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Interesse fiir die Greuel

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Skeptiker sind unbeliebt, besonders dann, wenn sie Erleichterung abschwächen, Euphorie dämpfen und sich mit kleinen Erfolgen nicht zufriedengeben wollen. Ich gehöre zu ihnen, obwohl sich derzeit eine gewisse Befriedigung darüber breitmacht, wie weit wir es doch bei der Aufarbeitung unserer jüngsten Vergangenheit gebracht haben.

Zweifellos sind in den letzten Monaten die Diskussionen um die österreichische Zeitgeschichte, die Politische Bildung, die Judenverfolgungen und den Nationalsozialismus nicht verstummt. Monate bevor „Holocaust“ ausgestrahlt wurde, gab es einen Erlaß des Unterrichtsministeriums, der es allen österreichischen Schulen ermöglichte, Referenten .und Augenzeugen zu diesen Themen anzufordem. In Wien allein haben rund 50 Schulen von diesem Angebot Gebrauch gemacht.

In manchen Bundesländern allerdings blieb der Erlaß bereits bei der obersten Landesschulbehörde stek- ken oder wurde mit großer Verspätung an die Schulen weitergeleitet. Bei vielen dieser „Schulauftritte“ kam es zu lebhaften Diskussionen mit ganzen Schulklassen und Lehrern. In der Abteilung Politische Bil-

dung des Unterrichtsministeriums langten 4000 Anforderungen für „Ho- locaust“-Materialien ein, beim Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes sogar 4500.

Im Dezember 1978 veranstaltete das Pädagogische Institut der Stadt Wien gemeinsam mit der Aktion gegen den Antisemitismus und dem Wiener Stadtschulrat ein Lehrerseminar, bei dem es um die Auseinandersetzung mit Vorurteilen und Feindbildern in der Schule als Beitrag zur Demokratie ging. Das Seminar wurde im April 1979 fortgesetzt, der Erlaß des Unterrichtsministeriums soll im nächsten Schuljahr erneuert werden.

Eigentlich ein schöner Schritt nach vorne, wenn man bedenkt, daß noch vor einem Jahr - bis zum 40. Jahrestag der Besetzung Österreichs durch Hitler-Deutschland - über diese

Themen fast völliges Stillschweigen herrschte. Warum also die Skepsis, die Zweifel am nachhaltigen Erfolg dieser Entwicklung?

Die Schulauftritte haben eines immerhin deutlich gezeigt: wo Lehrer imstande waren, die Themen (Neo-)Faschismus und Judenverfolgung engagiert und mit fundierter Information zu vermitteln, dort verliefen die Diskussionen angeregt, hatten die Fragen Hand und Fuß, beschränkte sich das Interesse nicht nur auf Konzentrationslager und ihre Greuel, sondern wurden auch Hintergründe, Ursachen, Zusammenhänge und Konsequenzen für die Gegenwart mit einbezogen.

Dort gewann man als Referent(in) den Eindruck, daß hier junge Menschen heranwachsen, die sehr wohl erkennen, worin die Restbestände unserer unbewältigten Vergangenheit bestehen und daß auch die hohe Politik oft aus taktischen Erwägungen eine klare Haltung vermissen läßt. Die Zahl dieser Schulklassen ist aber gering.

Bei Schülern viel häufiger sind totale Ahnungslosigkeit und Gleichgültigkeit. Im Gegensatz zu den informierten Schülern zeigten gerade die Ahnungslosen und Gelangweil-

ten ein an Abenteuerlust grenzendes Interesse an Foltermethoden der Konzentrationslager, an ihrer Unmenschlichkeit, an ihrem leidvollen Alltag.

Während sie sich an Details über KZ-Greuel kaum satthören konnten - schließlich gehört Gewalttätigkeit auch zu ihrem Fernsehalltag -, zeigten sie sich an Hintergrundinformationen, Ursachen und Gegenwartsbezügen weitgehend desinteressiert. Diese Jugendlichen haben aus „Holocaust“ keine Schlüsse gezogen.

Man täte den Lehrern unrecht, würde man ihnen allein die Schuld an diesem Desinteresse zur Last legen. Nicht nur ihr (Nicht-)Wissen und ihr positives oder negatives Verhalten beeinflußt die Schüler. Die meisten Eltern sind nicht informierter oder interessierter als die Lehrer und ha ben überdies die Grundsätze der sogenannten antiautoritären Erziehung falsch verstanden: statt gewaltlos erziehen sie gar nicht. Das Ergebnis sind oft Un-Persönlichkeiten, die auf der Suche nach Autorität für antidemokratische Einstellungen und Haltungen anfällig sind.

Viele Fragen der Schüler bezogen sich auf die Juden und darauf, warum diese so verfolgt würden und sich nicht gewehrt hätten. Bedenkt man, daß im heutigen Österreich seit bald zweitausend Jahren Juden leben, so ist die Ahnungslosigkeit über sie fast ebenso bedrückend wie die Vorurteile und Fehlinformationen.

„Die Juden sind den Deutschen zu gescheit geworden“, „Sie haben alle ausgebeutet“ - „Alle waren reich“ - „Sie wurden eben immer verfolgt“ - „Sind die Juden nicht doch eine Rasse?“ - „Wieso bezeichnen sie sich als auserwähltes Volk?“ - „Sind sie nicht selbst an den Verfolgungen schuld?“ Solche Fragen und Meinungen bringen die jungen Menschen in aller Harmlosigkeit vor, ohne jede Gehässigkeit, teilweise recht überzeugt, gelegentlich leise zweifelnd.

In sehr kluge, aber zweifelnde Worte kleidete eine Schülerin ein sicherlich nicht zu Unrecht wiederholt gebrauchtes Argument: „Ich finde, es ist auch ein Pauschalurteil, zu sagen, daß die Jugend in Österreich politisch uninteressiert ist. Man müßte ihr konkret an die Hand gehen, anstatt immer von Mitbestimmungsmöglichkeiten zu reden.“

Es gibt allerdings noch eine , Jiolo- caust“-Reaktion, die mich unangenehm berührt hat. Die starken Emotionen, die dieser Film ausgelöst hat, und die Dokumentationen bisher nicht auszulösen imstande waren, haben zu einem auf den ersten Blick logischen Schluß geführt: Da Filme dieser Machart bei breiten Bevölkerungsschichten mehr ankommen als Sachinformation, müsse diese Aufbereitung die Form der Zukunft sein, auch wenn dabei - wie bei „Holocaust“ - gesellschaftliche Zusammenhänge auf der Strecke bleiben.

Ganz abgesehen davon, daß sich Emotionen, denen keine fundierte und kontinuierliche Information folgt, in Luft auflösen, könnte „Holocaust“ als die der Allgemeinheit entsprechende Form zu einem gefährlichen Alibi werden. Man könnte daraus, indem man das Problem auf den Kopf stellt, den Schluß ziehen, daß es erheblich einfacher ist, (Halb-)Infor- mationen populär zu verpacken, weil es „die breite Masse so versteht“, als breiten Bevölkerungsschichten eine fundierte politische Bildung zu vermitteln, die sie auch für verständlich aufbereitete Sachinformationen ansprechbar macht.

Trotz Zweifel und Unbehagen muß Skepsis nicht zwangsläufig Resignation bedeuten. Im Gegenteil: die Bemühungen müssen verstärkt fortgesetzt werden. Auch hier gilt der Grundsatz, daß man das Unmögliche anstreben muß, um das Mögliche zu erreichen.

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