Kinder brauchen mehr als Geld

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Das Kinderbetreuungsgeld belebt alte Ideologiedebatten. Wer denkt einmal an die Kinder und nicht an Karriereknick und Mann-Frau-Konflikte?

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Das Kinderbetreuungsgeld belebt alte Ideologiedebatten. Wer denkt einmal an die Kinder und nicht an Karriereknick und Mann-Frau-Konflikte?

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Es kam wieder einmal, wie es kommen musste. Kaum ist in den Grundzügen bekannt, wie die ab 1. Jänner 2002 in Kraft tretende Regelung in Sachen "Kinderbetreuungsgeld" aussehen soll, haben die diversen Parteien und Gruppierungen schon ihre ideologischen Brillen aufgesetzt und entsprechende Kommentare abgegeben. Wie üblich überlagert dabei die Parteipräferenz die Sachfragen. Wer mit der gegenwärtigen Regierung nichts am Hut hat, entdeckt nur "Fallen" und den "Teufel im Detail", wer ihr neutral bis positiv gegenüber steht, sieht höchstens einige Haare in der Suppe, aber sonst alles im rosigen Licht des Fortschritts.

Man mag darüber streiten, ob das neue Modell wirklich der Weisheit letzter Schluss ist, aber es bringt den Familien pro Jahr 16 Milliarden Schilling, doppelt so viel wie bisher. Damit wird natürlich die Lage junger Mütter - und Väter - deutlich verbessert. Wer das bestreitet, muss mit Scheuklappen ausgestattet sein. Denn: * Es gibt mehr Geld pro Monat: 6.000 statt bisher 5.598 Schilling.

* Das Kinderbetreuungsgeld kann länger bezogen werden als das bisherige Karenzgeld; 36 statt bisher 24 Monate (6 Monate weniger, wenn es nur ein Elternteil beansprucht) * Pro Jahr dürfen bis zu 200.000 Schilling dazu verdient werden (derzeit, abgesehen von einigen Sondervereinbarungen bei Teilkarenz, nur 4.076 Schilling pro Monat).

* Der Bezug ist nicht mehr an vorherige unselbstständige Erwerbstätigkeit gebunden, für Kinder, die ab dem 1. Jänner 2002 zur Welt kommen, haben auch Studierende, Hausfrauen, Bäuerinnen, geringfügig Beschäftigte und Selbstständige Anspruch.

n Bis zu 18 Monate der Kinderbetreuungszeit werden als pensionsbegründend gewertet.

Im Grunde bietet das neue Modell allen Eltern die Chance, besser als bisher auszusteigen, zumindest allen, die nur die bisher üblichen zwei Jahre vom Arbeitsmarkt wegbleiben. Wenn das Modell eine sichtbare Schwäche aufweist, dann die, dass es einem Elternteil bis zu 30 Monate Geld anbietet, aber bereits nach 24 Monaten der Kündigungsschutz verloren geht. Sollte die Politik diese Falle nicht reparieren, stehen manche Mütter womöglich nach zweieinhalb Jahren nicht nur ohne Kindergeld, sondern auch ohne Job da. In den meisten Fällen wird diese Falle aber wohl vermieden werden: entweder indem nach 24 Monaten zumindest wieder ein Teilzeitjob angenommen oder indem der Ehepartner zum Kinderbetreuer wird.

Dass der von der FPÖ groß versprochene Kinderscheck anders aussah, aber offenbar nicht finanzierbar ist, steht damit fest. Natürlich kommt auch diese Lösung teuer, die Frage, ob man das Geld aus dem Familienlastenausgleichsfonds nicht auch auf ältere Kinder hätte aufteilen können, ist berechtigt. Dass jede Reform auf diesem Gebiet einen Kompromiss bedeutet und man es nie allen recht machen kann, ist auch klar.

Bei jedem spielt vermutlich stark die persönliche Situation mit: Hat man kein Kind, ein Kind oder mehrere? Ist einem die eigene Selbstverwirklichung wichtiger als die Familie? Sieht man das Heil des Menschen nur im außerhäuslichen Berufsleben oder zumindest im gleichen Maß in der Sorge für den Nachwuchs? Die Probleme beginnen dort, wenn das eigene Denken zur Ideologie wird, mit der man auch das übrige Volk beglücken will. Das Dilemma besteht darin, dass sofort der Geschlechterkampf in den Vordergrund gerückt wird und apodiktische Aussagen getroffen werden: Das trifft die Frauen, das führt in die Arbeitslosigkeit und in die Armut.

Die Grundfragen müssen doch lauten: Was bedeuten uns Kinder? Sehen wir sie nur mehr als Belastung und Karrierehindernis statt als Bereicherung unseres Lebens? Können wir einmal an etwas anderes als an Geld und Karriere denken? Und diese Fragen sind heute in mindestens ebenso hohem Maß wie an Frauen an Männer zu richten.

Dass die ersten drei Lebensjahre eines Kindes für seine Entwicklung am wichtigsten sind, ist heute eine psychologische Binsenweisheit. Es kann doch niemand im Ernst glauben, dass es für die Mehrheit der Kinder besser ist, möglichst bald in öffentlichen Einrichtungen, so gut diese mitunter arbeiten mögen, betreut zu werden. Es stellt doch eine üble Diskrimierung jedes bei seinem Kind bleibenden Elternteils dar, wenn er als armes "Heimchen am Herd" abqualifiziert wird. Durch die angehobene Zuverdienstgrenze, über deren Höhe man streiten kann, ist jedenfalls die Wahlfreiheit deutlich größer geworden. Bisher musste ja die Entscheidung zwischen Karenzgeld oder Weiterarbeit aufgrund der finanziellen Familiensituation oft zugunsten der vollen Weiterarbeit fallen.

So wichtig Geld ist, Kinder brauchen mehr als Geld. Sie brauchen in erster Linie Mütter und Väter, die diesen Rollen gerecht werden, und erst dann andere "Bezugspersonen". Sie brauchen je nach Alter Grenzen, aber auch große Freiräume. Und wieviel tragen vor allem Väter heute zu dem bei, was nach Aussage der Psychologin Christiane Spiel in der ORF-Sendung "Betrifft" Kinder am meisten brauchen: liebevolle Zuwendung, Geborgenheit, Sicherheit, Konsistenz im Erziehungsverhalten?

Aber wie viele Kinder kommen heute körperlich und seelisch einigermaßen unversehrt im Erwachsenenalter an? Wer findet das richtige Maß im Umgang mit ihnen, ohne sie zu verwöhnen oder zu vernachlässigen? Und wie sehr leiden sie unter der Abschiebung in Betreuungseinrichtungen, unter den Konflikten ihrer Eltern, unter der Zunahme von Scheidungen? Wie oft werden sie geradezu als Waffe gegen den geschiedenen Partner eingesetzt? Wie oft werden sie schon in ganz jungen Jahren für ihr Leben geprägt, in eine Laufbahn gedrängt, die sie sich nicht aussuchen können?

Der amerikanische Popstar Michael Jackson bezeichnete sich jüngst als "Ikone einer Generation, der man die Kindheit gestohlen hat". Wieviel Kindern wird - trotz oder gerade wegen materiellen Überflusses - noch die Kindheit gestohlen?

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