"Ich toleriere keine Intoleranz"

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Wie lebt es sich mit Dreifachbelastung? Lohnt es sich für Betriebe, "familienfreundlich" zu sein? Martina Pecher (45), Inzersdorfer-Chefin, im furche-Gespräch.

die furche: Wieviel Zeit verbringen Sie mit Ihren beiden Kindern (fünf bzw. drei Jahre alt)?

martina pecher: Unter der Woche wirklich wenig, insgesamt vielleicht vier Stunden, und das Wochenende.

die furche: Wie haben Sie die Betreuung der beiden organisiert?

pecher: Mit einer Kinderfrau, die ich über Inserat gesucht und gefunden habe war. Dadurch, dass mein Mann und ich selbst so oft außer Haus sind, wollte ich jemanden, auf den ich mich wirklich voll verlassen kann. Nun haben wir eine Frau um die 50 Jahre, die selber schon Kinder großgezogen hat. Zu ihr habe ich hundertprozentiges Vertrauen. Am Wochenende bin dann ich da. Das ist heilig. Leider ist es manchmal auch mit Terminen besetzt, aber ich versuche, sie auf höchstens vier Stunden zu begrenzen oder die Kinder mitzunehmen.

die furche: Frauen wie Sie bezeichnet der Psychologe Heinz Zangerle als "gehetzte Powerfrauen", die in einem "neurotisierenden Wettlauf" die Ziele von Feminismus und Konsumgesellschaft verfolgen und von latentem schlechtem Gewissen gequält würden. Wie geht es Ihnen als Geschäftsführerin des 140-Mitarbeiterbetriebes Inzersdorfer, Nationalratsabgeordnete, ÖVP-Industriesprecherin und zweifache Mutter mit diesem Befund? Haben Sie ein schlechtes Gewissen?

pecher: Zangerle hat natürlich teilweise Recht. Wenn ich sagen würde, ich habe nie ein schlechtes Gewissen, würde ich lügen. Aber ich fühle ein großes Verantwortungsgefühl gegenüber meiner Firma und meiner Familie, und das gibt mir unglaublich viel Rechtfertigung für das, was ich tue. Ich fühle mich nicht als eine, die von persönlichem Profilierungs- oder Konsumwahn getrieben ist. Ich habe einen Betrieb geerbt und bin die einzige in der Familie, die diese Verantwortung auf sich genommen hat und auch die entsprechende Ausbildung vorweisen kann. Ich habe also kein schlechtes Gewissen, dass ich mich dafür verantworten müsste, weil ich es nicht nur für mich mache, um mir etwa schöne Kleider kaufen zu können. Im Gegenteil: Ich komme überhaupt nicht zum einkaufen. Ein bequemes Shopping hat es in den letzten fünf Jahren nie gegeben.

die furche: Glauben Sie, dass die Frauen durch die Ziele des Feminismus zu sehr unter Druck gesetzt werden?

pecher: Nein. Es ist ja wohl legitim, dass eine Frau ein Studium absolviert und sich bilden will. Das hat mit Feminismus nichts zu tun, sondern ist das legitime Bedürfnis eines jungen Menschen. Und wenn man ein Studium hat, ist es auch logisch, das Gelernte anzuwenden. Gegenüber den Kindern ein schlechtes Gewissen zu haben, kommt natürlich vor. So lange ich aber das Gefühl habe, dass es ihnen gut geht, und dass sie sich sehr wohl fühlen, frage ich mich: Warum soll ich ein schlechtes Gewissen haben?

die furche: Wäre es für Sie vorstellbar gewesen, zugunsten der Karriere auf Kinder zu verzichten?

pecher: Nein. Aber für mich wäre es auch nicht vorstellbar gewesen, ganz aufzuhören und mich nur mehr der Familie zu widmen. Ich war vor den Kindern 25 Jahre berufstätig und bin es wahrscheinlich noch 25 Jahre. Tatsache ist aber: Wenn eine Frau Karriere machen will und der Weg schon beschritten wurde, dann kann sie nicht ein Jahr in Karenz gehen. Das geht nicht, so realistisch muss man sein. In anderen europäischen Ländern, zum Beispiel in Frankreich, wird das viel toleranter gehandhabt. Da werden den Frauen lange nicht so viele Vorwürfe aus der Familie gemacht, wenn man nur kurz daheim bleibt. Es ist einfach notwendig, dass die Zeit des Totalausfalls so kurz wie möglich ist. Eine Frau, die Karriere machen will, darf nicht länger als zwei bis drei Monate weg sein. Ich selbst war nur zwei Mal acht Wochen zu Hause.

die furche: Bleiben hier letztlich nicht die Kinder auf der Strecke? Gehen die Wünsche vieler Frauen nicht in eine andere Richtung, nämlich Teilzeit, um eine ideale Vereinbarkeit von Kind und Beruf zu erreichen?

pecher: Die Hundertprozentlösung der vollen Berufstätigkeit wird sicher kein Modell sein, das mehrheitsgeeignet ist. Deswegen muss es ein Sowohl-als-auch geben. Es muss Teilzeitjobs geben, aber es muss auch die Möglichkeit zur Vollzeitarbeit geben und gesellschaftlich toleriert werden. Es darf nicht pausenlos Druck gemacht werden, dass das die schlechteren Mütter und armen Kinder sind. Wie gesagt: Ich glaube, dass es meinen Kindern gut geht, weil ich mich ihnen dann, wenn ich da bin, sehr intensiv zuwende und auch vorgesorgt habe, dass sie wirklich gut betreut werden. Ich toleriere nicht, dass das nicht toleriert wird.

die furche: Demgegenüber hat Ihre Parteifreundin, Bildungsministerin Elisabeth Gehrer, im Rahmen der Präsentation einer aktuellen Studie über "Geschlechtsspezifische Disparitäten" durchklingen lassen, dass die außerhäusliche Betreuung von unter Dreijährigen nicht ihr erstrebtes Ziel ist.

pecher: Die ÖVP hat sich diesbezüglich sehr gewandelt. Wir haben viele junge Frauen als Abgeordnete, die voll berufstätig sind und das auch immer bleiben werden. Auch eine Liesl Gehrer hat viel dazugelernt und redet heute ganz anders als noch vor zehn Jahren. Es sind eigentlich nur mehr die Männer anderer Meinung. Im Grunde beweisen alle Frauen bei uns, dass Kind und Karriere vereinbar sind.

die furche: Viele Initiativen, unter anderem auch das Audit "Familie & Beruf" (siehe Kasten unten), wollen die Familienfreundlichkeit von Unternehmen fördern - mit dem Argument, dies würde sich auch auf die Betriebe selbst positiv auswirken. Inwiefern?

pecher: Frauen und Männer, die Familienmitglieder - Kinder oder auch ältere Menschen - betreuen müssen, engagieren sich einfach mehr, wenn sie das Gefühl haben, dass dieser Betrieb in schwierigen Situationen auf ihre Bedürfnisse eingeht. Das führt zu einer größeren Loyalität und zu größerer Motivation. Wir haben etwa viel weniger Krankenstandstage als im Branchendurchschnitt. Das führe ich schon auf unsere familienfreundlichen Lösungen zurück, etwa die Kurz-LangWoche, wodurch für die Arbeiter in der Produktion jedes zweite Wochenende lang ist. Im Angestelltenbereich haben wir etliche Personen mit Teilzeitlösungen. Wir sind auch Mitglied bei der Kinderdrehscheibe, die als Service Betreuungshilfen für Kinder oder alte Menschen vermitteln. Der Betrieb zahlt einen fixen Betrag und dafür können alle Mitarbeiter - für einen sozial gestaffelten Beitrag - auf diese Leistungen zurückgreifen.

die furche: Dennoch lehnen Sie ein gesetzliches Recht auf Teilzeitarbeit ab, wie es vom ÖGB nachhaltig gefordert und etwa in Deutschland längst zugesichert wird. Warum?

pecher: Weil man mit solchen gesetzlichen Vorschriften im Grunde den Frauen schadet, indem man sie immer mehr zu Exoten macht. Es bewerben sich nun einmal Männer und Frauen um Jobs, und da ist es einfach schade, wenn derjenige, der die Mitarbeiter aussucht, immer im Hinterkopf haben muss, dass er einer Frau dieses und jenes bieten und auch einen Teilzeitjob garantieren muss. Das dient der Sache nicht. Man schadet aber auch den kleinen Betrieben durch solche gesetzlichen Vorschriften. Da sind wir lieber flexibel und zeigen den Unternehmen, wie es gehen kann. Wenn es Sinn macht, Frauen Lösungen zu bieten, wird es auch mehr Lösungen geben.

die furche: Der Sozialrechtler Wolfgang Mazal hat vorgeschlagen, statt der gängigen Teilzeitvariante von 50 Prozent für berufstätige Mütter und 100 Prozent für Väter besser die gerechtere Variante von jeweils 75 Prozent zu forcieren. Ist dieses Modell aus Ihrer Sicht realistisch?

pecher: Nicht sehr. Wir haben fast 90 Leute in der Produktion beschäftigt mit einer fixen Arbeitszeit. Dort kann man nicht sagen: Sie arbeiten jetzt nur bis zwei Uhr, und ab dann arbeitet jemand anderer. Ich wüsste wirklich nicht, wie das gehen sollte, und wir gehören wirklich nicht zu den inflexiblen. Auch in Führungspositionen ist es nicht leicht: Spitzenkräfte können sich die Arbeit zwar einteilen, aber meist haben sie ein riesiges Pensum zu erfüllen und sitzen immer länger und länger und länger. Die Arbeit ist halt zu erledigen!

die furche: Jüngst hat Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl die mangelnde Flexibilität von Kinderbetreuungseinrichtungen überraschend heftig kritisiert. Wie groß ist das Manko?

pecher: Es wäre schon wünschenswert, dass sich Kindergärten, die ja im Grunde Dienstleistungsunternehmen sind, mit ihren Öffnungszeiten mehr an die Bedürfnisse ihrer Kunden, also der Frauen, anpassen. Was ich aber noch mehr kritisiere ist, dass wir im Unterschied zu Frankreich überhaupt keinen Arbeitsmarkt für Haushaltshilfen und Kinderbetreuung haben. Es wäre wünschenswert, entweder die Zuverdienstgrenze für das Kindergeld hinaufzuschieben - 14.600 Euro pro Jahr sind ja nicht die Welt -, oder die steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten zu ermöglichen, um diesen Markt zu fördern. Bei uns hat das aber noch immer einen negativen Beigeschmack, als ob jemand, der in einem fremden Haushalt arbeitet, irgendwie ein Leibeigener wäre. Das ist aber nicht der Fall: Meine Kinderfrau beteuert mir immer wieder, dass diese Arbeit das schönste ist, was sie je machen konnte. Vorher hat sie in der Gastronomie serviert. Jetzt hat sie ihre beiden Kinder. Und es sind ja auch ihre beiden Kinder.

Das Gespräch führte Doris Helmberger

Zertifizierte Vereinbarkeit von Familie und Job

Geht es nach Österreichs Politikern, soll "Familienfreundlichkeit" im wirtschaftlichen Wettbewerb zu einem entscheidenden Prädikat mutieren. Entsprechend zahlreich sind die Initiativen, mit denen die Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie in Unternehmen gefördert und herausragende Betriebe prämiert werden sollen: So wird am 26. Juni der "Frauen- und familienfreundlichsten Betrieb" 2002 in verschiedensten Kategorien gekürt. Unternehmen so weit zu bringen, ist seit 1998 das Ziel des Audits "Familie & Beruf", das im Sozialministerium angesiedelt ist und sich an der in New York geborenen Idee des "family-friendly-index" orientiert. Dabei werden die familienbewussten Maßnahmen eines Betriebes analysiert und auf Defizite hin untersucht. Im Rahmen eines Audits werden angemessene Ziele definiert. Ob sie erreicht worden sind, wird durch eine Prüfung nach drei Jahren festgestellt. Das Audit ist in allen Betriebsgrößen einsetzbar.

Anhand von zehn Kriterien kann die Familienfreundlichkeit eines Unternehmens festgestellt werden: dazu gehören flexible Arbeitszeitgestaltung, multifunktionaler Personaleinsatz, Telearbeit, Sonderzahlungen oder Versorgungsarrangements für Kinder. Bislang haben 25 heimische Betriebe das Grundzertifikat erhalten. Seit Dezember 2001 sind die "Inzersdorfer Nahrungsmittelwerke" der erste Betrieb mit dem Zertifikat "Audit Familie & Beruf".

Infos im Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen, Abteilung V/2, Franz Josefs-Kai 51, 1010 Wien. Mails: regina.hartweg-weiss@bmsg.gv.at

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