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Film und Jugendkriminalität

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Feststellungen vor Gericht einerseits, andererseits heftige Entgegnungen von Filmfadi- kreisen, die den Einfluß des Films aul die Jugendkriminalität überhaupt bestreiten, haben in letzter Zeit das alte Thema „Jugendkriminalität und Film" wieder aufleben lassen. Im Chor der Stimmen erhält der nachstehende Beitrag durch die berufliche Position des Verfassers — der Autor ist Staatsanwalt beim Jugendgerichtshof in Wien — besonderes Gewicht. Seine grundsätzlichen Ausführungen könnten die Grundlage für eine wünschenswerte Fortsetzung der Diskussion bilden. Einen erfreulichen Beitrag dazu lieferte am vergangenen Freitag das Sadioparlament des Senders „Rot-Weiß-Rot", das die gehaltvollen Ausführungen dreier Fachleute (Arzt, Jurist und Ktnofadimann) mit temperamentvollen Äußerungen des Publikums konfrontierte. „Die Österreichische Furche“

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Feststellungen vor Gericht einerseits, andererseits heftige Entgegnungen von Filmfadi- kreisen, die den Einfluß des Films aul die Jugendkriminalität überhaupt bestreiten, haben in letzter Zeit das alte Thema „Jugendkriminalität und Film" wieder aufleben lassen. Im Chor der Stimmen erhält der nachstehende Beitrag durch die berufliche Position des Verfassers — der Autor ist Staatsanwalt beim Jugendgerichtshof in Wien — besonderes Gewicht. Seine grundsätzlichen Ausführungen könnten die Grundlage für eine wünschenswerte Fortsetzung der Diskussion bilden. Einen erfreulichen Beitrag dazu lieferte am vergangenen Freitag das Sadioparlament des Senders „Rot-Weiß-Rot", das die gehaltvollen Ausführungen dreier Fachleute (Arzt, Jurist und Ktnofadimann) mit temperamentvollen Äußerungen des Publikums konfrontierte. „Die Österreichische Furche“

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Der Film ist heute aus dem Leben des modernen Menschen nicht mehr wegzudenken. Er hat in den letzten Jahrzehnten die stärksten Möglichkeiten entwickelt, auf die Entwicklung und die geistige Haltung der Menschen einzuwirken. Wie oft werden erwachsene Personen durch Filme aufgewühlt und haben Mühe, mit den angeschnittenen Fragen oder den angebotenen Lösungen fertig zu werden. Um wieviel mehr müssen Jugendliche von Filmdarstellungen unmittelbar gepackt und beeinflußt werden! Diese jungen Menschen sind in ihrer seelischen und geistigen Lage labil und unfertig. Sie drängen zur Entwicklung, trnd es ist nicht gleich, ob diese gut oder schlecht beeinflußt wird. Die Jugendlichen sind keine kleinen Erwachsenen, an die man die gleichen Maßstäbe wie bei Erwachsenen, nur maßgerecht verkleinert, anlegen könnte. Ihr Handeln ist intuitiv, unüberlegt, von Stimmungen beherrscht und kurzschlüssig. Wenn nun ihre Beeinflussung durch den Film — im Guten wie im Bösen — feststeht, ist es nur zu verständlich, daß man sich auch mit der Frage befaßt, in welchem Verhältnis Erscheinungen der Kriminalität zum Einfluß des Films stehen.

Die besondere Wirkung des Films besteht in seiner Eigentümlichkeit, die Phantasie nicht bloß anzuregen, sondern in eine bestimmte Richtung zu zwingen. Der Leser eines Baches wird die geschilderten Orte, Räume und Personen aus seiner eigenen Vorstellungswelt mit Leben erfüllen. Der Film dagegen zeigt schon das Bild und nimmt damit die Vorstellung des Beschauers vorweg. Damit bringt er aber, wenn sich die Vorstellungswelt des Zuschauers mit dem Gezeigten nicht deckt, eine psychische Belastung. Er wird darüber hinaus einen Anstoß für die Phantasie bringen und Gedanken wach werden lassen, die bei eigener Bildung der Vorstellung nicht oder mindestens nicht so entstanden wären.

Das wird bei verschiedenen Filmgattungen in verschiedenem Maße erfolgen. Von den der Jugend im allgemeinen zugänglichen Filmen sind die Forschungs-, Lehr- und Versuchsfilme sowie die Wochenschauen als Bildungsmittel allgemein günstig beurteilt worden, und daher für die Jugend ohne Einschränkung zu begrüßen. Daneben gibt es eine große Gruppe von Filmen — Abenteuer-, Wild- West-, Grusel- und Revuefilme —, bei denen schon eine gewisse Vorsicht geboten ist.

Bei der Betrachtung der Abenteuerfilme darf allerdings eine psychologische Grundweisheit nicht übersehen werden: Die Jugend eines bestimmten Alters ist von einem gewissen „Kraftmeiertum" beherrscht. Das Bewußtsein und die Beherrschung ihrer wachsenden körperlichen Kräfte bringt die Jugend zunächst zu einer Überschätzung dieser Kräfte. Mit der etwas später einsetzenden charakterlichen und geistigen Reife wird in der Regel der Jugendliche wieder die Kontrolle über sich selbst erlangen. In diesem Sinne sind Abenteuerfilme von vornherein nicht abzu lehnen, weil sie gleichsam ein Ventil für die „überschüssige" jugendliche Kraft darstellen. Bedenklich werden sie, wenn die Wiedergabe von Raufereien und Schießereien zum maßgeblichen Inhalt des Films wird. Durch die wiederholte Darstellung solcher Szenen geht dem Jugendlichen das Gefühl für Sitte, Recht und Wirklichkeit verloren — und der erste Schritt zur Charakterverbildung ist getan. Gefährlich sind jene Filme, die zwar den Guten am Ende belohnen und den Bösen bestrafen, in ihrem ganzen Aufbau aber, in der ungleichmäßigen Verteilung der „Gewichte" für den Bösen eine derartige Sympathie aufkommen ließen, daß seine Bestrafung schließlich als Unrecht empfunden wird. Hier fehlt die klare Distanzierung von dem Bösen. Die Betrügereien, Durchstechereien, Lügen, Schwindeleien sind breit ausgesponnen und zeigen eine überdurchschnittliche Intelligenz des Verbrechers, der nur durch Zufall oder durch den Einsatz eines Massenaufgebots von Verfolgern zur Strecke gebracht wird. Hier wird öfter bei den Jugendlichen der Wunsch wach, es einem solchen Verbrecher gleichzutun, um zu beweisen, daß es noch andere Mittel gibt, um Polizei und Behörden mit Erfolg an der Nase herumzuführen. Wie oft kann, man als Echo, solcher „perfekter" Kriminalfilme aus dem Mund der faszinierten Jungen hören, daß und wie man es selbst besser gemacht hätte ...! Mag sein, daß eine einzige solche Darstellung noch nicht Schaden stiftet: bei ständiger Wiederholung ist ein Abstumpfen der Begriffe des Rechts und der Anständigkeit unvermeidlich.

So wurde bei straffällig Gewordenen in letzter Zeit häufig festgestellt, daß Abenteuer-, Wild-West- und ähnliche Filme von ihnen ständig besucht werden. Wenn nun auch im Einzelfall nicht immer und unmittelbar ein bestimmter Film den Anstoß zur strafbaren Handlung gegeben hat, so war in diesen Fällen doch immer wieder klar zu erkennen, daß die ständige Beschäftigung der Jugendlichen mit solchen Filmen ihre Bereitschaft zu strafbaren Handlungen verstärkt hat. Gewiß, es wird immer Verbrechen geben, sie sind als Krankheitserscheinung der menschlichen Gesellschaft, besonders in sozial- oder weltpolitisch irritierten Zeitläuften, nicht wegzudenken. Entscheidend ist, in welchem Umfang und in welcher Schwere sie auftreten. Daher darf in Zeiten einer so hohen Kriminalität wie der unseren die Möglichkeit des schädlichen Einflusses durch Filme, erhärtet durch die Feststellungen im Gerichtssaal, nicht unbeachtet bleiben. Eine ziffernmäßige Erfassung des schädigenden Einflusses schlechter Filme ist natürlich nicht möglich. Hier müßten ja zunächst jene Beschuldigten ausgeschieden werden, die die Behauptung des Besuches schlechter Filme bewußt als Ausrede in ihre Verantwortung hineintragen. Auch sonst versagen absolute und Verhällniszahlen vor so subtilen Erwägungen. Eine Anzahl von Wiener Prozessen der letzten Zeit jedoch, darunter einer wegen Mordes an einem Taxichauffeur und einer wegen Notzucht, haben unzweifelhaft die von bestimmten Filmen ausgehende Verrohung und Erotisierung bewiesen.

Der schleichende, langsame, oft nicht erkennbare, zerstörende Einfluß der oben als bedenklich geschilderten Filme zeigt, daß auch die Bekämpfung nicht grob, sondern geschickt und fein angelegt erfolgen muß. Sie wird im Grunde darin bestehen müssen, daß allen Personen, die sich mit der Herstellung, dem Verkauf und Vorführung der Filme sowie mit der Überwachung des Kinobetriebes befassen, endlich die ungeheure Verantwortung vorgeführt wird, die ihnen auferlegt ist, und von deren Rechenschft sie nicht befreit werden können. Die Überschwemmung des Filmmarkts mit jugendgefährdeten Erzeugnissen erfordert energische Schritte zu ihrer Eindämmung durch Gesetz und Vorschriften. Die negative Abwehr durch Verbote dieser Filme ist zu ergänzen durch das aktive Einsetzen von guten Jugendfilmen. Leider konnte in dieser Richtung bisher kein greifbarer Erfolg erzielt werden. Daneben ist jeder Erziehung mit dem Ziel, die natürlichen Abwehrkräfte der Jugend gegen schädigende Einflüsse zu stärken, breitester Raum zu geben. Der Erfolg wird sicherlich in einem Absinken der Bereitschaft, strafbare Handlungen zu begehen, ideell und materiell in einem Nachlassen der Straftaten bestehen.

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