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Gewalttätige Ich-Suche

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Die Bereitschaft vieler Jugendlicher zur Gewalt wird zusehends größer. Die Wurzeln liegen auch im gesellschaftlichen Umgang mit Gewalt. Ideologie spielt aber dabei keine Rolle, man will „bloß" sozial wahrgenommen werden.

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Die Bereitschaft vieler Jugendlicher zur Gewalt wird zusehends größer. Die Wurzeln liegen auch im gesellschaftlichen Umgang mit Gewalt. Ideologie spielt aber dabei keine Rolle, man will „bloß" sozial wahrgenommen werden.

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Ein Jugendlicher erhält von einer Wochenzeitung eintausend Schilling Honorar, wenn er fotogerecht einen Automaten zerstört. Nach der kurzen Propaganda kommt die Justiz ins Rollen. Er wird identifiziert, verhaftet und verurteilt. Der Nervenkitzel des Lesers findet seine Entsprechung in der Kriminalisierung eines jungen Menschen.

Ein Hooligan zeigt im Fernsehen genüßlich einen schweren Schlagstock. Jede eingetragene Kerbe sei als Dokument zu sehen: Ihre Anzahl ist bleibendes Zeichen all derer, die mit dem Schlagstock eines über die Rübe bekommen haben. Dann zeigt der Hooligan seine von Narben zerfurchte Bauchdecke. In zahlreichen kämpfen sei er bereits verletzt worden. Tatsache ist: Der junge Mann hat schwerste Operationen hinter sich gebracht. Keine Narbe kommt von einem Kampf. Der Schlagstock bleibt stets daheim unter dem Bett liegen. Zu groß ist die Angst des Jugendlichen, in Raufhändel mit anderen verwickelt zu werden. Das Fernsehen berichtet weder von den Operationen noch von den Ängsten des jungen Mannes.

Therapeuten, die mit Jugendlichen seit vielen Jahren arbeiten, sind über die mediale Berichterstattung entsetzt. Mit Namensnennung von auffälligen Jugendlichen, wenn möglich sogar noch mit Bildveröffentlichung, wird die Rolle eines Menschen fixiert, aus der er nicht mehr aussteigen kann. Die Veröffentlichung beweist: Der junge Mensch ist ein Held, von dem die Öffentlichkeit weiß, ihn sogar fürchtet. Würde sich der Jugendliche aus der Szene zurückziehen, fiele er in die Anonymität zurück.

Abschied von Aufklärung

Verantwortungsvolle Journalisten sind sich längst dieses Dilemmas bewußt und fordern daher, daß über Jugendliche gar nicht mehr berichtet werde und wenn, dann nur in einer Form, die voll die Anonymität wahrt. Renate Heilig, Redakteurin beim Inlandsreport des ORF stellt die Frage: „Wie kann das Fernsehen über rechtsorientierte Jugendliche berichten, ohne sofort Propaganda für sie zu machen?"

Dozent Kurt Luger vom Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaften an der Universität Salzburg geht in seiner Kritik viel weiter: „Es gibt eine heftige Liebschaft zwischen Jugendlichen und den Medien, wobei letztere am längeren Ast sitzen." Berichte über Jugendliche, die unter Anleitung irgendeines „Führers" nach strengen militärischen Regeln durch den Wald hüpfen, werden für andere Jugendliche erst interessant, wenn über sie berichtet wird.

Das scheinbar rechtsradikale Outfit der Jugendlichen ist Teil einer Selbstinszenierung, die nicht den politischen Hintergrund hat, der zumeist vermutet wird. Das Outfit ist nötig, um mediale Präsenz zu bewirken. Ein Jugendlicher, der auf seiner Jacke den Schriftzug „Deutsche, wollt ihr ewig zahlen?" trägt, wird vom Richter befragt, was die Aufschrift bedeuten solle. Darauf antwortet der Jugendliche, die Aufschrift sei Ausdruck der hohen Steuerbelastung. Dem Richter wird klar, daß eine Verurteilung nach dem Wiederbetätigungsgesetz nicht vorzunehmen ist.

Es gilt zu unterscheiden: Hardliner und Vertreter von neonazistischem Gedankengut wie Gerd Honsik (Herausgeber der Zeitung „Halt") sind mit aller Schwere des Gesetzes zu bestrafen, doch jene Jugendlichen, die Cliquen als Sozialisationsinstanz erle-

ben, die weiters zu Gewaltbereitschaft neigen, weil ihre bisherigen Lebenserfahrungen gar keinen anderen Weg zur Konfliktlösung zulassen, sind als Phänomen einer wohlstandschauvinistischen Gesellschaft zu werten, die für Benachteiligte keinen Platz hat.

Rechtsextremismus und Gewalt unter Jugendlichen sind Produkt gesellschaftlicher und sozialer Alltagserfahrungen. Gegen Erfahrungen nützen keine Belehrungen und auch keine Bekämpfungsstrategien. „Akzeptierte Jugendarbeit betont den Abschied von der Illusion, mit Aufklärung oder Bekämpfung rechtsextremistischer Orientierung und Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen zurückdrängen zu können. Sie sieht die einzige Chance darin, in den Mittelpunkt diejenigen Probleme zu stellen, die Jugendliche haben, nicht die Probleme, die sie machen", schreibt Gisela Schaar, Sozialpädagogin.

Extreme Auffassungen, Provokationen und Gewalt von Jugendlichen sind wesentliche Mittel, um wahrgenommen zu werden, so sie es eigentlich nicht (oder nicht mehr) erwarten. Das Ziel ist, soziale Aufmerksamkeit

zu erregen. Daß dabei die gesellschaftliche Integration erschwert wird, ist in diesem Zusammenhang kein Thema.

Verstärkt wird die Gewaltbereitschaft durch viele Faktoren. Im verbalen Bereich ist die Verschärfung deutlich auszumachen: Jörg Haider konnte im Wiener Wahlkampf verkünden: „Weil Vranitzky und Busek das Müllproblem nicht gelöst haben, gehören sie auf den Müll geworfen." Ein Redakteur einer Boulevardezei-tung nannte diese verbale Entgleisung „Pointenfeuerwerk".

Man muß mit der Regierungspolitik in keiner Weise einverstanden sein, doch jemanden auf den Müll werfen zu wollen, ist jenseits der Toleranzgrenze.

Die Verschärfung im verbalen Bereich findet ihre Entsprechung im Versagen der Medien, die ihre Kontrollfunktion scheinbar völlig verloren haben. Ob nun von einem Pointenfeuerwerk die Rede ist oder die Neonazi als „Ratten" bezeichnet werden, ist letztlich einerlei. Beides erspart die intellektuelle Auseinandersetzung und ersetzt diese durch Sprachhülsen, die unter dem Vorwand, zu bezeichnen Tatsachen verschleiern.

Jugendliche, die zu Gewaltbereitschaft neigen, sind bereit, Menschen auf den Müll zu werfen. Dabei kommt es gar nicht darauf an, wen es trifft. So verstehen sich manche rechtsorien-

tierte Jugendliche als zivile Fortsetzungen der Polizei. In ihrem Selbstverständnis gilt es, die kommunistische Gefahr ebenso abzuwehren wie die fremdländische Unterwanderung. Wenn es ans Prügeln der Linken geht, können sie nicht verstehen, daß sie von Polizisten geschlagen werden. Sie wollten ihren Freunden eigentlich nur helfen.

Dabei kann es in ihrer Vorstellungswelt bisweilen sehr eigenartig aussehen. Eine Gruppe Jugendlicher prügelte vor nicht allzu langer Zeit in Wien einen jungen Mann, der auf dem Heimweg war. Während des Prügeins fielen alle Reizworte der rechtsradikalen Szene. Vom Kümmeltürken bis zum Tschuschn, vom Kameltreiber bis zur Judensau. wurden alle Begriffe bemüht. Der nach Hause Gehende war ein Wiener, der weder durch mediterranes Aussehen oder durch sonst irgendwelche Attribute vermuten ließ, daß er Zuwanderer sein könnte. Dafür waren unter den Prügelnden Nachkommen jugoslawischer und türkischer Einwanderer. Die Gewaltbereitschaft hat ihre Wurzeln - es kann gar nicht deutlich genug

gesagt werden - nicht nur in jedem individuellen Sozialisationsprozeß, sondern auch im gesellschaftlichen Umgang mit Gewalt. Zahlreiche Filme in Kino und Fernsehen sind als Anreger zu sehen. Auch Computerspiele und die unterschiedlichen Netzwerk-Kommunikationen leisten einen nicht zu unterschätzenden Beitrag. Die Proponenten der Computerkultur sind meist unter dreißig Jahre alt. Ihre Eltern haben oft keinen Zugang zu diesem Medium. Effektive Kontrollen sind nicht möglich. Über Telefon lassen sich Programmsysteme überspielen. In wenigen Sekunden kommt der Kunde an Informationen, die gedruckt ein Buch von vier-bis fünfhundert Seiten umfassen würden.

Beliebte Vernichtungsspiele

In diesen Netzwerken werden faschistische Inhalte übermittelt, die zur Voraussetzung haben, daß die Anonymität gewahrt bleibt. Besonders anfällig für diese Form der „Kommunikation" sind Menschen, die, wie Klaus Theweleit meint, die zweite Geburt nicht abgeschlossen haben. Die zweite Geburt - die psychische Geburt, ist ungefähr mit zweieinhalb Jahren abgeschlossen. Wird sie behindert, so entwickelt sich ein „brüchiges", leicht fragmentiertes „Ich", das in sozialen Bezügen und komplexen Reizen immer wieder gefährdet ist. Jeder Mensch entwickelt Erhal-

tungsmechanismen, die sich der Strukturierung der Umwelt widmen, um überhaupt überleben zu können. Das fragmentierte Ich zielt auf eine Ent-differenzierung und Entlebendigung der inneren und äußeren Realität ab. Der Computer erlaubt die Entdiffe-renzierung und übt einen verantwortungslosen, durch Wiederholung entwerteten Verlauf ein.

Es geht nicht darum, Computer als solche zu verteufeln, sondern aufmerksam zu machen, daß Kinder und Jugendliche, die dauernd mit Tötungsund Vernichtungsspielen beschäftigt sind, eigentlich unübersehbar um Hilfe rufen.

Ähnliches gilt auch für Videoclips der Popkultur: Nicht die Rock- oder Popmusik ist zu verurteilen, sondern die Schnittschemata der Filme sind kritisch zu durchleuchten, beziehen sie doch ihre Anleihen direkt von Propagandafilmen des Dritten Reiches. In diesem Zusammenhang gilt es die Frage zu klären, wie viele versteckte Informationen erreichen die Adressaten?

So lange die Gesellschaft immer dann ihren Medienmuskel spielen läßt, wenn Reizworte fallen, werden sich rechtsorientierte Tendenzen unter Jugendlichen besonderer Beliebtheit erfreuen. So lange aber auch hingenommen wird, daß ärgste Verbalattacken toleriert, Gewaltverherrlichung in der Unterhaltungsindustrie akzeptiert, Führerfiguren in Familienshows hingenommen und bejubelt werden, der Begriff „Heimat" zweifelhaften „politischen Gesellen mit braunem Mundgeruch" (Rudolf Bretschneider) überlassen wird, werden sich die Hilferufe verirrter junger Menschen nicht strukturell ändern.

Daß jenen, die aus der seelischen (oder psychischen) Not politisches Klein- beziehungsweise Großgeld gewinnen wollen, der entschlossene Kampf im rechtsstaatlichen Sinn anzusagen ist, versteht sich wohl von selbst.

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