"Für radikaleren Feminismus"

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Der Feminismus habe bisher einiges erreicht, stellt Haaland Matlary, Professorin für internationale Politik und ehemalige norwegische Vize-Außenministerin - selbst Mutter von vier Kindern - im Furche-Interview fest, jetzt aber müsse man in der Frauenfrage an die Wurzeln gehen.

Die Furche: Die Stellung der Frau hat sich in den letzten 50 Jahren stark verändert. Jetzt orten Sie einen Stillstand in der Frauenfrage und fordern einen radikaleren Feminismus. Wieso?

Janne Haaland Matlary: Frauen haben heute zwar gleiche Bildungschancen, aber die Arbeitswelt ist immer noch nicht an unsere Bedürfnisse angepasst. Wenn ich "radikal" sage, meine ich das im wortwörtlichen Sinn, nämlich dass wir an die Wurzeln gehen müssen. Der zentrale Punkt ist, dass wir die Verschiedenheit von Frauen und Männern ernst nehmen müssen. Es genügt nicht, dass Frauen den Männern gleichgestellt sind. Wir haben uns den Zugang zu allen Berufen erkämpft, aber uns dabei mit der Übernahme der männlichen Bedingungen zufriedengegeben. Frauen wollen aber auch Mütter sein. Warum sollte das berufliche Nachteile mit sich bringen?

Die Furche: Bekamen Sie in Ihrer eigenen Karriere Nachteile zu spüren?

Matlary: Mir ist das so richtig bewusst geworden, als ich mich für die Professur beworben habe. Ich bin gegen einen sechs Jahre jüngeren Kollegen angetreten, der die selben Qualifikationen aufwies wie ich. Ich war ziemlich verblüfft: Hatte ich sechs Jahre meiner Berufsarbeit vergeudet? Als ich nachrechnete, wurde mir aber klar, dass ich - im Gegensatz zu meinem Konkurrenten - in diesen sechs Jahren vier Kinder geboren und aufgezogen hatte. Als Mütter spielen wir am Arbeitsmarkt in der zweiten Liga. Die Mutterschaft zieht aber spezifische Rechte nach sich. Wir tragen eine Extralast, die für die Gesellschaft von größter Bedeutung ist. Solange das politisch nicht wahrgenommen und entsprechend wertgeschätzt wird, hat der Feminismus noch viel zu tun.

Die Furche: Immerhin hat der Feminismus der 70er Jahre doch auch einiges vorwärtsgebracht.

Matlary: Er konzentrierte sich nur auf den Arbeitssektor, vor allem den öffentlichen. Die Schlüsselfrage war, wie Frauen in Gesellschaft und Politik an die Macht kommen können. Das hatte seine Berechtigung. Der Aspekt der Familie, dass Frauen eben auch Mütter sein wollen, wurde aber völlig ausgeblendet, ja geleugnet. Die jahrzehntelange Devise, dass staatliche Kinderbetreuungseinrichtungen genügen, um das Problem der Vereinbarkeit zu lösen, erwies sich als irreführend. Die Geburtenrate steigt trotzdem nicht, was den Politikern großes Kopfzerbrechen bereitet. Es wird also Zeit, dass man die wirklichen Probleme ernst nimmt.

Die Furche: Glauben Sie etwa, dass ein finanzieller Anreiz zu mehr Kindern führen wird?

Matlary: Ich glaube, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse sehr wohl eine große Rolle spielen - wenn auch nicht die einzige. Für viele junge Menschen ist finanzielle Unsicherheit ein gewichtiger Faktor. Sie haben Angst, ihren Job zu verlieren, insbesondere Frauen, wenn sie schwanger werden und bei ihren Kindern bleiben wollen, wenn diese klein sind. Es ist die Aufgabe der Politiker, hier durch Unterstützungen adäquate Rahmenbedingungen zu schaffen. Man kann nicht erwarten, dass dieser Impuls von der Wirtschaft ausgeht.

Die Furche: An der Zuwanderungspolitik scheiden sich die Geister. Erhoffen Sie sich, dass man auf diese Weise das Bevölkerungsproblem löst?

Matlary: Ich fürchte nicht. Es geht hier nämlich um mehr als ein ökonomisches Problem. Abgesehen davon, dass die Zuwanderung wirtschaftlich gesehen erst in der zweiten oder dritten Generation greift, und auch dann nur, wenn die Integration in den Arbeitsmarkt gelingt. Genauer betrachtet finde ich den Ansatz gegenüber den Zuwanderern auch ziemlich respektlos: Sind die aus ärmeren Ländern kommenden Frauen etwa jetzt die Gebärmaschinen für uns Reiche? Wir brauchen eine neue Diskussion über Familienpolitik, über die wahre Bedeutung der Familie für die Gesellschaft. Im heutigen Europa spricht man aus ideologischen Gründen aber nur ungern über Familie. Wenn es keine Kinder mehr gibt, geht es um ein viel ernsteres Problem als um die Frage: Wer zahlt die Pensionen von morgen? Es geht um die Einstellung der Gesellschaft zum Leben, zum Menschen.

Die Furche: Norwegen zählt heute zu den europäischen Ländern mit der höchsten Geburtenrate. Worauf führen Sie dies zurück?

Matlary: Wir müssen da von zwei Strömungen sprechen: Einerseits sind junge Menschen kaum bereit, Kinder zu bekommen oder sich überhaupt zu binden. Sie glauben sich frei und sind in Wahrheit Opfer eines konsumistischen Materialismus. Andererseits gibt es eben auch einen neuen Trend. Die, die Kinder haben wollen - und es sind vielfach gut ausgebildete Frauen, die sich dazu entschließen -, haben vier, fünf Kinder, was auch von Seiten der Politik unterstützt wird.

Die Furche: Wie sieht das in der Praxis aus? Mutterschaft ist für die Gesellschaft doch eine kostspielige Angelegenheit.

Matlary: Aber immer noch billiger als Ganztagsbetreuungs-stätten, ganz zu schweigen von den Kosten, die auf Grund der Auflösung der Familie und der negativen sozialen Folgen entstehen. Kinder brauchen ihre Eltern, nicht nur Aufsicht oder Fremdbetreuung. Seit 1997 garantiert der norwegische Staat während des Mutterschaftsurlaubs ein Jahr lang volles Einkommen. Auch das Risiko, die Arbeitsstelle zu verlieren, fällt weg. Darüberhinaus wird gefördert, dass Väter mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen können, ein moderner Ansatz, der auch in der Privatwirtschaft nach und nach Fuß fasst und von jungen Vätern geschätzt wird.

Die Furche: Sowohl als Spitzenpolitikerin wie auch als Universitätsprofessorin arbeiten Sie in Berufen, die immer noch Männerdomäne sind. Hat die Quotenregelung hier versagt? Ist sie ein geeignetes Instrument, um Frauen in Top-Positionen zu bringen?

Matlary: In Norwegen wird das gerade im Wirtschaftsleben diskutiert. Da herrscht vielfach ein Männernetzwerk, das hoch qualifizierte Frauen aus den Führungsetagen, wo die Schaltstellen der Macht und des Geldes liegen, einfach draußen halten will. Die Regierung hat nun vorgeschlagen, dass ein 40-Prozent-Frauenteil in Spitzenpositionen vorgeschrieben wird. Ich bin gegen diese Form der Quotierung, wenngleich sie vielleicht in Extremfällen notwendig sein kann. Aber als Grundsatzlösung dient sie den Frauen nicht. Eine Frau, die ihre Arbeitsstelle nur dank der Quotenregelung bekommt, wird sich immer den Vorwurf gefallen lassen müssen, sie habe den Job nicht wegen ihrer Qualifikation bekommen, sondern nur, weil sie eine Frau ist. Umgekehrt beinhaltet das Prinzip auch eine andere Form der Diskriminierung: dass junge, qualifizierte Männer nicht zum Zug kommen.

Die Furche: Wie haben Sie die Doppelbelastung Karriere und Familie geschafft?

Matlary: Auch bei mir ist die Zeit des Aufbaus der Berufskarriere mit der Zeit des Kinderkriegens zusammengefallen - eine auch rein physisch große Herausforderung. Für mich war es in den ersten Jahren besonders hart. Als ich an meiner Habilitation arbeitete, war ich mit meinem vierten Kind schwanger. Zugleich musste ich so viel wie möglich auf akademischem Boden präsent sein und publizieren. Eines der Hauptprobleme bestand auch darin, eine qualifizierte Haushaltshilfe zu finden. Es ist ein großes Manko, dass die Hausarbeit als berufliche Arbeit noch kaum gefördert wird. Ohne meinen Mann, der mich tatkräftig unterstützte, hätte ich es sicher nicht geschafft.

Die Furche: Was können Frauen in die Politik einbringen, was Männer nicht können?

Matlary: Wer Kinder hat, bleibt mit beiden Beinen am Boden und nimmt sich selbst nicht so ernst. In der Politik herrscht viel Machtstreben und Eitelkeit. Ich glaube, wir Frauen können einiges an Solidaritätsdenken einbringen. Wir schaffen es eher, Dinge zu relativieren und mit gewisser Distanz zu betrachten. Meine elfjährige Tochter ruft mich jeden Tag an, wenn sie von der Schule nach Hause kommt, egal, ob ich im Ausland bin oder bei einem Treffen mit dem Premierminister. Sie fragt mich um Rat für ihre Hausaufgaben, erzählt mir, dass sie ihre Turnschuhe nicht findet und fragt, wann ich nach Hause komme. So etwas wünsche ich auch Männern. Wenn Männer als Väter mehr in das tägliche Leben ihrer Kinder mit einbezogen wären, würden sie in vielen Dinge auch anders denken und reagieren.

Das Gespräch führte Susanne Kummer.

Professorin, Politikerin und vor allem Mutter

Janne Haaland Matlary, 1957 in Mandal, Norwegen geboren, gehört zu den wenigen Frauen, die - als vierfache Mutter - den Sprung in die Weltpolitik geschafft haben. Die Christdemokratin, die mit 24 Jahren zum Katholizismus konvertierte, war von 1997 bis 2000 stellvertretende Außenministerin Norwegens. Sie begann ihre Karriere nach Abschluss des Studiums der Politikwissenschaften als Expertin für Energie- und Sicherheitsfragen. Heute lehrt Haaland Matlary als Professorin für Internationale Politik an der Universität Oslo und ist führende Forscherin für Sicherheitspolitik am Norwegischen Institut für Internationale Angelegenheiten. In ihrem Buch "Blütezeit. Feminismus im Wandel" (St. Ulrich Verlag, Augsburg, 2001) setzt sich Haaland Matlary kritisch mit der europäischen Frauen- und Familienpolitik auseinander und sucht nach Auswegen. Im Herbst 2002 kommt ihr Buch "Warum ich katholisch wurde" auf den deutschen Buchmarkt.

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