht so aus: Erhöhung der Beihilfe für das erste Kind um 80 Schilling, für Familien mit zwei Kindern um je 70, mit drei Kindern um je 55 Schilling — und weiter geht es abwärts, bis sie ab dem 5. Kind nur noch 50 Schilling beträgt.

1970 ist die Regierung zum Kampf gegen die Anmut angetreten, mit dieser Familienpolitik wird aber die Armut aller jener gefördert und vermehrt, die mehrere Kinder aufziehen: für dias 1. Kind eine Erhöhung um 24 Prozent, bei drei Kindern nur um 13 Prozent!

Als ob die Teuerung, die seit der letzten Beihilfenregelung exorbitant war, nicht für alle Kinder gleich drückend wäre, als ob die Erhaltung der Kinder ja bei der gegenwärtigen Beihilfenhöhe nicht ganz überwiegend aus dem Familieneinkommen bestritten werden müßte, und als ob dies bei drei und mehr Kindern nicht wesentlich härter wäre als beim ersten und einzigen Kind!

So kommt es, daß Familien mit mehreren Kindern in ihrem Lebensstandard gedrückt werden, nur zu oft unter die Armutsgrenze gedrückt werden, wie es die wohl univerdächtige Arbeitemkammer Salzburg mit Nachdruck eben erst festgestellt hat.Die Arbeiteikarnimer rechtfertigt damit auch den bescheidenen Lasten-auggleich, den kinderreiche Familien dadurch erfahren, daß die Beihilfen pro Kopf mäßig ansteigen, je mehr Kinder in der Familie leben. Statt aber im Sinne des Kampfes gegen die Armut die bestehende Beihilfenprogression zu erhalten und auszubauen, beginnt die sozialistische Regierungsvorlage mit ihrem Abbau.

Als 1954 das Pamilienlastenaus-gleichsgesetz beraten wurde, genügte der SPÖ die im ÖVP-Entwurf vorgesehene Progression der Beihilfen nicht; die Abgeordneten Flossmann und Genossen brachten einen Abänderumgsantrag ein, der zum Grundbetrag der Beihilfe von 105 Schilling (ab dem 3., 4. und 5. Kind) eine Zulage bis zu 295 Schilling vorsah, während die ÖVP im Hinblick auf die damals wesentlich geringeren Mittel nur solche von 185 Sehilling vorschlug. Die Sozialisten lieben heute Vergleiche mit der Erhöhung der Beihilfen unter der ÖVP-Regienung und (rühmen, daß die Pamilienbeihilfen noch nie so rasch und stark erhöht wurden wie unter der Regierung Kreiskys. Das stimmt, aber die Preise sind auch noch nie so rasch und stark gestiegen.

Die sehr geschickte Propaganda mit der (nominell) starken Beihilfenerhöhung verdeckt den Blick auf deren realen Wert für die Empfänger; seit dem Inkrafttreten des Lastenausgleichsgesetzes im Jahre 1955 sind die durchschnittlichen Arbeitnehmereinkommen nämlich nahezu auf das Sechsfache gestiegen, die Familienbeihilfen für zwei Kinder aber auf wenig mehr als: das Vierfache, und jene für vier Kinder erreichen nicht einmal diesen Wert. Wenn sich die familienfreundlichen Politiker in der SPÖ nicht durchsetzen können und ein Kompromiß in Richtung des von der ÖVP eingebrachten Abändernngsantrags in letzter Stunde zustande kommt, dann wird >es mit, Juli dieses Jahres einen echten Rückschritt für kinderreiche Familien geben.

Bei annähernd gleichen Gesamtkosten unterscheidet sich der Oppositionsvorschlag dadurch, daß er für Familien mit ein und zwei Kindern je 50 Schilling Erhöbung pro Kopf vorsieht und die Kopfquote mit wachsender Kinderzahl eine leicht steigende Tendenz aufweist, während die Regierungsvorlage die genau entgegengesetzte Entwicklung aufweist. Die Ausgabeneinsparung bei den Familien mit geringer Kin-derbelastung ermöglicht es überdies allen Familien und für alle Kinder ab dem 10. Lebensjahr, eine Zulage von weiteren 100 Schilling monatlich zu geben. Der katholische Familienbund hat auf einer Enquete diese Zulage mit 160 Schilling bemessen sehen wollen, eine Forderung, die durchaus realistisch ist, auch im Hin7 blick auf die günstigen laufenden Eingänge in den Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen und die trotz dem verschwenderischen Umgang mit Familiengeldern für Sachausgaben auf 10 Milliarden angestiegenen Reserven des Familienfonds.

Jede Mutter weiß um die Ausgabenexplosion bei Kindern im Ent-wicklungsalter; und bei allen Unterschieden diesbezüglicher Berechnungen gibt es Übereinstimmung darin, daß die Verbrauchsauisgaben größerer Kinder zwei- bis dreimal höher sind als für Kleinkinder. Die Zulage ab dem 10. Lebensjahr wäre wenigstens der Anfang einer realitätsge-reohten Altersstaffelung; sie abzulehnen, gibt es keinen vernünftigen Grund.

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