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Wer andere beeinflussen will, muß Dialog suchen

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Rechtsextremismus ist - Gott sei Dank - nicht nur bei Rechtsextremen „in". Das wurde kürzlich bei einem Symposium der Bundesarbeitsgemeinschaft für Katholische Erwachsenenbildung im Wiener Kolpinghaus Althanstraße offensichtlich.

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Rechtsextremismus ist - Gott sei Dank - nicht nur bei Rechtsextremen „in". Das wurde kürzlich bei einem Symposium der Bundesarbeitsgemeinschaft für Katholische Erwachsenenbildung im Wiener Kolpinghaus Althanstraße offensichtlich.

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Etwa hundert Personen aus ganz Österreich waren zu den prominent besetzten Vorträgen (Eva Kreisky, Michael Mitterauer, Erika Weinzierl, Jözef Niewiadomski) und insgesamt neun Workshops gekommen, um den alltäglichen Rechtsradikalismen weniger ausgeliefert zu sein.

„Mutmachen statt Angsthaben" war die Parole. Aber wie? Denn ob auf der Straße oder im Geschäft, in der U-Bahn oder in der Schule, in der Familie oder vor dem Fernseher: Rechtsextreme, antisemitische und fremden-feindliche Äußerungen lösen meistens Ohnmacht, Angst und Wut, vor allem aber Hilflosigkeit aus.

Es scheint, als hätten die Engagierten - es waren wenig genug - mit ihrer Aufklärung in den letzten Jahrzehnten nicht viel Erfolg gehabt. Nicht nur, daß Jugendliche zunehmend nach „rechts" tendieren; ihre engagierten Gegner scheinen seltsam hilflos. Sind wir wirklich ratlos gegen „rechts"? Was ist bei der Aufklärung schiefgelaufen?

Von den ökonomischen, sozialen und familiären Ursachen abgesehen, ist bei der sogenannten Aufklärung tatsächlich vieles schiefgelaufen. Es war ein Irrtum, eigentlich eine Illusion, anzunehmen, „rechte" Weltanschauungen könnten durch Sachargumente allein verschwinden. Als ob Menschen nur aus Bildung und Wissen, Vernunft und Verstand bestünden. Die Antifaschisten haben die Psychologie außer acht gelassen und konnten daher weder die Gefühle noch das Verhalten der offenen und latenten „Rechten" beeinflussen.

Doch damit nicht genug: darüber hinaus sind viele engagierte Antifaschisten den „Rechten" in einer Art und Weise entgegengetreten, die kaum weniger autoritär und dogmatisch war als die ihrer Gegner. Im Bewußtsein ihrer eigenen „richtigen", „guten" und „einzig wahren" Überzeugung hielten sie es für überflüssig, sich mit den Menschen, die ihre aus ihrer Sicht ebenfalls „richtige", „gute" und „einzig wahre" Überzeugung vertraten, emsthaft auseinanderzusetzen. Die angebliche Auseinandersetzung würde daher zum Positionskampf, bei dem es vor allem darum ging, den anderen von seinen „falschen" und „bösen" Ansichten abzubringen - meistens begleitet von einer belehrenden, herablassenden und moralisierenden Haltung.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Es geht hier nicht um die Gleichsetzung von „rechter" und antifaschistischer Weltanschauung, sondern darum, ob ein autoritärer, belehrender und moralisierender, also zutiefst undemokratischer Umgang „rechte"

Andersdenkende zu einer humaneren Einstellung bringen kann. Ist wirklich denkbar, Inhalt und Form müßten nicht übereinstimmen? Provokant oder plakativ gesprochen: Ist die Alternative zur Diskriminierung und Demütigung von Juden, Ausländern, Behinderten tatsächlich nur die Diskriminierung und Demütigung der „Rechten"?

Die Alternative, die demgegenüber demokratischer, humaner und zielführender erscheint, kann hier nur kurz skizziert werden. Statt reflexhaft empört, moralisierend oder belehrend zu reagieren, nachzufragen, wie eine Äußerung gemeint ist; wie es zu der Ansicht, die dahintersteht gekommen ist; warum diese Ansichten dann eine derart große Bedeutung erlangt haben.

Der Versuch, den Hintergrund zu verstehen, der zu „rechten" Ansichten und Äußerungen führt, gibt die Möglichkeit, der jeweiligen Situation entsprechend zu reagieren; oft stellt sich nämlich heraus, daß die „rechte" Äußerung ein völlig anderes Problem signalisiert. Nicht nur, aber vor allem bei Jugendlichen ist das besonders oft der Fall.

Mir ist bewußt, daß es für die meisten undenkbar erscheint, „rechten" Äußerungen mit Verständnis zu begegnen. Viele meinen, sie würden sich dabei „schmutzig machen". Dazu zwei Gedanken:

Zum einen bedeutet Verstehen nicht Entschuldigen; zum anderen aber: geht es um die eigene moralische Entrüstung oder darum, „rechtes" Denken, Fühlen und Handeln zu verändern? Wer andere beeinflussen will, muß sich - wohl oder übel - mit ihnen gleichwertig auseinandersetzen; eine Sprache finden, die ein Gespräch, einen Dialog (statt zweier -Monologe) ermöglicht. Ohne diesen Dialog führen auch notwendige ökonomische und soziale Maßnahmen nicht zu nachhaltigen gedanklichen und gefühlsmäßigen Veränderungen.

Viele meinen, die alltäglichen, „banalen" und scheinbar erfolglosen kleinen Schritte wären überflüssig, weil nur große und substantielle Veränderungen sinnvoll sind. Das widerspricht der menschlichen Psyche. Große Veränderungen - zum Beispiel die Immunisierung gegen „rechtes" Denken - können nur eine Folge von unzähligen kleinen, unscheinbaren und „banalen" Erfahrungen sein.

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