Zwischen Fakten und FEHLSCHLÜSSEN

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Die Berichte über sexuelle Übergriffe von Asylwerbern häufen sich. Wie sich das erklären lässt - und was dringend getan werden sollte.

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Die Berichte über sexuelle Übergriffe von Asylwerbern häufen sich. Wie sich das erklären lässt - und was dringend getan werden sollte.

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"Junger Afghane, Asylwerber, alkoholisiert, fällt über Frau her" - Meldungen wie diese waren in letzter Zeit wiederholt zu lesen und verschärfen die Stimmung im Land. Doch ist die Angst statistisch berechtigt? Wie objektiv berichten die Medien? Unter welchen Bedingungen werden Asylwerber straffällig und was kann man präventiv tun? Zunächst zu den nackten Zahlen: 168 Asylwerber wurden im Vorjahr laut Bundeskriminalamt wegen eines Sexualdeliktes angezeigt, das entspricht 4,7 Prozent aller angezeigten Sexualstraftaten. Auffällig ist der stark gestiegene Anteil afghanischer Staatsbürger. Lag dieser Ende der 2000er-Jahre noch bei drei bis fünf Prozent, ist er im Vorjahr auf 46 Prozent gestiegen. Schon seit neun Jahren zählt Afghanistan zu den Top drei der Herkunftsländer von Asylsuchenden, unter ihnen sind auch viele unbegleitete Minderjährige.

Viele Begünstigungsfaktoren

"Erstens erleben diese jungen Männer ohne Partnerin eine starke sexuelle Frustration", gibt Soziologe Kenan Güngör zu bedenken. "Zweitens kommen sie aus einem religiösen und kulturellen Umfeld, wo Frauen nicht sichtbar sind. Diese Männer haben Ehrencodes verinnerlicht, die westlich gekleidete Frauen schnell als 'Schlampen' abwerten, was die Legitimation eines Übergriffs in ihren Augen erhöht." Eine Vergewaltigung gilt in den arabischen Herkunftsländern vielfach als "Kavaliersdelikt", der praktisch nicht geahndet wird, sondern den weiblichen Opfern die Schuld zuschreibt. Obendrein sind muslimische Asylwerber den Konsum von Alkohol nicht gewohnt. "Alkohol enthemmt, die persönliche Verantwortung schwindet, die Männer stacheln sich gegenseitig auf und dann wird es schnell zur Hetz', Frauen zu jagen", weiß Psychoanalytikerin Rotraud A. Perner. "Wer in der sozialen Hierarchie ganz unten ist und zudem kein gereifter Mensch ist, entwickelt schnell einen Hass auf alle Bessergestellten, vor allem, wenn das ungewohnter Weise Frauen sind." Ein zusätzlicher Push-Faktor ist die Gewaltbereitschaft von Burschen in der Pubertät, welche Anfang 20 rapide sinkt. "Sobald die Männer arbeiten, heiraten, Kinder haben, spielt die männliche Peer Group nicht mehr diese Rolle", weiß Güngör. Auch müsse eine kriegsbedingte Traumatisierung nicht unbedingt dazu führen, dasselbe jemand anderem anzutun, wie Perner betont: "Prägend ist vielmehr, welchen Umgang mit Frauen man aus der eigenen Familie kennt und als normal erachtet."

Tatsächlich wird jeder zweite Asylwerber im jährlichen Schnitt angezeigt, wie eine Statistik des Bundeskriminalamtes der Jahre 2003 bis 2014 zeigt. Sexualstraftaten machen aber nur 1,2 Prozent der Asylwerber-Kriminalität aus - unter Österreichern sind es mit 1,6 Prozent etwas mehr. Zwei Drittel aller Delikte fallen in die Bereiche Drogenund Eigentumskriminalität. Denn viele Flüchtlinge sollen Geld zu ihren Familien in die Krisenregionen schicken, das sie als Asylwerber nicht verdienen können, oder müssen hohe Summen an Schlepper zahlen.

Dass eine große Anzahl jüngerer Männer nach Österreich einwandert, ist per se nichts Neues. Der große Unterschied zur aktuellen Situation ist, dass die Gastarbeiter der Sechziger- und Siebzigerjahre Job, Einkommen und Tagesstruktur hatten. "Die Flüchtlinge aber warten oft lange auf einen Asylbescheid, hängen ohne Perspektive im luftleeren Raum, sehen überall Konsumangebote, aber können nicht teilhaben", betont Güngör. All das seien Begünstigungsfaktoren, die nicht nur Alkohol oder Spielsucht fördern, sondern die Leute in die Illegalität, etwa in den Drogenhandel, ziehen. Die Landespolizeidirektion Wien sieht sich trotz eigener Abteilung für Kriminalprävention nicht zuständig für das Problem. Auch das Bundeskriminalamt verweist bloß auf die neuen, achtstündigen Wertekurse für Asylwerber und die Grundwerte-Broschüre des Innenministeriums.

Im Grunde sei jegliche Beschäftigung, ob Deutschkurs, Schule, Arbeitstraining oder Job, sowie jede Art von Beziehungsarbeit oder Hilfsangebot eine Form der Prävention, betont Klaus Priechenfried vom Verein Neustart Wien, der Straffälligen eine Resozialisierungshilfe bietet. Wenn es bereits zu einer Straftat gekommen ist und sich ein Zusammenhang zur religiösen und ethnischen Haltung gegenüber Frauen zeigt, versucht Neustart religiöse oder migrantische Vereine miteinzubeziehen. "Dann sind wir mit Imamen in Kontakt und es stellt sich heraus, dass der Betroffene den Koran falsch versteht, wenn er glaubt, auf Frauen losgehen zu dürfen", berichtet Priechenfried. Die Konfrontation mit Kulturen, in denen die islamische Scharia gilt, hält Perner für eine totale Überforderung unserer Gesellschaft: "Plötzlich muss man sich mit Menschen konfrontieren, die weder die alte, inzwischen weitgehend abgelehnte katholische Sexualmoral vertreten, noch die Werte der sexuellen Revolution." Und je tabuisierter Sexualität in einer Gesellschaft ist, umso sexualisierter ist diese Gesellschaft.

Bessere Sicherheitskonzepte gefragt

Umso wichtiger ist Prävention: Erstens sollte man gedanklich zulassen, dass man selbst in eine gefährliche Situation geraten könnte. Und zweitens sollte man wachsam sein, wenn sich etwa alkoholisierte Horden von Männern zusammenrotten. Gerade in der Sommer-und Badezeit ist eine erhöhte Aufmerksamkeit gefragt. "Intuition ist ein wichtiges Präventivinstrument, das geschult gehört, und nicht abgewertet", meint Perner. Die feministische Position nach dem Motto "Warum sollten wir Frauen uns einschränken?" hält sie für nachvollziehbar, aber praktisch unklug. Stattdessen sollten Selbstverteidigungs-Kurse zum Standard jedes Turnunterrichts für Mädchen gehören. "Und die zuständigen Politiker sind gefordert, mit den Betreibern von gefährdeten Stadtpunkten wie dem Praterstern bessere Überwachungssysteme zu erarbeiten."

Der mediale Umgang mit dem Thema bleibt heikel: Weder sollen Straftaten von Flüchtlingen oder Migranten unter den Teppich gekehrt werden, noch sollen Vorurteile geschürt werden. Im ECRI-Bericht 2015 der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz heißt es über die österreichische Presse: "Auch die traditionellen Medien veröffentlichen eindeutig rassistische Inhalte [...] Vorurteile werden geschürt und Roma, Asylsuchende und andere schutzbedürftige Gruppen als Kriminelle dargestellt." Diesen Trend kann Aga Trnka-Kwiecinski, Kommunikationswissenschaftlerin mit dem Fokus Migration und Gender, auch für 2016 bestätigen. "Dass nun auch Qualitätsblätter immer wieder Schlagzeilen oder Artikel veröffentlichen, die reißerischer sind als notwendig, ist neuer." Zuletzt musste der Falter eine Rüge vom Presserat einstecken -eine Cover-Illustration zu den Ereignissen der Kölner Silvesternacht wurde als "pauschalverunglimpfend" eingestuft.

Andere Wahrnehmung von Flüchtlingen

"Wären die Täter in Köln deutsche Hooligans gewesen, hätte die Nachricht nicht so weite Kreise gezogen", glaubt auch Güngör. Für Straftaten von Flüchtlingen gebe es eine erhöhte Aufmerksamkeit, eine politisch instrumentalisierte und verzerrte Wahrnehmung. Denn durch die Übergriffe wurden die Dankbarkeitserwartungen der Aufnahmegesellschaft enttäuscht, welche Güngör für durchaus gerechtfertigt hält. "Wegen der vielfach praktizierten Sippenhaftung sollte die Mehrheit der schuldlos gebliebenen Flüchtlinge auf etwaige Ressentiments im Alltag vorbereitet werden", meint Perner. Die soziale Beratung und Kontrolle solle am besten aus der eigenen Community kommen, um bei den muslimischen Männern Anklang zu finden: "Die Sozialarbeiter, Pädagogen, Psychologen unter ihnen müssten ihren Landsleuten erklären, was in Österreich alles nicht geht, damit nicht jeder muslimische Mann als Berserker abgetan wird", so die evangelische Theologin.

Wie die österreichische Gesellschaft im Zuge der Flüchtlingskrise zwischen Extremen schwankt und plötzlich aus Opfern Kriminelle machte, hat wohl viel mehr mit ihrem eigenen psychischen Zustand zu tun als mit den Flüchtlingen. Wie also das Thema in den Griff bekommen? "Weder durch Verklärung noch durch Dämonisierung, sondern durch mehr Ernst in der Sache und weniger Hysterie in der Kommunikation, kritisch, aber nicht gehässig", ist Güngör überzeugt. Zielt man nämlich ständig auf die Flüchtlinge, so schießt man nicht nur am eigentlichen Problem vorbei, sondern provoziert eine explosive Gegenhaltung.

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