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Sind Gewalt und Einschüchterung in der Erziehung Vergangenheit? Studien und Fachleute zeigen auf: Gewalt wird von der überwiegenden Mehrheit abgelehnt, sie ist dennoch weit verbreitet.

Er wird nicht die letzte angebliche Autoritätsperson sein, die von ihrer Vergangenheit eingeholt wird: Der Augsburger Bischof Walter Mixa sieht sich mit schweren Vorwürfen ehemaliger Heimkinder konfrontiert, die der Bischof als einstiger Stadtpfarrer vor Jahrzehnten brutal verprügelt haben soll. Sieben eidesstaatliche Erklärungen liegen bereits gegen Mixa vor. Der Beschuldigte räumte zunächst nur ein, „die eine oder andere Watschn“ ausgeteilt zu haben. Erst am Dienstag entschuldigte sich Mixa, dass er Menschen Kummer bereitet habe. Ob er damit die Vorwürfe gänzlich eingesteht, bleibt aber unklar. Der Priesterrat des Bistums setzt sich für eine Aufklärung der Vorwürfe ein.

Das eine Beispiel macht deutlich: Zu den Vorwürfen wegen sexuellen Missbrauchs durch Priester oder Ordensleute kommen immer mehr erschreckende Berichte über brutale bis sadistische Erziehungsmethoden früherer Jahrzehnte. Die Vorwürfe betreffen auch Einrichtungen, die nicht von der katholischen Kirche geführt wurden. Und es wird kaum jemanden geben, der älter als 30 Jahre alt ist, der nicht die eine oder andere Gewalterfahrung in öffentlichen Schulen gesehen oder sogar selbst erlebt hat. Doch ist die sogenannte Schwarze Pädagogik – Erziehung durch Dominanz, Machtmissbrauch, Einschüchterung und Gewalt – Methode einer längst vergangenen schwarzen Zeit bis in die 70er Jahre?

Wer schlägt zu und warum?

Nein – aber es gibt zahlreiche deutliche Verbesserungen, sagen Studien und Fachleute: zunächst auf gesetzlicher Ebene. Österreich war nach Schweden (1979), Finnland (1983) und Norwegen (1987) das vierte europäische Land, das 1989 ein absolutes Gewaltverbot in der Erziehung gesetzlich festlegte. Das ging einher mit einem Veränderungsprozess des gesellschaftlichen Bewusstseins. 20 Jahre später wurde in der Studie des Wirtschaftsministeriums (das auch für Familie und Jugend zuständig ist) „Familie – Kein Platz für Gewalt! (?)“ erhoben, was dieses Gewaltverbot bewirkt hat. Die Studie ist ein Ländervergleich zwischen Österreich, Deutschland, Schweden, Frankreich und Spanien. In Frankreich gibt es noch kein Gewaltverbot, Spanien führte ein solches 2007 ein, Deutschland 2000.

Die Ergebnisse von Österreich sind zweischneidig: Die Meinung, dass eine gewaltfreie Erziehung das Ideal ist, wird mehrheitlich vertreten (86 Prozent), dennoch gelingt dies nur etwa 30 Prozent der Eltern wirklich. So gestehen 49 Prozent der österreichischen Eltern ein, ihre Kinder zu ohrfeigen. In Deutschland sind dies 43 Prozent, in Schweden 14 Prozent. In Spanien und Frankreich liegen die Werte mit 55 bzw. 72 Prozent deutlich höher.

Mehr Gewalt in Spanien und Frankreich

Circa 25 Prozent der österreichischen Jugendlichen geben an, überhaupt eine Kindheit zu erleben, die von Gewalt dominiert ist. Befragte Eltern sagen dies zu 14 Prozent. In Deutschland sind die Werte ähnlich, in Schweden sagen dies nur drei Prozent der befragten Eltern, in Spanien und Frankreich allerdings 50 Prozent. Experten gehen davon aus, dass die tatsächlichen Zahlen höher liegen dürften, denn nicht alle Befragten würden die volle Wahrheit über ihre Gewaltanwendung sagen. Ein weiteres negatives Faktum aus Österreich: Misshandlungen, also schwere Formen der Gewalt wie Prügel, dürften nach Angaben von Jugendlichen und Eltern mindestens zehn Prozent der Kinder betreffen. Auch Formen psychischer Gewalt sind noch stark verbreitet: Knapp 60 Prozent der Jugendlichen geben an, von ihren Eltern angebrüllt zu werden, 55 Prozent sagen, Beleidigungen und Beschimpfungen ausgesetzt zu sein, und 48 Prozent berichten darüber, dass Eltern länger nicht mit ihnen reden. Die Studie konnte aber eine These widerlegen: Eltern, die physische Gewalt ablehnen, wenden dafür nicht häufiger psychische Gewalt an. Auch das Vorurteil, dass Migranten häufiger zu Gewalt greifen, wurde in dieser Studie nicht bestätigt.

Es gibt leichte geschlechtsspezifische Unterschiede: Mädchen werden weniger schwer geschlagen. Leichtere Gewaltformen erfahren Mädchen und Buben gleichermaßen. Auch gibt es kaum Unterschiede zwischen Müttern und Vätern bei der Gewaltanwendung. Alleinerzieherinnen schlagen nicht häufiger. Schwere Gewaltformen kommen vermehrt in unteren Bildungsschichten vor.

Die Häufigkeit und Ausprägung von Gewalt in der Erziehung dürfte sich bald auf noch besseres Zahlenmaterial stützen können: Das Familienstaatssekretariat verkündete kürzlich, dass eine Prävalenzstudie zu Gewalt in der Erziehung in Auftrag gegeben wurde (diese wird vom Österreichischen Institut für Familienforschung in Wien durchgeführt werden).

Dass es zu Gewaltanwendung kommt, sei vor allem auf Überforderung zurückzuführen, sagt der Sozialpädagoge Olaf Kapella vom Institut für Familienforschung. Gewaltübergriffe seien keine gezielte Intervention der Eltern. Viele Eltern seien heutzutage unsicher, ob sie überhaupt noch Sanktionen oder Strafen setzen dürfen, erklärt Kapella. Es müsste den Eltern viel praktischer vermittelt werden, welches Erziehungsverhalten Kindern Sicherheit und Orientierung gebe, dass Regeln aufgestellt werden müssten und wie Sanktionen ohne Übergriffe möglich seien.

Eine einmalige Ohrfeige werde eine gute Eltern-Kind-Beziehung verkraften, auch wenn das Verhalten falsch sei, sagen Experten. Entscheidend sei nicht so sehr, welche Form von Gewalt, ob physisch, psychisch oder sexualisiert, ausschlaggebender sei viel mehr die Häufigkeit der Gewaltanwendung und ob es in der Familie ein langfristiges Muster von Machtkontrolle, Einschüchterung und Gewalt gebe, sagt die Psychotherapeutin und Präsidentin des Bundesverbandes für Psychotherapie Eva Mückstein. „Dann muss man davon ausgehen, dass das gesamte Familienleben von dieser Gewalt strukturiert und dominiert wird.“

„Psychische Integrität bricht zusammen“

Die Folgen solcher Gewalt-Mechanismen sind laut Mückstein massiv: Die Verhältnisse der Geschlechter und Generationen würden durch die Praktiken von Gewalt und Dominanz bestimmt. „Gewalterfahrungen sind immer mit einem Zusammenbruch der psychischen Integrität verbunden. Wenn die Seele derartig massiv unter Druck kommt, dann wird es immer sehr starke Anpassungs- und Bewältigungsversuche geben, die langfristig die Persönlichkeit prägen,“ sagt Mückstein: Opfer versuchten, der Situation durch Angstbewältigungs- und Konfliktvermeidungsstrategien beizukommen, es werde versucht, den Täter kontrollierbar zu machen. Letztendlich komme es zu einer Identifikation mit dem Opfer oder mit dem Aggressor. „Dann beginnt das Spiel von vorne.“ – Eine gesunde Watschn gibt es daher nicht.

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