Terroristen werden erzogen

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Edit Schlaffer, Gründerin des Anti-Terror-Netzwerks SAVE, über mütterliche Extremismus-Prophylaxe, Frauen als lebende Bomben und die Debatte um ein Burka-Verbot.

Am 6. Mai wird Edit Schlaffer in New York von der US-Nachrichtenagentur Women’s eNews zu einer der weltweit 21 führenden Frauenpersönlichkeiten des 21. Jahrhunderts gekürt. Im FURCHE-Interview spricht die Wiener Sozialwissenschafterin über die Macht der Mütter im Bereich Terrorprävention, Frauen als Selbstmordattentäterinnen – und die enttäuschende Integrationspolitik made in Austria.

Die Furche: Frau Schlaffer, Sie haben jahrelang über das Verhältnis Mann-Frau geforscht und geschrieben. Nun sind Sie vor allem im Bereich Terrorprävention aktiv. Warum dieser thematische Schwenk?

Edit Schlaffer: Ich bin eine Art Chronistin der Frauenbewegung der letzten 30 Jahre. Am Anfang sind wir uns alle sehr couragiert dabei vorgekommen, Selbstverständlichkeiten über den Haufen zu werfen. Zugleich waren wir aber sehr damit beschäftigt, wie es uns selber geht: mit den Männern, mit der Arbeit, mit den Kindern. Dann haben wir unseren Blick geweitet und gesehen, dass Außen- und Friedenspolitik nur von Männern im grauen Nadelstreif gemacht wird, dass Debatten über den Culture-Clash nur von bärtigen Religionsführern abgehandelt werden. Es gibt bis heute nur Symbolfrauen, die als Außenministerinnen in diesen Quartetten herumtanzen. Doch das ist zu wenig. Frauen müssen auf allen Ebenen massiv dabei sein. Das war der Grund, „Frauen ohne Grenzen“ und schließlich SAVE (Sisters Against Violent Extremism) zu gründen.

Die Furche: Warum sollen ausgerechnet Frauen im Bereich Terrorbekämpfung schaffen, worin Männer so kläglich versagen?

Schlaffer: Weil genau der zivilgesellschaftliche und familiäre Bereich, in dem Frauen aktiv sind, bisher komplett übersehen wurde. In Ländern wie Afghanistan, Palästina oder Pakistan leben ja 50 bis 70 Prozent Jugendliche, die in ihrer Hoffnungslosigkeit sehr gewaltbereit sind. Und Mütter sind dabei die zentralen Bezugspunkte. Terroristen fallen ja nicht vom Himmel, sie werden erzogen. Wenn wir nun sehen, dass in Palästina Mütter die zukünftigen Märtyrer feiern, dass sie ihnen zum Abschied ihren Segen mitgeben und ihnen alles Gute wünschen für den Weg in den Himmel, dann ist etwas schiefgelaufen. Es ist sinnlos, einerseits Terroristen einzufangen, aber dort, wo die Ideologie produziert wird, nicht aktiv zu werden. Hillary Clinton meint genau das, wenn sie von „Smart Power“ spricht.

Die Furche: Ist es nicht illusorisch, zu hoffen, dass sich Halbwüchsige, die in fundamentalistische Zirkel geraten sind, von ihren Müttern umstimmen lassen?

Schlaffer: Ich glaube schon, dass es Möglichkeiten gibt. Ich habe selbst zwei Kinder durch eine bewegte Pubertät begleitet. Wichtig ist, dranzubleiben, nicht aufzugeben, Alternativen anzubieten. Die jungen Leute hören schon hin, auch wenn sie es nicht zugeben. Wenn ich an unsere Gespräche mit Müttern von jungen Dschihadis in England denke, so haben die schon sehr früh gespürt, dass ihre Söhne in eine falsche Richtung gehen: Plötzlich sind sie nur noch in die Moschee gegangen und haben sich dort mit den düstersten Figuren getroffen. Eine Mutter hat uns erzählt, es sei ihre Taktik gewesen, die Kerle, mit denen sich ihr Sohn umgeben hat, nach Hause einzuladen, um ihn aus diesem toxischen Milieu herauszuholen.

Die Furche: War diese Taktik erfolgreich?

Schlaffer: Ja, wobei sie noch erfolgreicher gewesen wäre, wenn die Mutter den Mut gehabt hätte, mit anderen Müttern darüber zu sprechen. Wir versuchen deshalb im Jemen, in England und in Pakistan, die Mütter zusammenzubringen, damit sie sich dieses Problems und ihrer Möglichkeiten aufgrund ihrer traditionell starken Position in der Familie bewusst werden.

Die Furche: Es gibt aber auch das Phänomen, dass Frauen selbst zu lebenden Bomben werden, zuletzt in der Moskauer Metro …

Schlaffer: Natürlich. Deshalb arbeiten wir auch mit Frauen wie jener palästinensischen Gemeindepolitikerin zusammen, die bei einer SAVE-Konferenz große Probleme gehabt hat, unsere Charta zu unterzeichnen, in der das Gespräch mit unseren sogenannten Feinden vorausgesetzt wird. Da waren nicht alle „Schwestern“ unseres Netzwerks begeistert. Doch durch Personen wie sie erreichen wir auch Mütter, die hardcore sind. In Palästina gibt es auch jene junge Frau, die gemeinsam mit einem Freund zu einem israelischen Checkpoint gegangen ist, um sich in die Luft zu sprengen. Doch am Ende ist sie umgekehrt und sitzt nun in einem Hochsicherheitsgefängnis. Wir versuchen sie gerade zu finden, denn ihre Stimme brauchen wir draußen in der Welt, damit sie den Jungen erklärt, warum sie umgekehrt ist, warum sie Angst bekommen hat. Angst ist ja ein wichtiger Indikator, um Halt zu sagen. Darum sind Frauen auch so wichtig, weil sie eher zu ihren Ängsten stehen.

Die Furche: Angst spielt auch hier in Österreich eine Rolle – nämlich gegenüber dem Islam. Oft dient das Kopftuch als Chiffre für dieses Unbehagen, wobei es interessante Schulterschlüsse zwischen Feministinnen und Rechtspopulisten gibt. Alice Schwarzer spricht etwa vom Kopftuch als „Flagge der islamistischen Kreuzzügler“ …

Schlaffer: Ich finde diese Aussage problematisch, weil sie uns nicht zusammenbringt, sondern trennt. Die Kopftuchfrage ist ja eng verknüpft mit der Identitätssuche, und unglücklicherweise sind wir nicht sehr gut vorbereitet auf die Identitätssuche der jungen muslimischen Bevölkerung. Europa befindet sich ja selbst in einer riesigen Identitätskrise. Jetzt kommen noch die Musliminnen mit ihrer Suche nach einem Platz in unserer Gesellschaft dazu. Und wenn sie diesen Platz nicht finden, werden sie sich nach hinten wenden. Natürlich muss es ihnen erlaubt sein, ihre Eigenheiten auszudrücken. Das heißt aber nicht, dass man als potenzielles Sicherheitsrisiko voll verschleiert durch unsere Straßen gehen kann.

Die Furche: Wären Sie für ein Burka-Verbot, wie es nach Frankreich und Belgien nun auch in Österreich diskutiert wird?

Schlaffer: Nein, ein Burka-Bann wäre total kontraproduktiv. Es ist ja nicht einmal abzuzählen, wie viele Burka-Trägerinnen es gibt. Außerdem erreichen wir auf der legistischen Ebene überhaupt nichts. Wir müssen vielmehr die Dialogebene suchen. Doch hier sehe ich in Österreich ein großes Vakuum. Pompöse Treffen verschiedener Religionsvertreter waren unter Kardinal König sicher innovativ. Aber wenn einem heute nicht mehr dazu einfällt, ist das ein Armutszeugnis. Es braucht emotionalere Zugänge: Etwa jene des european grouptheaters, das mit muslimischen und nichtmuslimischen Kindern Theaterstücke erarbeitet und sie vor Schulklassen präsentiert. Oder unser Projekt „Das bin ich und wer bist du?“, in dem Jugendliche mit oder ohne Migrationshintergrund die Lebenswelt der jeweils anderen erkunden – mit Hausbesuchen, gemeinsamem Kochen oder Videoclips auf Youtube. Es geht darum, wie Anthropologinnen und Anthropologen mit Forscherblick fremdes Terrain zu erkunden. Genau das möchten wir auch bei „Frauen ohne Grenzen“ und SAVE erreichen. Unsere Politiker könnten noch viele weitere Akzente setzen. Doch sie sind leider so langweilig, dass es erschütternd ist.

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