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Sozialarbeit gegen NS-Gedankengut

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Der Geschworenenprozeß gegen fünf wegen NS-Wiederbetätigung angeklagte junge Männer - drei von ihnen zum Zeitpunkt der Tat noch Jugendliche - war im Mai 1993 mit bedingten Freiheitsstrafen zu Ende gegangen. Eine Woche später saß ich mit acht anderen, etwa gleichaltrigen jungen Männern der sogenannten Langenloiser Kameradschaft, die als Mitläufer angeklagt waren, in einem Kursraüm der Volkshochschule Krems. Über Initiative des Präsidenten des Landesgerichts, Gerwald Lentner, und in Zusammenarbeit mit der Bewährungshilfe hatte man ihnen einen Vorschlag unterbreitet: wenn sie bereit wären, an Gruppengesprächen über NS-Ideologie und NS-Geschichte teilzunehmen, würde ihr Prozeß, bei dem sie eventuell verurteilt worden und als Folge vorbestraft gewesen wären, ausgesetzt. Da ich mich seit längerem mit psychologischen Aspekten des Rechtsextremismus vor allem bei Jugendlichen beschäftige, hatte ich nun die Leitung dieser Gruppengespräche übernommen.

Was sich die acht - fünf Lehrlinge aus Krems und drei bereits Ausgelernte aus St. Pölten - erwarteten, war rasch klar: sie rechneten mit „Aufklärung” über den Nationalsozialismus und würden die fünf Abende einfach über sich ergehen lassen. Außerdem rechneten sie mit der üblichen moralischen Entrüstung, „Umerziehung”, wie sie es nennen. Daß ich das alles nicht tat, irritierte sie. Ich hielt keine Vorträge, sondern suchte Gespräche, vor allem über Ausländer und Gewalt - ihre wichtigsten Themen.

Ich betonte zwar immer wieder meine strikte Ablehnung ihrer Einstellung, bezeichnete diese aber kein einziges Mal als falsch, unmoralisch oder schlecht. Es ging mir vor allem darum, die ihnen bekannte Kommunikation über diese heiklen Themen zu durchbrechen und zu vermitteln, daß es möglich ist, andere Meinungen zu vertreten, ohne sie abzuwerten oder aggressiv zu werden.

Ihr Wissen um die NS-Zeit ist zwar verzerrt in der Bewertung, aber besser als unter Jugendlichen allgemein. Keiner von ihnen leugnet den Holocaust - obwohl antisemitische und fremdenfeindliche Äußerungen für sie selbstverständlich sind. Leider sind sie das aber auch für breite Teile der Bevölkerung.

Wenn ich zu ihnen über die NS-Zeit sprach, dann in erster Linie über den Umgang der Nationalsozialisten mit ihren Anhängern, über die

Einschränkung der persönlichen Freiheit, die Vereinnahmung Jugendlicher in ihrer Freizeit und die Schwierigkeiten, sich den starren Strukturen im Alltag zu entziehen.

Immer wieder versuchten sie, mich zu provozieren. Das gehört zum Schema: Vor allem Jugendlichen geht es bei NS-Sprüchen um Provokation; offensichtlich gelingt es ihnen sonst nicht, Aufmerksamkeit und Reaktionen zu bekommen. Daher blieb ich bei meiner Linie: auf jede Äußerung ruhig und sachlich zu reagieren, nachzufragen und sie dazu zu bringen, mir ihren Standpunkt verständlich zu machen.

Damit wollte ich ihnen zeigen, daß ich ihre Ansichten zwar nicht teile, sie aber emst nehme - ein für sie völlig ungewohntes, sichtlich irritierendes Verhalten. Das Prügeln von Ausländern bezeichnete ich ihnen gegenüber daher auch nicht als verwerflich, sondern als Zeichen von Schwäche, die sie doch nicht nötig hätten. Interessanterweise reagierten sie auf psychologische Überlegungen gut. Positive Reaktionen von mir verunsicherten sie. Da sie mit ihren Schwächen und rfegativen Eigenschaften in ihrem Umfeld ständig konfrontiert werden, war es mir wichtig, ihre Stärken zu betonen und ihre Fähigkeiten anzuerkennen. Zuerst hielten sie das für einen

Trick, um sie „weichzumachen”, bei einigen zeigten sich langsam Ansätze erstaunten „Glaubens”. Zu den Stärken, die ich ihnen zugestand, gehören Intelligenz, sprachliche Ausdrucksfähigkeit und - wenn auch verzerrt - gesellschaftliches Engagement. Sie spüren gesellschaftliche Strömungen: „Wir machen mit den Ausländern nur das, was viele wollen und sich nicht trauen”.

Sie spüren auch deutlich die Ablehnung der „anständigen” Leute, die nicht verstehen, daß Computerspiele zu Hause keine Alternative zu ihren spärlichen Freizeitmöglichkeiten - Lokalbesuche und Alkohol - sind. Und sie haben erkannt, daß sie trotz ihrer Fähigkeiten nicht dieselben Chancen haben wie Mittelschüler. Es ist kein Zufall, daß sie, wenn nicht gerade gegen Ausländer, gegen Gymnasiasten gewalttätig werden.

Da nur wenig Zeit zur Verfügung stand, konzentrierte ich mich auf das Thema „Gewalt”. Ich wollte durch mein Verhalten vermitteln, daß gewaltfreie Kommunikation möglich ist. Darüber hinaus wollte ich ihnen, ohne ihre Schwächen und Fehler zu bagatellisieren, ihre Stärken bewußt machen. Indem ich mit ihnen wie mit Gleichberechtigten sprach, wollte ich ihr Selbstbewußtsein stärken. Ob das in der kurzen Zeit Spuren hinterlassen hat, ist schwer zu sagen.

Von solchen Gesprächen sind natürlich keine allzu großen Veränderungen zu erwarten - vor allem, wenn „danach” nichts mehr kommt. Aber sie sind eine Alternative zu Strafverfahren, durch die gerade Jugendliche in ein Eck gedrängt

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