Die Krux mit dem PAUSCHALVERDACHT
Mit der heurigen kölner silvesternacht wurde die aufmerksamkeit auf ein Problem gelenkt, das auch in Österreich allgegenwärtig ist: "Ethnic profiling", die kontrolle von Personen wegen ihres aussehens.
Mit der heurigen kölner silvesternacht wurde die aufmerksamkeit auf ein Problem gelenkt, das auch in Österreich allgegenwärtig ist: "Ethnic profiling", die kontrolle von Personen wegen ihres aussehens.
Herr A. ist in Wien geboren und aufgewachsen, seine Eltern kommen aus Bosnien. Mitte April 2015 pendelt er gemeinsam mit zwei Kollegen zur Arbeit nach St. Pölten. Ein Polizeibeamter sieht Herrn A. kurz an, zeigt auf ihn und sagt zu seiner Kollegin: "Den schaust dir an!" Herrn A. ist es sehr unangenehm, als einziger herausgepickt zu werden, und vermutet, dass es an seinem "nicht-österreichischen Aussehen" liegt: Er erkennt in dem Vorgehen der Polizei ein "ethnic profiling". Der Kollege von Herrn A. weist die Polizistin darauf hin, dass es nicht das erste Mal sei, dass nur Herrn A.s Ausweis überprüft wird. Darauf kontrolliert die Polizistin auch die beiden Kollegen. Herr A. wendet sich mit einer Beschwerde an die Antidiskriminierungsstelle ZARA und das Innenministerium (BMI). In der Beantwortung des BMI heißt es, die betreffenden Beamten könnten sich nicht mehr an die Kontrolle erinnern, würden aber das beschriebene Vorgehen bestreiten. In Schulungen würde man den Kontrollbeamten sehr wohl näherbringen, bei Stichprobenkontrollen nicht auf die ethnische Herkunft zu achten.
Die Grenzen der Verhältnismäßigkeit
Das Gesetz ist klarer als der hier beschriebene Fall aus dem Rassismusreport 2015: In Österreich ist "ethnic profiling" verboten. Eine allgemeine Ausweispflicht gibt es nicht. Polizeiliche Identitätsfeststellungen benötigen immer eine konkrete rechtliche Grundlage. Daher untersagt das Innenministerium seinen Mitarbeitern, Personenkontrollen nur aufgrund des Aussehens von Personen durchzuführen. Betroffene können in dem Fall Beschwerde einbringen. (Wird die Beschwerde allerdings als unbegründet abgewiesen, besteht für den Beschwerdeführer ein nicht unerhebliches Kostenrisiko.)
Soweit die ungetrübte Theorie. Doch gibt es nicht auch Ausnahmesituationen wie die Kölner Silvesternacht, die wegen der massenhaften sexuellen Belästigungen im Vorjahr strengere polizeiliche Maßnahmen erfordern? Der heurige Kölner Silvester verlief zwar glimpflich im Vergleich zum Vorjahr, doch in anderen deutschen und österreichischen Städten ging es weniger glimpflich zu -etwa in Augsburg, Hamburg oder Dortmund. Auch in Innsbruck, Salzburg und Wien wurden sexuelle Übergriffe bekannt. Ist es also in der Silvesternacht zulässig, Menschen zu kontrollieren, weil sie einer bereits auffällig gewordenen Gruppe angehören? Welches Argument wiegt hier schwerer -Sicherheit und polizeiliche Präventionsmaßnahmen oder Diskriminierung und institutioneller Rassismus?
Soziologe Kenan Güngör erachtet das Vorgehen der Kölner Polizei nicht als "ethnic profiling":"In der Kölner Silvesternacht ist durch die Erfahrungswerte des Vorjahres ein Täterprofil entstanden: Größere Gruppen von jungen Männern, die alkoholisiert und gewaltbereit auftreten." Daher sei die vermehrte Kontrolle von Gruppen nordafrikanischer Männer, die zur Silvesternacht nach Köln reisen, genauso gerechtfertigt gewesen wie die verstärkte Kontrolle von Hooligans, die zu einem Fußballspiel anreisen. Den Rassismus-Vorwurf hält Güngör für überzogen: "Natürlich ist es unangenehm für jene Leute, die nichts gemacht haben, aber wegen der Schwere des Ereignisses im Vorjahr steht dieser Polizeieinsatz in einer Verhältnismäßigkeit und ist das kleinere, präventive Übel." Polizeiliche Maßnahmen müssten vor allem verhältnismäßig und wirksam sein.
Wo genau die Grenze zulässiger und unzulässiger Kontrolle und Überwachung zu ziehen ist, hänge vom konkreten Gefährdungspotenzial ab und könne nur im Einzelfall durch eine genaue Analyse der relevanten Menschenrechte und unter Anlegung des Verhältnismäßigkeitsprinzipes festgestellt werden, betont Menschenrechtsexperte Manfred Nowak vom Ludwig-Boltzmann-Institut. "Es ist aber sicher kein Zufall, dass ein verhältnismäßig großer Teil jener Männer, die in der Zeit, als ich die Polizei in Wien als Leiter einer Besuchskommission kontrollierte (2000 bis 2015), von der Wiener Polizei getötet oder misshandelt wurden, Afrikaner waren", kritisiert Nowak.
Die Schwierigkeiten der Polizeiarbeit
Laut der Antirassismusstelle ZARA agieren in sechs Prozent aller gemeldeten Fälle von Rassismus Polizisten selbst rassistisch. Oft handle es sich dabei um gezielte Kontrollen aufgrund der Hautfarbe ohne konkreten Verdacht. Auch den Begriff der "Nafris" für Nordafrikaner zu verwenden, hält ZARA-Sprecherin Claudia Schäfer für einen "kontraproduktiven Griff in die sprachliche Mottenkiste der Achtzigerjahre": So hänge man einzelnen ein negatives Label um wegen der letzten Kölner Silvesternacht. Ein großes Polizeiaufgebot, um einer Gruppe Sicherheit zu signalisieren, erziele einen gegenteiligen Effekt bei der anderen Gruppe, die sich fragt: "Warum werden wir jetzt alle als potenzielle Täter gebrandmarkt in der Öffentlichkeit?", betont Schäfer. So schüre man bloß Ängste und fördere die voranschreitende Spaltung der Gesellschaft, die durch Medienberichte verstärkt werde.
Ganz so einfach sei die polizeiliche Arbeit aber nicht, gerade wenn es um das "ethnic profiling" geht, gibt Max Edelbacher, einstiger Chef des Wiener Sicherheitsbüros, zu bedenken: "Der internationale Terrorismus und die erhöhte Personenmobilität machen das Identifizieren von Identitäten und eine erfolgreiche Polizeiarbeit immer schwerer." Der Sicherheitsexperte plädiert dafür, "lieber einmal zuviel als einmal zu wenig zu kontrollieren, um eine Straftat zu verhindern - unter der Voraussetzung, dem Gegenüber immer respektvoll und mit Achtung zu begegnen."
Die Balance zwischen der Einhaltung der Menschenrechte und des Rechtsstaates einerseits und dem Nachgehen von Verdachtsmomenten in Richtung ethnischer Gruppierungen andererseits zu finden, sei immer ein Grenzgang. "Tatsächlich können gewisse Delikte schon verstärkt bestimmten ethnischen Gruppen zugeordnet werden. Das schaut für Außenstehende aus wie 'ethnic profiling', aber es gibt sehr wohl einen Anfangsverdacht." Heutzutage müsse ohnehin jeder Grundrechtseingriff von der Staatsanwaltschaft bewilligt werden, dabei solle man Gerichte nicht mit einem Anfangsverdacht belästigen. Die US-Polizei habe es da leichter und könne autonomer agieren, die österreichische Polizei stehe stärker unter Druck, weil sie selbst die belastenden und entlastenden Momente sammeln muss.
Wirft man der Kölner Polizei nun pauschal Rassismus vor, mache man genau dasselbe "nur in grün", ist Migrations-und Genderforscherin Aga Trnka-Kwiecinski von der Donau-Uni Krems überzeugt. Sie hält es allerdings für sinnvoller und gerechter, alle zu kontrollieren, wie es auch bei Großveranstaltungen wie Festivals oder Fußballspielen oder am Flughafen passiert -auch wenn die Sicherheitskräfte fünf betrunkene Männer in Feierlaune stärker im Auge haben als ein 14-jähriges Mädchen.
Nicht mit zweierlei Maß messen
"Die sogenannten Nafris von den Weißen zu trennen und nur die 'Nafris' zu kontrollieren, ergibt ein falsches Bild", so Trnka- Kwiecinski. Der Staat müsse bereits im Vorfeld sicherstellen, dass genügend Einsatzkräfte vorhanden sind, um eine stereotype Fokussierung auf eine potenzielle Tätergruppe zu vermeiden. Auch in puncto sexueller Gewalt solle nicht mit zweierlei Maß gemessen werden: "Es gibt genauso sexuelle Übergriffe deutscher oder österreichischer Männer. Macht ein anderer Täter die Tat schlimmer oder besser? Dem Gabalier zu klatschen, aber sich über Übergriffe auf Frauen aufzuregen, ist ein bisschen paradox", betont Trnka-Kwiecinski, die das Forschungsprojekt "Gender Mainstreaming im österreichischen Bundesheer" leitete.
Stattdessen sollte man präventiv ansetzen, nämlich bei sinnvollen Integrationsmaßnahmen und Beschäftigungsmöglichkeiten für neu angekommene Flüchtlinge. Und es braucht einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs im Umgang mit den heiklen Themen Rassismus, Sexismus und Polizeigewalt. Solange sich hier nichts ändert, wird sich Herr A. auf seinem Arbeitsweg als einziger unter den Kollegen ausweisen müssen.