Zu fixiert auf den Körper

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Drei junge Frauen diskutieren über Identität und Vorbilder, Männer und Karriere. Und über allem schwebt die Frage, wie sich die Frauenbewegung weiterentwickeln soll.

Drei Frauenbilder: die Schriftstellerin Ana Tajder, die sich in ihrem Roman "Von der Barbie zum Vibrator" mit den Freuden und Wehen der Alphamädchen auseinandersetzt; die Studentin und Feministin Marie Wölbitsch, die dieses Modewort ablehnt, und die Studentin sowie bekennende Muslimin Lajali Abuzahra, die vor allem die Fixierung der Gesellschaft auf das Äußere kritisiert.

Die Furche: Wer sind Ihre Vorbilder?

Marie Wölbitsch: Es sind mehrere Frauen, die mich beeindrucken. Ich könnte nicht eine Person nennen. Auf jeden Fall Alice Schwarzer, Simone de Beauvoir. Dann auch Frauen, die mir im Alltag begegnen.

Lajali Abuzahra: Mir kommt als erstes meine Mutter in den Sinn. Es gefällt mir, wie sie alles - uns Kinder, ihr gesellschaftliches Leben und ihren Beruf - kombiniert hat.

Ana Tajder: Ich muss auch sagen meine Mutter. Sie ist ein 68er Mensch, sie wollte die Welt verändern. Sie hat für Frauen gekämpft und in ihrem Leben gezeigt, dass es funktioniert.

Die Furche: Dabei wollen gerade Töchter oft ganz anders sein als ihre Mütter. Haben Sie das Gefühl, mehr Freiheiten und Chancen zu haben als Ihre Mütter?

Tajder: Meine Mutter ist im damaligen sozialistischen Jugoslawien aufgewachsen. Aus ihrer Sicht war das Land ziemlich weit mit der Gleichberechtigung. Ich kann nur weitermachen, aufbauen auf dem, was sie gemacht und erreicht hat. Der Unterschied ist, dass unsere Generation ihre Sexualität offener lebt. Wir stehen aber auch stärker unter Druck. Früher hat sich eine Frau entscheiden können, bleibe ich zu Hause oder mache ich Karriere. Wir wollen alles.

Abuzahra: Da würde ich zustimmen. Heute wird von dir erwartet, dass du alles locker schaffst: Kinder, Arbeit und kurze Karenzzeit. Das ist eben schwer.

Tajder: Auch in der Arbeitswelt wird heute viel mehr erwartet als früher. Sogar als ich vor elf Jahren angefangen habe, in einem Unternehmen zu arbeiten, war noch weniger Druck als heute.

Wölbitsch: Bei mir ist es komplett konträr. Meine Mutter kommt von den Philippinen, dort herrscht noch ein anderes Frauenbild. Sie war zwar immer berufstätig, sie interessiert sich aber nicht für Politik. Wir haben unterschiedliche Ansprüche.

Die Furche: Würden Sie sagen, Ihre Mutter ist unemanzipiert?

Wölbitsch: Das würde ich nie sagen, das wäre abwertend. Sie hat sich, glaube ich, nie Gedanken darüber gemacht, sie ist zufrieden mit dem, wie ihr Leben verlief: Sie ist verheiratet, berufstätig, hat zwei Kinder großgezogen. Sie hat einen anderen Zugang. Sie sagt immer: Lass die Politik sein, schau auf dein Leben!

Abuzahra: Für mich ist die Frage wichtig, was eine emanzipierte Frau eigentlich ist. Uns wird von Medien und Gesellschaft ein bestimmtes Bild vorgegeben. Wenn ich sagen würde, ich bin eine emanzipierte Frau, würden viele aufschreien und sagen: Das geht nicht, du bist ja unterdrückt, du trägst ein Kopftuch und wahrscheinlich wurde ich vom Vater dazu gezwungen. Wir haben ein bestimmtes Bild von einer emanzipierten Frau, und das ist sicher keine, die ein Kopftuch trägt. Erst vor Kurzem hatte ich ein Erlebnis in der U-Bahn. Eine Frau hat sich nach vor gedrängt, und als ich ihr sagte, dass ich eh auch aussteige, sagte sie zu mir: Mit einer unemanzipierten Frau wie dir rede ich gar nicht.

Die Furche: Ist es für eine Muslimin besonders schwer in dieser Gesellschaft, sich als emanzipierte Frau zu definieren?

Abuzahra: Das Bild von Muslimen in Österreich ist sehr stark von den Medien geprägt. Und von schmutzigen Kampagnen von HC Strache und anderen. Natürlich ist es eine Tatsache, dass es wie in jeder Gesellschaft negative Beispiele gibt, das kann man nicht schön reden. Aber es gibt auch positive Beispiele. Man würde doch auch nicht sagen: Jede Frau mit Minirock ist Opfer des Schönheitsideals einer Gesellschaft. Vielleicht gefällt es ihr einfach und es ist ihre individuelle Entscheidung.

Die Furche: Nehmen Sie als Frau irgendeine Form von Unterdrückung wahr?

Tajder: Ich habe lange in der Privatwirtschaft gearbeitet und alle Statistiken erzählen, was ich erlebt habe: Sechs Prozent der Top-Manager sind Frauen. Es ist immer noch eine männliche Welt. Und es ist immer noch sehr schwierig, als Frau in dieser männlichen Welt zur gleichen Position zu gelangen, speziell wenn man Kinder hat. Aber sogar ohne Kinder ist es schwierig; unsere Chefs sind Männer, unsere Projektpartner sind Männer. Es ist leider so, dass im Business Männer Männer bevorzugen.

Die Furche: Sie als Studentinnen sind noch zehn Jahre jünger. In dieser Lebensphase denkt man doch oft: Wir sind eh vollkommen gleichberechtigt.

Wölbitsch: Wenn jemand hergeht und sagt, es herrsche totale Gleichberechtigung, finde ich das total naiv. Was mich so ärgert, ist diese Zufriedenheit mancher: Wir haben eh schon alles, wir brauchen keine Emanzen und Feministinnen, die keifen doch nur …

Tajder: Gleichberechtigung haben wir auf dem Papier, aber nicht in der Praxis.

Wölbitsch: Genau, wir haben Frauenförderungspläne, Gleichstellungsbeauftragte, und wenn manche sagen "Ist eh alles wunderbar", kann ich nur sagen: Mädchen, wach auf! Denk doch ein bisschen weiter. Es gibt gläserne Decken, noch und nöcher. Ich studiere Veterinärmedizin, 80 Prozent der Studentinnen sind Frauen. Sobald man vom Mittelbau rausgeht, gibt es nur mehr Männer. Ich habe vor Kurzem das Buch von Alice Schwarzer "Die Antwort" gelesen. Da berichtet sie über die Diskussionen in den 80er Jahren. Es hat sich nichts geändert, das macht mich so wütend. Wir treten seit 20 Jahren an der Stelle.

Abuzahra: Es gibt Gleichberechtigung in verschiedenen Sparten, aber oft ist es mehr Anspruch als Realität. Darüber wird in den Medien kaum gesprochen. Man zeigt lieber auf die anderen, zurzeit etwa auf uns Muslime. Warum schaut man nicht, welche Probleme wir alle haben, egal welche Religionszugehörigkeit? Schwierig ist auch, dass wir Frauen uns gegenseitig versuchen, das Leben schwer zu machen, indem wir darüber bestimmen, wer emanzipiert ist. Nicht nur die Männerwelt bestimmt über uns, auch wir Frauen machen es uns gegenseitig schwer.

Die Furche: Sie, Frau Tajder, haben ein Buch über die Freuden und Schwierigkeiten sogenannter Alphamädchen geschrieben. Es wird im Frühjahr auf Deutsch erscheinen. Was sind für Sie Alphamädchen?

Tajder: Alphamädchen sind selbstbewusste, selbstständige, ambitionierte Frauen, die ihre Freiheit genießen, ihr Leben selber bestimmen und versuchen, Gleichberechtigung zu leben. Und das ist gut so.

Die Furche: Und trotzdem haben diese ihre Probleme mit der neuen Freiheit …

Tajder: Die Regeln von früher waren auch eine Art Schutz. Wir sind die erste oder zweite Generation, die ohne diese Regeln aufwächst. Wir müssen unsere Lektionen selber machen, das ist oft schmerzhaft und anstrengend.

Die Furche: Ist es ein lustiges Buch?

Tajder: Ja, diese Phase zwischen 20 und 30 ist für die Alphamädchen eine lustige Phase. Da machen sie Karriere, verdienen ihr erstes Geld, verreisen, entdecken Männer usw. Sie können sich austoben, auch viel lernen, ihre Möglichkeiten testen. Aber früher oder später wachen sie auf. Leider haben wir die biologische Uhr, die die Männer nicht haben. Mitte 30 wachen wir auf und müssen in das Gesicht einer anderen Realität schauen.

Die Furche: Wo man sich entscheiden muss, Familie oder Karriere?

Tajder: Oder irgendwie versuchen muss, beides zu jonglieren.

Die Furche: Als Studentinnen sind Sie gerade in der "fantastischen" Phase, wie es Frau Tajder eben beschrieben hat. Erleben Sie es auch so?

Abuzahra: Mädchen in meinem Umfeld leben zwischen zwei Welten. In der einen zeigen wir, dass wir emanzipiert und gleichberechtigt sind. Die andere, die muslimische Community, müssen wir wachrütteln, dass nicht alles o. k. ist. Das ist viel Arbeit, es ist auch super, man kann viel bewirken.

Wölbitsch: Ich kann mit dem Begriff "Alphamädchen" nichts anfangen. Das hat so was Anbiederndes: Ich bin glamour und mache Karriere. Das grenzt aus, das betrifft nur wenige Frauen. Das Problem ist, dass sich Frauen gegenseitig anfetzen, schon seit jeher. Ich habe mich mit vielen Frauen darüber unterhalten, irgendwas ist im Denken verkehrt, es hat mit Neid zu tun, irgendwas ist in unsere Köpfe reingepflanzt. Es fängt mit dem Aussehen an. Irgendwo ist das Selbstwertgefühl der Frauen verloren gegangen. Eigentlich sind wir doch blöd, wir Frauen lassen uns gegenseitig aufhetzen, von der Karriereleiter runterreißen und unterstützen damit die Männer.

Abuzahra: Ich finde es schön, eine Frau zu sein. Es ist nur schade, dass viele mitspielen, wenn uns Frauenrollen zugeschrieben werden. Unser Körper soll so und so gebaut sein, wir müssen erotisch sein usw. Ich trage das Kopftuch erst seit zwei Jahren. Es war meine Entscheidung, denn alles wird über den Körper definiert, der Mensch steht nicht mehr im Vordergrund, und das möchte ich nicht unterstützen.

Tajder: Wir sind in der dritten feministischen Welle eigentlich dort, wo es angefangen hat: gegen die Frau als Objekt. Die Kolumnistin der New York Times, Maureen Dowd, schrieb kürzlich: Früher haben wir mit Barbies gespielt, heute versuchen wir, Barbie zu sein. Meine Theorie ist folgende: Wegen der neuen starken Alphamädchen haben die Medien sich eine neue Frau ausgedacht, die künstlich übersexualisiert, für den durchschnittlichen Mann unerreichbar und passiv ist.

Abuzahra: Unsere Gesellschaft entscheidet so viel über Äußeres. Als ich noch kein Kopftuch trug, galt ich als exotisch und interessant, nun heißt es: Sicher ist sie Türkin und spricht kein Deutsch.

Tajder: Ist das Kopftuch auch eine Art Rebellion gegen das Übersexualisierte?

Abuzahra: Es hat religiöse Gründe, und es ist auch ein Statement: Nein, ich mache da nicht mit bei diesem Barbiegehabe!

Die Furche: Wie beurteilt Ihr die Männer; leben sie bzw. wollen sie Gleichberechtigung?

Wölbitsch: Ich finde, es ist alles nur Fassade, wenn man nur ein bisschen daran kratzt, dann ist alles noch beim Alten.

Abuzahra: Es gibt auch andere Männer. Ich habe vor eineinhalb Jahren geheiratet. Es ist im Islam verankert, dass Mann und Frau gleichberechtigt sind.

Die Furche: Wie ist bei Euch die Rollenaufteilung?

Abuzahra: Es ist interessant, wenn ich sage, ich bin verheiratet, kommt immer die Reaktion: Wie alt ist der Mann, stört es ihn nicht, dass du studierst? Er ist auch Student, es ist wie Freund/Freundin, nur dass wir einen Vertrag eingegangen sind, die Ehe.

Tajder: Bei den Männern ist es auch so, wie ich zuvor gesagt habe: In der Theorie passt alles, viele Männer wollen emanzipierte Frauen. Nur wenn Familie da ist, dann ändert sich viel. Nicht von Seiten der Männer, aber von Seiten der Gesellschaft. In der heutigen Arbeitswelt ist es ziemlich unmöglich, beides zu koordinieren. Ich sage immer, wir brauchen keinen neuen Feminismus, sondern einen Humanismus: eine Welt, in der der Mensch und nicht der Profit das Zentrale sind. Für mich war es klar, dass es mit der Karriere, die ich bisher verfolgt habe, ziemlich unmöglich sein wird, eine gesunde Balance zu finden.

Wölbitsch: Ich finde, wir brauchen trotzdem einen Feminismus. Warum sollen Männer ihre Position sonst ändern? Humanismus können wir erst fordern, wenn es wirklich Gleichberechtigung gibt. Bis dahin braucht es den Feminismus, um den Männern auf die Finger zu klopfen. Zuerst braucht es einen Dialog unter allen Frauengruppen.

Abuzahra: Männer sollen bei diesem Prozess auch dabei sein.

Tajder: Ich glaube, es braucht beides parallel. Der Feminismus ist an eine Decke angestoßen, er kommt nicht weiter, weil der Humanismus fehlt. Ich sage immer, es wäre ein erster kleiner Schritt, wenn alle Büros um 17 Uhr schließen würden, für alle. Solange Frauen die Kinder vom Kindergarten abholen und Männer währenddessen im Büro bleiben und wichtige Projekte wegschnappen, haben Frauen keine Chancen. Mit guter Organisation müsste die Produktivität nicht leiden.

Wölbitsch: Ich glaube nicht, dass Männer sich ändern, wenn alle um 17 Uhr nach Hause gehen. Dann wird wieder die Frau kochen. Damit ist auch noch nicht die Wahlfreiheit gegeben.

Abuzahra: Frauen glauben oft, sie können die Männer ändern. Man muss sich aber zuvor selber kennen. Viele treffen zu voreilig eine Partnerwahl, erleiden Unterdrückung, egal in welcher Religion.

Wölbitsch: Es ist extrem schwer, den richtigen Partner oder die richtige Partnerin zu finden. Irgendwann bist du unter Zugzwang. Überlegt einmal, wenn ihr sagt, ihr seid glühende Emanzen, dann wird man schwer jemanden finden, der damit d'accord geht ...

Abuzahra: Ich finde es problematisch, was die Gesellschaft vorgibt: freie Sexualität, austoben. Ich finde, es muss jeder selbst entscheiden. Ich denke, es wird problematisch, wenn es zum Lifestyle wird.

Tajder: Mein Buch redet darüber: über das Erwachsen-Werden, sich austoben; ich finde das fantastisch. Ich kann jetzt zurückblicken und sagen, ich verpasse nichts, wenn ich nicht mehr mitmache.

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