Aber das war doch NUR SPASS

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Das angreifen des Gesäßes soll bald zur straftat werden. Bislang wird sexuelle Belästigung nur selten angezeigt oder gar bestraft.

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Das angreifen des Gesäßes soll bald zur straftat werden. Bislang wird sexuelle Belästigung nur selten angezeigt oder gar bestraft.

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Mein Chef war eigentlich sympathisch und nett. Zwei Jahre lang gab es keine Probleme", erzählt Anna S. (Name geändert). Die 24-jährige Journalismus-Studentin war froh, endlich einen längerfristigen Job in der Medienbranche ergattert zu haben. Doch im letzten Jahr ihrer Mitarbeit sind gleich mehrere Kolleginnen wegen persönlicher Konflikte mit dem Chef abgesprungen. "Er hatte immer eine Vertrauensperson im Team. Plötzlich war das ich."

Anfangs will die damals 21-Jährige die Anspielungen des Chefs nicht als das erkennen, was sie sind: Sexuelle Belästigung. Zum lockeren Umgang in der Redaktion gehört es schließlich auch, in der Freizeit gemeinsam ein Fußballspiel anzuschauen oder einen Kaffee trinken zu gehen. Doch bald schreibt ihr der Chefredakteur auch spätabends oder am Wochenende zweideutige Nachrichten: "Hallo! Was machst du gerade?" oder "Hast du Zeit?" Anstatt den Schwerenöter in seine Schranken zu weisen oder an höherer Stelle Hilfe zu suchen, beginnt Anna S., an sich selbst zu zweifeln: "Reagiere ich über? Bilde ich mir das nur ein?"

Erst als der verheiratete Mittvierziger sie alleine treffen will, wird sie stutzig. "Einmal hat er gefragt, ob wir in die Sauna gehen wollen, um Redaktionelles zu besprechen", sagt sie kopfschüttelnd. "Ein anderes Mal hat er gefragt, ob ich mit ihm in den Swingerclub gehen will." Von nun an arbeitet sie vor allem von zu Hause aus. Erst ein halbes Jahr später wagt sie es, ihn am Telefon zur Rede zu stellen. "Er hat sein Verhalten als Spaß abgetan, mich als paranoid und als verklemmte Spaßbremse hingestellt." Mit dem Streit am Telefon ist das Arbeitsverhältnis quasi beendet.

Belästigung nie gemeldet

Auch wenn es in diesem Fall nicht zu körperlichen Attacken kam, wäre Anna S. am Arbeitsplatz durch das Gleichbehandlungsgesetz geschützt gewesen -wenn sie den Fall gemeldet hätte. Außerhalb der Arbeitswelt galt bislang nur beim "Zugang zu Gütern und Dienstleistungen" ein rechtlicher Schutz, also etwa im Lokal oder in öffentlichen Verkehrsmitteln. Wer aber auf der Straße begrapscht wurde, konnte sich nur schwer zur Wehr setzen. Diese Gesetzeslücke soll nun mit der Sexualstrafrechts-Novelle geschlossen werden (siehe Kasten): Künftig sollen körperliche Übergriffe in allen Lebenslagen unter den Tatbestand der sexuellen Belästigung fallen. "Es ist sinnvoll, auch für Übergriffe auf der Straße einen Hebel in der Hand zu haben, denn unerwünschtes Verhalten darf nicht ungeahndet bleiben", so Bianca Schrittwieser, zuständige Juristin der Arbeiterkammer Wien.

Hingegen umfasst das Gleichbehandlungsgesetz am Arbeitsplatz nicht nur körperliche Übergriffe, sondern auch verbale Belästigung sowie anzügliche Handlungen wie hinterher pfeifen, anstarren oder das Aufhängen von Pin-up-Postern. Ein Mindest-Schadenersatz von 1000 Euro ist dafür vorgesehen. "In der Arbeitswelt gibt es eine Beweiserleichterung, Betroffene müssen die Diskriminierung glaubhaft machen", erklärt Schrittwieser. Der Arbeitgeber ist gesetzlich verpflichtet, die belästigte Person zu schützen. "Maßnahmen können von Verwarnung über Versetzung des Belästigers bis zur Entlassung reichen", weiß Schrittwieser. Leider komme es in der Arbeitswelt aber auch vor, dass nicht der Täter, sondern das Opfer, das sich beschwert hat, gekündigt wird - wogegen man ebenfalls nach dem Gleichbehandlungsgesetz vorgehen kann.

Junge Frauen in schwachen Positionen

Der Fall von Anna S. ist ein typischer. Denn besonders oft werden junge Frauen in schwachen Positionen sexuell belästigt, etwa Praktikantinnen und Lehrlinge. "Auf gleicher Ebene kommt sexuelle Belästigung eher vor, wenn Arbeitsdruck und Konkurrenz besonders stark sind", weiß Schrittwieser. Meist häufen sich Fälle von sexueller Belästigung in männerdominierten Sparten und auch im Gastgewerbe sowie im Dienstleistungssektor. Typisch ist wiederum, dass das Opfer die Vorfälle nicht bei der Gleichbehandlungs-Anwaltschaft, der Arbeiterkammer oder der Gewerkschaft meldete.

Denn laut der 2011 veröffentlichten "Österreichischen Prävalenzstudie zur Gewalt an Frauen und Männern" des Instituts für Familienforschung (ÖIF) erstatten nur sechs Prozent aller Opfer von sexueller Gewalt (ohne Vergewaltigung) Anzeige. Sogar im Falle einer Vergewaltigung zeigen diese nur neun Prozent aller Betroffenen an. Gemäß der Studie haben drei Viertel aller Frauen bereits sexuelle Belästigung erlebt. 80 Prozent der Betroffenen haben diese häufig durch mehrere verschiedene Personen erfahren. Fast ein Drittel wurde gar Opfer sexueller Gewalt. Davon wurden 13,5 Prozent zu sexuellen Handlungen genötigt, weitere neun Prozent erlebten eine versuchte Vergewaltigung und sieben Prozent wurden tatsächlich Opfer einer Vergewaltigung.

Bei den Tätern handelt es sich am häufigsten um bekannte Personen, die nicht zum näheren Umfeld gehören (22,5 Prozent), gefolgt von unbekannten Personen (19,5 Prozent), Freunden und Bekannten (18 Prozent), dem derzeitigen Partner (17 Prozent), dem Ex-Partner (13 Prozent) sowie dem Nachbarn (2,5 Prozent). 51 Prozent der sexuell belästigten Frauen erlebten die Belästigung an öffentlichen Orten, 37 Prozent in der Ausbildung oder am Arbeitsplatz, die restlichen Befragten im privaten Bereich.

Unter den befragten Opfern gaben 43 Prozent an, dadurch langfristige psychische und auch gesundheitliche Schäden erlitten zu haben. "Die Palette reicht von Vermeidungsverhalten - was am Arbeitsplatz total einschränkend wirkt - über Schweißausbrüche, Flashbacks, Schlafstörungen, Zwangsgedanken und verminderte Lebensfreude bis hin zu depressiven Reaktionen", weiß die Psychotherapeutin Rotraud A. Perner.

Verharmlosung statt Aufklärung

Die Novelle hält Perner, die auch Juristin ist, für notwendig: "Man muss leider so deutlich werden, weil die gesundheitsschädigenden Folgen für die Opfer von sexueller Belästigung von den Tätern und Unbeteiligten überhaupt nicht wahrgenommen, sondern verharmlost werden." Perners Erfahrung nach helfen Aufklärung und gute Worte bei den Tätern nicht. Allzu oft werde die Belästigung im Nachhinein als Spaß abgetan. "Die wenigsten Betroffenen trauen sich, die Belästigung öffentlich zuzugeben, weil sie erwarten, nicht ernst genommen und verspottet zu werden", so Perner. Auch das Argument, die Frau hätte sich ja wehren können, gilt nicht: "In dieser Situation befindet sich die betroffene Person ja in einem Schockzustand, fühlt sich hilflos, weiß nicht, wie sie reagieren soll, weil sie mit so einem Übergriff ja nicht rechnet."

Der so ausgelöste massive Stress könne im Beruf bis zur Arbeitsunfähigkeit führen. "Wenn der Täter in der Hierarchie über dem Opfer steht, entwickeln die Opfer obendrein Ängste wie bei einer übergeordneten Vaterfigur", analysiert Perner. Ihr sind auch Fälle bekannt, wo homosexuelle Männer von anderen Homosexuellen belästigt wurden oder von heterosexuellen Kollegen "zum Spaß" mit Fotos nackter Frauen konfrontiert wurden. Besonders massiv betroffen sind laut Perner lesbische Frauen, die durch die Übergriffe von Männern gedemütigt werden sollen. Frauen als Täterinnen hingegen würden subtiler und eher verbal belästigen. Letztlich gehe es bei jeder Art von sexueller Belästigung nicht um Sexualität, sondern immer um eine Demonstration von Macht: "Es ist ein Versuch, die andere Person zu schockieren und ihre Grenzen auszutesten", erklärt Perner. "Dahinter steckt eine tiefe Verachtung des Täters gegenüber dem Opfer, die persönliche Integrität wird verletzt." Als Präventionsmaßnahme empfiehlt Perner, dass junge Menschen beider Geschlechter über sexuelle Belästigung aufgeklärt werden sollten.

Anna S. kann rückblickend nicht nachvollziehen, warum sie sich nicht eher gewehrt hat. "Ich hatte halt Angst, dass er mir ein Bein stellen könnte, weil er so viele Leute in der Branche kennt." Auch die Ratschläge der Eltern haben ihr nicht geholfen: "So sind Männer halt! Ignorier es einfach!", musste sie sich anhören. Noch immer hat Anna S. kein Arbeitszeugnis vom einstigen Chef bekommen, trotz mehrfacher Nachfrage per E-Mail. Aber ihn anrufen oder gar in der Redaktion aufsuchen will sie auf keinen Fall mehr.

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