"Besorgte Bürger" - © Foto: picturedesk.com / Christoph Hardt / Action Press

Stabilisierung nach rechts

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Rechtsextreme Haltungen tröpfeln seit Jahren verstärkt in die Gesellschaft. Grenzverschiebungen passieren dabei schleichend – und dienen nicht zuletzt dem Machterhalt der „bürgerlichen Mitte“.

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Rechtsextreme Haltungen tröpfeln seit Jahren verstärkt in die Gesellschaft. Grenzverschiebungen passieren dabei schleichend – und dienen nicht zuletzt dem Machterhalt der „bürgerlichen Mitte“.

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"Die Diktatur hat einen neuen Namen: Political Correctness. Sie ist die Herrschaft der Minderheit über die Mehrheit. Die Minderheit der Political Correctness terrorisiert mit ihrem Tugendkanon und erstickt die Meinungsfreiheit.“ Kommt Ihnen diese Argumentation bekannt vor? Haben Sie vielleicht sogar ein Déjà-vu? Das Gefühl, diese Sätze schon einmal gelesen zu haben?

Die Passage stammt aus dem 1996 erschienenen Buch „Die Diktatur der Guten: Political Correctness“ von Klaus J. Groth. Groth war Journalist und wurde 1996 zum Gründungsmitglied der Vereinigung „Stimme der Mehrheit“ aus Schriftstellern und Publizisten, die dem – Zitat – „Linkskartell innerhalb großen Teilen der schreibenden Zunft eine schlagkräftige Alternative“ entgegensetzen wollten. In Folge sollte sich Groths Buch zu einer Bibel für Vordenker der „Neuen Rechten“ entwickeln.

„Bequeme Erklärungen“

Falls Sie also einer Organisation wie den Identitären nahestehen, falls Sie sich im Umfeld der besonders rechtsauslegenden unter den deutschnationalen Burschenschaften bewegen, haben Sie diese Passage vielleicht tatsächlich schon einmal gelesen. Falls nicht, kommt Ihnen die Argumentation möglicherweise aus einem anderen Zusammenhang bekannt vor: Sie haben Sie während der vergangenen Monate in Artikeln renommierter Tageszeitungen und Magazine gelesen.

Ob FAZ oder Welt: Traditionell konservative Blätter haben in den vergangenen Jahren – getragen von prominenten Gastkommentatoren und Kolumnisten – das, was man gemeinhin unter „konservativer Publizistik“ verstand, ein gutes Stück nach rechts verschoben. Das politische Debattenblatt Cicero sieht sich seit den großen Fluchtbewegungen 2015 mit Anwürfen eines „Rechtsrucks“ konfrontiert. Und das so traditionsreiche Schweizer Leitmedium Neue Zürcher Zeitung schlug unter ihrem seit 2015 amtierenden Chefredakteur Eric Gujer einen scharfen neuen Kurs ein, für den auch zahlreiche Mitarbeiter gekündigt wurden. Andere gingen aufgrund von Differenzen über die neue Linie von selbst. Seither liest sich die „alte Tante“ NZZ an manchen Stellen eher wie das Zentralorgan einer Anti-„Political Correctness“-Front, denn wie das innerredaktionell bunte, liberale Weltblatt, als das man es jahrzehntelang kannte. Aber wie kam es zu dieser Verschiebung des Diskurses auch in den Medien?

„Historisch betrachtet war Political Correctness eine sehr emanzipative Bewegung, die ihren Ausgang in der US-Bürgerrechtsbewegung nahm“, sagt die Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak im Gespräch mit der FURCHE. „Heute ist sie in ihrer Bedeutung umdefiniert und zu einem Feindbild geworden.“ Zu tun habe das mit mächtigen gesellschaftlichen Veränderungen, die das Potenzial haben, breite Gesellschaftsschichten zu destabilisieren oder zumindest in ihrem Selbstverständnis zu bedrohen: Die enormen Umbrüche am Arbeitsmarkt. Flexibilisierung, Prekarisierung. Die von der Digitalisierung befeuerten gesellschaftlichen Revolutionen. Rechtspopulistische Erzählungen böten da „bequeme und einfache Erklärungen für komplexe Phänomene“, sagt Wodak.

Angst vor Statusverlust

Das heute so breitenwirksame Agitieren gegen „politische Korrektheit“ entstand ursprünglich in kleinen rechtsextremen Zirkeln. Im Laufe der Jahre trugen sie zentral dazu bei, das Narrativ von der angeblichen Unterdrückung durch die politische Korrektheit tief in der so genannten „bürgerlichen Mitte“ zu etablieren. Das inzwischen wohlbekannte Paradoxon daran: Menschen, die sich in sozialen Medien oder Kommentarspalten lautstark darüber beschweren, dass man etwas „ja nicht mehr sagen dürfe“, sagen genau das postwendend – und widerlegen ihre eigene These damit häufig noch im selben Halbsatz. „Mit Meinungsfreiheit stand Political Correctness tatsächlich nie in Zusammenhang“, sagt Wodak. Ebendies werde heute aber von entsprechenden Kreisen suggeriert: „Da wird ein Strohmann aufgebaut.“

Interessant dabei: Im öffentlichen Diskurs war lange Zeit von den so genannten „Modernisierungsverlierern“, also meist formal niedrig gebildeten Gesellschaftsgruppen mit zunehmend schlechteren Chancen am Arbeitsmarkt die Rede, die besonders empfänglich für rechtspopulistische bis rechtsextreme Erzählungen seien. Aktuelle Sozialforschung zeigt aber: Gerade in Teilen der „liberalen Mitte“ mit hohen Bildungsabschlüssen und hohem ökonomischem Status verschieben sich Wertehaltungen zunehmend nach rechts. Der Zusammenhang ist einfach: Angst vor Ressourcen- und Statusverlust. Die „bürgerliche Mitte“ wendet sich im Zweifel nach rechts, um ihre privilegierte Position, ihre gesellschaftliche Hegemonie abzusichern.

Das trägt zu einer schleichenden Normalisierung rechtsextremer Narrative sowohl in politischen und öffentlichen Diskursen, als auch in den Haltungen der Bevölkerung bei. Denn die Zuschreibungen, die Bezeichnungen verschieben sich genauso wie Einstellungen und Ideologien nicht abrupt, sondern schrittweise. „Typische Euphemismen finden sich auch im türkis-grünen Regierungsprogramm“, sagt Wodak. So suggeriere der Begriff „Rückkehrzentrum“ ebenso wie die Kicklʼsche Erfindung „Ausreisezentrum“, dass Menschen gerne wieder in ihre Heimatländer zurückkehren würden. Indessen werde verschleiert, dass es dabei auch um Rückkehr in Kriegsländer geht. Umgekehrt verhalte es sich mit dem Begriff „Schlepper“, die heute gezielt zum Feindbild aufgebaut werden: „Im Laufe der Geschichte konnten Menschen nur selten ganz alleine flüchten“, sagt Wodak. „Sie waren fast immer auf irgendeine Form der Hilfe angewiesen.

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