"Das Kopftuch Schreit Mich An"

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"Womit haben wir das verdient?", fragt Eva Spreitzhofers Culture-Clash-Komödie. Ein Streitgespräch über Konversion, Identität und Verbote.

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"Womit haben wir das verdient?", fragt Eva Spreitzhofers Culture-Clash-Komödie. Ein Streitgespräch über Konversion, Identität und Verbote.

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Diskussionen rund um das Thema Islam sind meist schwierig. Die Fronten scheinen verhärtet, wie auch die Diskussion über ein Kopftuchverbot an Schulen zeigt. Umso mehr überrascht der Zugang, den Regisseurin und Drehbuchautorin Eva Spreitzhofer für ihren Film "Womit haben wir das verdient?" gewählt hat (siehe rechts). Es ist eine Komödie über ein 16-jähriges Mädchen einer liberalen, atheistischen Patchworkfamilie, das zum Islam konvertiert. Stoff genug für eine Debatte, zu der DIE FURCHE neben Spreitzhofer auch die Philosophin Amani Abuzahra und den Soziologen Kenan Güngör geladen hat. Und auch diese Auseinandersetzung hatte es in sich.

DIE FURCHE: Frau Spreitzhofer, Ihr Film platzt mitten in eine neue Kopftuch-Debatte. Was hat Sie dazu bewogen, dieses polarisierende Thema komödiantisch aufzugreifen?

Eva Spreitzhofer: Gerade weil das Thema so komplex ist, wollte ich eine Komödie machen, über die Menschen mit völlig unterschiedlichen Meinungen lachen können. Ausgangspunkt war vor ein paar Jahren eine Diskussion in einer Elternrunde, in der wir überlegt haben, welche schrecklichen Dinge in der Pubertät der Kinder auf uns zukommen würden: Drogen, Schuleschwänzen, Schwangerschaft, Rechtsradikalismus usw. Ich habe damals gesagt, dass es für mich am schlimmsten wäre, wenn meine Tochter religiös werden und ein Kopftuch tragen würde. Alle, die mich als antireligiöse Feministin kennen, haben das sehr lustig gefunden. Und wenn das Schlimmste eintritt, was sich eine Protagonistin vorstellen kann, dann schreit das nach einer Komödie. Im französischen Film "Monsieur Claude und seine Töchter" war es eine katholische großbürgerliche Familie, die von den Töchtern vor den Kopf gestoßen wurde; und bei mir ist es die feministische Ärztin Wanda, die wie ich der Meinung ist, dass es 2018 nicht mehr zeitgemäß ist, Frauen in ehrbare und nicht ehrbare Frauen einzuteilen.

DIE FURCHE: Wie gut und amüsant finden Sie den Film, Frau Abuzahra?

Amani Abuzahra: Er lässt viele Möglichkeiten zu, das Thema aus mehreren Perspektiven zu diskutieren. Man sieht die Seite der atheistischen Mutter, deren Tochter genau mit dem kommt, was sie für antifeministisch hält; doch die Tochter selbst definiert das Kopftuchtragen als feministischen Akt! Spannend finde ich auch, dass Personen wie der Schuldirektor oder der Mann von der Deradikalisierungsstelle sehr besonnene Positionen einnehmen und sagen: Das ist eben Teil der Identitätsfindung, man muss im Gespräch bleiben. Das halte ich auch im echten Leben für wichtig.

Spreitzhofer: Interessanterweise hat mir unlängst bei einem Screening eine Frau vorgeworfen, dass sich der Film über Muslime lustig machen würde. Dabei gibt es darin viele Szenen, über die nur Muslime lachen können. Ich denke etwa an jenen Burschen in der Moschee, der immer alles haram findet, aber andere ordinär beschimpft und der das verrutschte Kopftuch von Nina kritisiert, weil er beim heimlichen Rauchen im Ramadan erwischt wird.

Kenan Güngör: Gerade weil der Film zeigt, dass keiner von uns frei von Widersprüchen ist, finde ich ihn so gut und lustig. Er bietet eine Form von dekonstruktivistischer Entspannung in einer wahnsinnig verkrampften, ideologielastigen Debatte.

DIE FURCHE: Der Ausgangspunkt des Films ist eine Konversion zum Islam. Wie oft kommt so etwas eigentlich heute vor?

Güngör: Es gibt keine Zahlen, aber das Phänomen nimmt grundsätzlich zu, auch wenn die Fälle im Vergleich verschwindend sind. Oft spielen hier Sehnsuchtsmomente eine Rolle, Mädchen tragen Kopftuch, weil sie sich in muslimische Jungs verlieben, bei Burschen ist auch das Fehlen des Vaters ein Thema, es werden Auswege gesucht, insbesondere in sozial belasteten Familien. Das alles findet vor dem Hintergrund eines demografischen Wandels statt: Wir haben Schulen und Nachbarschaften, in denen die muslimische Bevölkerung die Mehrheit stellt. Es kann sein, dass muslimische Freunde fragen: Welche Religion hast du denn? Hast du überhaupt eine? Hier atomisiert zu sein, gilt als Schwäche. Dazu kommt ein Bedürfnis nach Komplexitätsreduktion. Konversionen finden deshalb häufig in sehr konservativen Ausprägungen des Islams statt. Und weil Konvertiten einen höheren Legitimationsaufwand haben, sind sie öfters auch die größeren Fanatiker.

Abuzahra: Zu Konversionen gibt es in Österreich nur Klischees, aber weder Zahlen noch Studien. Ich verstehe grundsätzlich, dass man sagt: Wenn ich mich schon für etwas anderes entscheide und den Schritt aus dem Elternhaus mache, dann habe ich auch einen bewussteren Zugang. Aber das heißt nicht automatisch, dass man deswegen fanatisch sei. Klar ist, dass viele Menschen angesichts von Globalisierung und Pluralisierung auf Sinnsuche sind. Auch vom Buddhismus sind viele fasziniert, aber der Islam ist derzeit sicher medial präsenter, das könnte einen gewissen Effekt haben.

Spreitzhofer: Jetzt muss ich meinen Film noch einmal einordnen, denn er erzählt ja nicht eins zu eins die Realität! Erstens sind es meist keine Mädchen aus Bobo-Feminismushaushalten, die konvertieren; und zweitens ist der Hauptfokus bei mir die maximale Provokation gegenüber der Mutter. In einer Szene sagt der Vater: Dieses Kopftuch ist so hinterwäldlerisch. Kannst du es nicht einfach nicht tragen, das tragen ja so viele nicht! Nina antwortet: Dann würdet ihr meine Religion doch gar nicht ernst nehmen!

DIE FURCHE: An einer anderen Stelle meint Nina, die "Generation Porno" werde beschimpft, weil sie sich ständig ausziehe - und sie würde sich nun eben anziehen ...

Spreitzhofer: Ja, sie benützt feministische Argumente und rechtfertigt damit das Frauenbild des konservativen Islam, das -wie auch jenes der Rechten -Frauen unsichtbar, sittsam, schamhaft machen will. Das ist auch das Perfide an der aktuellen Kopftuch-Diskussion. Ich halte es für eine Katastrophe, dass sich die Linken, die Fortschrittlichen, dieses Thema von den Rechten aus der Hand haben nehmen lassen und zur Verschleierung keine Position haben außer: Jede soll machen können, was sie will!

Güngör: Die linken, eigentlich feministischen Parteien waren bisher nicht imstande, sich kongruent zu positionieren, weil sie traditionell eine starke anwaltliche Funktion gegenüber Minderheiten haben.

Spreitzhofer: Vermutlich. Aber ich bin auf der Seite jener liberalen Muslimas, die das Kopftuch als patriarchales Unterdrückungsinstrument begreifen und bekämpfen. Sie sagen: Auch in Ägypten, Syrien und Tunesien hat es das früher nicht gegeben.

Abuzahra: Bitte differenzieren: Es hat in diesen Ländern unterschiedliche Politiken gegeben, aber das heißt nicht, dass das Kopftuch am Land nicht getragen worden wäre.

Spreitzhofer: Aber man braucht sich nur Fotos aus den 1960er-und 70er-Jahren anzuschauen, um den Unterschied zu merken. Abuzahra: So wie Sie es darstellen, gibt es nur die Islamisten, die das Kopftuch für sich benützen, und die Frauen, die sagen, man muss es ja nicht tragen. Doch es gibt auch noch andere: jene, die sagen, ich finde es wichtig, möchte es aber nicht tragen; oder jene, die sagen: für mich hat das Kopftuch eine hohe Relevanz, weil es in den Primärquellen des Islam steht, es bedeutet Religionsfreiheit und einen Bezug zum Schöpfer. Die Deutungshoheit sollte schon bei den muslimischen Frauen selbst bleiben. Es gibt eben eine große Vielfalt, das kommt in meinem Buch "Mehr Kopf als Tuch" vor.

Güngör: Ich finde es bemerkenswert, dass Sie in dieser Vielfalt ausgerechnet die wichtigste Strömung nicht erwähnt haben, nämlich die islamistisch-konservativen Bewegungen in der muslimisch-arabischen Welt, bei der die Männer den Frauen vorschreiben, wie sie sich zu kleiden haben. Müssten sich Musliminnen, die ihre Selbstbestimmungsrechte betonen, nicht tausend Mal mehr über das aufregen?

Abuzahra: Ich verwahre mich gegen die Unterstellung, das auszublenden. Sie haben selbst von der islamisch-arabischen Welt gesprochen, aber ich spreche aus der europäischen Perspektive. Außerdem gibt es die innermuslimische Kritik, dass die Männer Platz für die Frauen machen sollen, auch in meinem Buch. Man sollte aufpassen, Frauen nicht wieder zu Objekten zu machen.

Güngör: Die Vielfalt und Selbstbestimmung im Islam gibt es natürlich, doch das ist leider noch ein Minderheitenprogramm. Das, was in der islamisch-arabischen Welt passiert, geht hingegen mitten durch unsere Gesellschaft durch, wir bemerken eine konservative Durchspülung in Teilen unserer Communitys, und das Kopftuch ist mittendrin.

Spreitzhofer: Ich war bei der Feier zum 20-jährigen Bestehen der Muslimischen Jugend Österreich dabei. Dort wurde ein Theaterstück aufgeführt, bei dem es um feministische Themen ging: Die Mädchen, die Muslimas dargestellt haben, haben alle Kopftücher getragen, und jene, die keine Muslimas waren, keine -das war die Unterscheidung. Dann habe ich mir den Bücherstand angeschaut, und die Inhalte in den Büchern glorifizierten ein unglaublich reaktionäres Frauenbild. Wenn so etwas bei der FPÖ aufliegen würde, wäre das ein Skandal -und zu Recht.

Abuzahra: Hier wird einiges verzerrt. Wis sen Sie, dass die beiden Vorsitzenden der Muslimischen Jugend eine mit und eine ohne Kopftuch sind? Meines Wissens verkauft die MJÖ auch keine Bücher, insofern dürfte das ein externer Anbieter gewesen sein. Solche Literatur ist aber definitiv fehl am Platz. Dass es Literatur gibt, die ein patriarchales System stützt, ist ein Problem. Aber das gibt es auch in der katholischen oder jüdischen Community.

Spreitzhofer: Bei einer Veranstaltung der katholischen Jugend eher nicht mehr. Und wenn, wäre es genauso prolematisch. Aber haben Sie kein Problem damit, wenn das Kopftuch - auch von der "Generation haram" in der Schule -als Zeichen "ehrbarer" Frauen gesehen wird?

Abuzahra: Woher die Einteilung: ehrbare und nicht ehrbare Frauen? Das ist Ihre Projektion. Üblicherweise gibt es in muslimischen Familien Vielfalt, manche tragen das Kopftuch, manche nicht. Die werten sich nicht gegenseitig ab. Jede soll für sich entscheiden dürfen, was sie trägt oder nicht. Ohne, dass antireligiöse Feministinnen ihnen diese Sichtweise unterstellen.

Güngör: Diese Freiheit gibt es aber oft nicht. Es gibt ja die fundamentalistische Vorstellung, dass ein Mann sündigt und in die Hölle kommt, wenn er eine unverschleierte Frau sieht, es gibt also für ihn die soziale Norm zu sagen: Du musst ein Kopftuch tragen! Und auch Mädchen wird permanent vorgeschrieben, sich so oder so zu kleiden.

Spreitzhofer: In einem der Bücher vom Büchertisch stand: Wenn Mädchen in die Pubertät kommen, wollen sie das Kopftuch nicht mehr tragen. Deshalb besser schon ab sieben Jahren, denn dann wird es so selbstverständlich, dass sie es nicht mehr ablegen. Und wenn dann auch noch der Alltagsrassismus dazu kommt und sie auf der Straße bespuckt werden, steigert das das Zugehörigkeitsgefühl zur Community noch mehr.

Abuzahra: Gut, dass Sie einmal das wirkliche Problem ansprechen: Es gibt eine unglaubliche Diskriminierung gegenüber sichtbaren Musliminnen! Darüber hinaus verstehe ich nicht, wie ich dazu komme, hier die intellektuelle Putzfrau zu spielen und ein Klischee und Vorurteil nach dem anderen aufzuräumen.

Güngör: Es ist tatsächlich so, dass Mädchen wie Frauen mit Kopftuch auf der Straße oft mit Blicken angesehen werden, die töten könnten. Und auf diesem Boden wird derzeit über ein Kopftuchverbot diskutiert!

DIE FURCHE: Apropos: Die Regierung will dieses Verbot vom Kindergarten bis zum Ende der Volksschule ausdehnen, Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) sogar bis zum Alter von 14 Jahren -und die NEOS wollen überhaupt eine "religionsfreie Schule". Was halten Sie davon?

Güngör: Für mich ist der Punkt, dass das Kopftuch -anders als ein kleiner Kreuzanhänger oder Halbmond -ein starkes religiöses Symbol ist. Wenn ich eine verschleierte Frau sehe, dann schreit mich das Kopftuch an, es imprägniert die Interaktion. Deshalb würde ich trotz aller Schwierigkeiten ein Kopftuchverbot bis 14 Jahre für richtig halten. Doch man muss das auch mit Aufklärung und Unterstützung verbinden. Das macht diese Regierung mit ihrem Rechtspopulismus aber nicht, deshalb kommt das Verbot leider von der falschen Seite.

Spreitzhofer: Ich denke, die Schule sollte ein Raum sein, in dem es generell mehr "um Kopf als um Tuch" geht. Wenn wir Kinderüber Religionsrechte stellen, dann reicht mir schon ein Kind, das nicht mehr zum Kopftuch gezwungen wird, als Argument für ein Verbot. Außerdem gibt es einen wichtigen Satz aus den 1970ern, der lautet: Das Private ist politisch. Das gilt für mich bei diesem Thema auch.

Abuzahra: Also ich halte das Kopftuchverbot in der Schule für einen massiven Einschnitt in die Freiheitsrechte. Wir leben in einer Demokratie, in der die Religionsfreiheit gilt und religiöse Bildung sowie religiöse Freiheit in den Menschenrechtskonventionen gewahrt sind. Statt etwas zu verbieten sollten wir lieber die Mädchen stärken. Und wir sollten auch unsere kulturelle Ambiguitätstoleranz trainieren, also die Fähigkeit, mit Widersprüchen umzugehen. Es gibt eben Menschen, die anders leben, lieben und glauben.

Güngör: Aber man muss sich notfalls auch einmischen dürfen. Solche Einwürfe laufen nicht ohne innere Widersprüche ab, auch bei mir nicht, aber wenn man in heiklen Fragen ohne Ambivalenzen bleibt, hat man sowieso ein Problem.

VERANSTALTUNGSTIPP: Zur Situation von Musliminnen in Österreich findet am 5.12. auch eine Debatte im NEOS-Lab Wien statt (s. Tipp S. 24).

Ich halte es für eine Katastrophe, dass sich die Linken das Thema Kopftuch von den Rechten aus der Hand haben nehmen lassen und nur sagen: Jede soll machen können, was sie will!(Eva Spreitzhofer)

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