"Das 'Wir' definiert sich NATIONAL"

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Cornelia Koppetsch, Professorin für Soziologie an der TU Darmstadt, erforscht die Abstiegsängste der Mittelschicht und den Aufstieg des Rechtspopulismus. Ein Gespräch über gesellschaftliche Entsolidarisierung, Rechtsextreme und die Klassengrenzen der Innenstadt-Bezirkler.

Die Furche: Frau Koppetsch, bei den Aufmärschen in Chemnitz und Köthen gab es "besorgte Bürger". Und es gab Rechtsextreme und Neonazis, die Hitlergrüße zeigten und Jagd auf Migranten machten. Erstaunlich viele Bürger sahen also offenbar kein Problem darin, gemeinsam mit Neonazis zu marschieren. Muss man dafür Verständnis haben, weil man "die Sorgen der Menschen ernst nehmen" muss?

cornelia Koppetsch: Es ist natürlich klar, dass man sich aufs schärfste distanzieren muss, wenn es Nazi-ähnliche Auswüchse wie Hetze und Jagd auf Migranten gibt. Da wurde eine Grenze deutlich überschritten. Das will man nirgendwo sehen und in Deutschland erst recht nicht. Es weckt wirklich unangenehme Erinnerungen.

Die Furche: Aktuell bröckelt manch demokratischer Konsens, den man seit Ende des Zweiten Weltkriegs für gesichert hielt. Was lehrt uns das, außer: Der Firnis der Zivilisation ist dünn?

Koppetsch: Es gibt einen rechtsradikalen Zweig. Der größere ist aber ein rechtspopulistischer, der sich noch innerhalb der Demokratie verorten würde. Bei den Ursachen für steigenden Rechtspopulismus kommen aus meiner Sicht zwei Dinge zusammen: Zum einen eine starke Deklassierung zentraler Teile der Bevölkerung. Also Menschen, die früher etabliert waren, und jetzt an Geltung und Macht einbüßen -da geht es gar nicht so sehr um das Ökonomische. Zum anderen haben gerade in Ostdeutschland viele Angst vor dem Verschwinden einer kollektiven sozialen Existenz. Da gibt es schrumpfende Regionen, die ökonomisch und sozial peripherisiert werden. Und Einwohner, die mitansehen müssen, wie ihre Städte und Siedlungen verfallen und sich entvölkern. Das "Wir" wird dann national definiert, man sieht sich als "prototypischer Deutscher" und glaubt, man sei als solcher im Verschwinden begriffen. Die Figur des Migranten wird dann zu einer Projektionsfläche für all die Schwierigkeiten, die mit der Globalisierung einhergehen.

Die Furche: Zorn, der sich aus Abstiegsängsten speist, richtet sich heute zu großen Teilen gegen Flüchtlinge und Migranten. Und gerade Menschen im Niedriglohnsektor konkurrieren am Arbeitsmarkt ja auch tatsächlich stark mit Zugezogenen. Gegen globalisierte Wirtschaftssysteme oder entfesselte Finanzmärkte richtet sich Zorn aber vergleichsweise kaum. Wie erklären Sie sich das als Soziologin?

Koppetsch: Man richtet sich nicht mehr an die Verursacher, weil das zu abstrakt ist. "Den Kapitalisten" sieht man schließlich nicht und das ökonomische Prinzip des Kapitalismus ist überall eingedrungen. Es gibt auch kaum jemanden, der nicht auf irgendeine Art an den Strukturen beteiligt ist. Besitzt man etwa Aktien, ist man Teil des Systems. Man geht also in den Schutzmodus und versucht nicht mehr, das System an sich zu ändern. Stattdessen sieht man sich bedroht - von einer "Agency", also einem Akteur, von dem die Bedrohung ausgeht. Es sind psychologische Mechanismen, die greifen, wenn es um so etwas wie existenzielle Fragen geht. Man macht sich dann nicht mehr die Mühe, genauer zu differenzieren, sondern greift schnell auf Feinde zurück.

Da kommt der Migrant ins Spiel, der einem scheinbar etwas wegnehmen will.

Die Furche: Sie sprechen häufig von einer Doppelbödigkeit "kosmopolitischer Eliten". Worauf bezieht sich Ihre Kritik?

Koppetsch: Kosmopoliten hegen starke Abneigung gegen die Fremdenfeindlichkeit der Rechtspopulisten und der unteren Mittelschicht. Dagegen halten sie Offenheit, Toleranz und Multikulturalismus. Die Doppelbödigkeit besteht darin, dass Kosmopoliten gleichzeitig eigene Grenzen ziehen, die sie sich aber oft nicht bewusst machen. Denn die Institutionen arbeiten für sie: Das Bildungssystem ist ethnisch und sozial sehr selektiv. Die Immobilienpreise der Innenstadt-Quartiere, in denen sie oft wohnen, werden immer höher, so dass man sie dort nicht stören kann. Gegenüber Einwanderern der oberen und mittleren Schichten, die sie dann oft "Expats" nennen, sind die Kosmopoliten sehr aufgeschlossen -klar, das sind Leute aus der eigenen sozialen Klasse. Sie haben aber meist keinen Kontakt zu Migranten aus der Unterschicht. Sollte es doch mal Probleme geben, weil das Kind in der falschen Schule angemeldet wird -also einer mit zu hohem Migrantenanteil -, wird ein Riesenaufwand betrieben, um an eine andere Schule zu kommen. Da wird auch schon mal mit Klagen gearbeitet. Das ist natürlich heuchlerisch: Anderen vorzuwerfen, sie würden Migranten ausgrenzen wollen, aber selbst über eigene Methoden zu verfügen, um sie sich vom Leib zu halten.

Die Furche: Elitäre, häufig links der Mitte zu verortende kosmopolitische Zirkel, von denen sich Außenstehende abwenden -eine nachvollziehbare These. Aber wird es nicht ein wenig steil, wenn dieses Milieu immer öfter dafür verantwortlich gemacht wird, dass Menschen quasi gar nicht anders könnten, als sich dem rechten Rand zuzuwenden?

Koppetsch: Sie sind nicht dafür verantwortlich. Und ich würde es keinesfalls so sehen, dass wegen der Doppelbödigkeit der einen, die anderen den Freibrief haben, sich auf brutale Weise bemerkbar zu machen. Man muss aber bedenken, dass der Komplex des Rechtspopulismus ein Teil unserer Gesellschaft ist. Und da haben wir ernsthafte Probleme mit wachsenden Ungleichheiten, was Narrative der liberalen Demokratien unglaubwürdiger werden lässt. Konstruktionen der Wirklichkeit driften auseinander, weil es keine gemeinsame Öffentlichkeit mehr gibt, sondern immer mehr Parallel-Öffentlichkeiten. In den Staatsapparaten, in Bildungseinrichtungen, Parteien und Verbänden sitzen fast nur noch Angehörige der Eliten, der oberen Mittelschichten. Zur Spaltung der Öffentlichkeit kommt eine Verhärtung und Entsolidarisierung. Der Sozialstaat erwirkt etwa nicht nur ökonomischen, sondern auch gesellschaftlichen Zusammenhalt. Fällt der Aspekt der Solidarität weg, verschwindet aber auch das Gefühl in einer gemeinsamen Gesellschaft, unter einem gemeinsamen "Wir" zu leben.

Die Furche: Wie sehen Sie die Rolle der anderen Seite des "bürgerlichen Spektrums"? Jener konservativen Milieus, die in den letzten Jahren selbst nach rechts rückten -und mit Relativierungen auch dazu beitrugen, Positionen des rechten Randes wieder ein Stück in die gesellschaftliche Mitte zu holen.

Koppetsch: Für Deutschland ist mein Eindruck da ein bisschen anders. Hier ist ja auch die CDU unter Angela Merkel liberaler geworden, was sicher noch zur gesellschaftlichen Spaltung beigetragen hat.

Die Furche: Da bestehen natürlich Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich. In Wien gehört mit der FPÖ etwa eine rechtspopulistische Partei schon seit Jahrzehnten zur parlamentarischen Normalität - ganz im Gegensatz zu Berlin.

Koppetsch: Ich glaube, auf Deutschland bezogen könnte man nicht sagen, dass der rechte Rand salonfähiger geworden wäre. Sondern es gibt diese Spaltung in zwei Lager: Ein rechtspopulistisches, das entsprechend denkt und handelt. Und ein großes liberales Lager, das etwa die Äußerungen eines AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland nicht für salonfähig hält.

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