Werbung
Werbung
Werbung

Ulrich Wagner, Professor für Sozialpsychologie an der Philipps-Universität Marburg in Hessen, über gewaltfördernde Computerspiele, aggressive Jugendliche aus Migrantenfamilien und schulische Präventionsprogramme.

Die Furche: Herr Professor Wagner, was bringt Jugendliche dazu, gewalttätig zu werden?

Ulrich Wagner: Aggression und Gewalt haben viele verschiedene Ursachen, vor allem Veränderungen der Lebensbedingungen, global gesprochen, oder Unsicherheit in Bezug auf die Zukunft. Wenn man sich aber jene Prozesse genauer ansieht, die man beeinflussen kann - die Globalisierung kann man ja nicht abschaffen -, dann muss man sich vor Augen halten, dass Aggression und Gewalt meist gelernte Verhaltensformen sind. Wir wissen, dass sehr auffällige Gewalttäter - und physische Gewalt ist eine Sache von Jungen und nicht von Mädchen - meist Gewalterfahrungen im Elternhaus gemacht haben. Dazu kommt auch die Vermittlung durch visuelle Medien, also durch Fernsehen, Filme, Videos und Computerspiele.

Die Furche: Über Letzteres wird immer noch heftig debattiert …

Wagner: Die Befundlage ist aber sehr klar: Es ist so, dass die Rezeption von aggressiven visuellen Medien und noch mehr das Spielen von aggressiven Computerspielen die Gewaltbereitschaft erhöht. Das ist eine der wirklich klaren Aussagen, die man aus der Sozialpsychologie mittlerweile machen kann. Die so genannte Katharsis-Hypothese, nach der es hilft, Aggression abzubauen, wenn man sich entweder selbst aggressiv verhält oder andere bei aggressiven Handlungen beobachten kann, ist einfach empirisch falsch.

Die Furche: In Hessen, wo Sie leben, hat sich beim letzten Landtagswahlkampf eine hitzige Debatte darüber entzündet, ob Jugendliche mit Migrationshintergrund gewaltbereiter sind. Was ist Ihr Befund?

Wagner: Wenn man sich den Prozentsatz der Immigranten-Jugendlichen in den Jugend-Gefängnissen ansieht, so sind diese Jugendlichen deutlich überrepräsentiert. Aber Einwanderer gehören - in Deutschland wie in Österreich - den unteren sozialen Schichten und Bildungsniveaus an. Und wenn man deutsche oder österreichische Jugendliche aus der vergleichbaren sozialen Schicht betrachtet, dann ist der Anteil der durch Gewalt auffälligen Einwandererjugendlichen schon deutlich geringer. Trotzdem gibt es Jugendliche aus bestimmten Einwanderergruppen, in Deutschland vor allem aus so genannten Aussiedler-Familien, die tatsächlich durch höhere Gewaltbereitschaft auffallen. Hier gibt es Familien, wo die Jugendlichen gegen ihren Willen von den Eltern aus Russland oder Osteuropa nach Deutschland mitgenommen wurden. Und die fühlen sich weitgehend entwurzelt. Und das fördert die Gewalttätigkeit.

Die Furche: Was bringen Ihrer Ansicht nach Gewaltpräventions-Programme in den Schulen?

Wagner: In Deutschland gibt es in den Schulen oft eine Abwehrhaltung nach dem Motto: Wir können nicht alles machen, die Elternhäuser sind auch zuständig. Das ist sicher richtig, aber wenn gewalttätige Jugendliche eben häufig aus gewalttätigen Elternhäusern kommen, dann ist das eine absurde Forderung. Deswegen kommt den Schulen eine wichtige präventive Rolle zu. Das Problem bei solchen Programmen ist aber, dass sie bei entsprechenden Anlässen oft schnell aus dem Boden gestampft werden, eine relativ kurze Laufzeit haben und meist nicht evaluiert werden.

Die Furche: Sie haben an 15 Schulen in Hessen das Projekt "Prävention im Team" evaluiert, bei dem Teams, bestehend aus einem Polizisten, einem Sozialarbeiter und Lehrern der Schule, für 13- bis 14-Jährige Trainings durchführen. Was ist herausgekommen?

Wagner: Wir haben insofern Effekte gefunden, als teilnehmende Schulklassen am Ende weniger Gewaltbereitschaft zeigen und Kompetenzen aufweisen, sich eskalierenden Situationen zu entziehen. Ein anderes Ergebnis ist, dass sich durch das Mitmachen des Polizisten als Unterstützer das Bild der Polizei verändert. Aber all diese Effekte sind nicht riesig - und das enttäuscht unsere Politiker immer. Doch wie kann man erwarten, dass zwei bis vier Stunden pro Woche riesige Effekte auslösen? Die Jugendlichen kommen ja wieder in ihre Umgebung zurück, die gewaltfördernd sein kann. Da muss man sich doch freuen, dass so minimale Eingriffe überhaupt Folgen haben.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung