Wahlmotive für radikale Rechte

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Der Protest gegen die politische Klasse tendiert nicht automatisch nach Rechtsaußen. Viele Gelegenheitsstrukturen und Zufälligkeiten machen den Extremismus der Mitte erst möglich.

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Der Protest gegen die politische Klasse tendiert nicht automatisch nach Rechtsaußen. Viele Gelegenheitsstrukturen und Zufälligkeiten machen den Extremismus der Mitte erst möglich.

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Rechtsradikalismus hat Konjunktur in Europa. Seit den achtziger Jahren können rechtsradikale Parteien wieder Erfolge verbuchen. Das Spektrum reicht von der FPÖ in Österreich über die rechtsradikal-regionalistische Lega Nord in Italien, den Vlaams Blok in Flandern und die "Fortschrittspartei" in Norwegen bis hin zum französischen Front national. In Deutschland müssen die rechtsradikalen Parteien DVU, NPD und "Republikaner" zwar insgesamt einen Mißerfolg einfahren, doch gibt es ein relativ stark ausgeprägtes subkulturelles Milieu rechtsradikaler Jugendgewalt. Wie lassen sich diese Erfolge erklären? Das Ursachenbündel ist komplex, wie die Beispiele Frankreich, Deutschland und Österreich zeigen.

Rechtsradikalismus ist bisher zumeist im Kontext von Modernisierungsschüben entstanden. So führt auch die ökonomische "Globalisierung" zu einer Veränderung der Sozialstruktur in den europäischen Gesellschaften: Ängste und Unsicherheiten entstehen. Dabei kommt die Wählerschaft der rechtsradikalen Parteien zwar aus allen sozialen Schichten. Wie aber bereits bei den faschistischen und rechtsradikalen Bewegungen in der Vergangenheit rekrutieren sich die Anhänger vor allem aus den Mittelschichten ("Extremismus der Mitte"). Doch bricht die radikale Rechte zunehmend auch in Teile der Arbeiterschaft ein, wie die Resonanz des Front national in den französischen Vorstädten und der FPÖ in den Wiener Arbeitervierteln sowie die Verbreitung des Rechtsradikalismus in den ostdeutschen Kleinstädten zeigt. Alte Milieus und Solidaritäten lösen sich auf.

Die Wähler werden durch Angst vor Statusverlust, durch Ausgrenzungs- und Frustrationsgefühle (relative Deprivation) sowie durch sozialen Bindungsverlust (Anomie) zur Unterstützung der radikalen Rechten motiviert. Über den nationalen Schutz der Arbeitsmärkte und eine bevorzugte Vergabe von Sozialleistungen bietet die radikale Rechte der "Volksgemeinschaft" einen Wirtschafts- und Sozialprotektionismus an. Politisch-soziale Erklärungen - Angst vor Statusverlust, relative Deprivation, Anomie - sind zwar als struktureller Rahmen notwendig, sie erklären aber nicht, warum die vermeintlichen und tatsächlichen "Modernisierungsverlierer" gerade rechtsradikal wählen. So muß der Blick auch auf die Werte und politischen Einstellungen der Wähler gerichtet werden. Hier liegt das politisch-kulturelle Mobilisierungspotential.

"Sicherheitswähler" Zu den zentralen Wahlmotivationen der rechtsradikalen Wähler zählt die "innere Sicherheit". Sie wird in den städtischen Räumen der europäischen Metropolen zu einem immer wichtigeren Thema. Rechtsradikale Wähler sind Sicherheitswähler mit autoritären Werten. Diese stehen den demokratischen Werten gegenüber, die sich in europäischen Gesellschaften wie der französischen, der deutschen und der österreichischen vor allem seit Ende der sechziger Jahre ausgebreitet haben. Hier fügt sich auch die Polarisierung zwischen demokratischem Multikulturalismus und autoritärem Ethnozentrismus ein: die multikulturelle Gesellschaft wird von den rechtsradikalen Parteien kulturprotektionistisch abgelehnt. Einwanderer werden als Sündenböcke für die soziale Lage und die alltäglichen Unzufriedenheiten der Wähler instrumentalisiert. Die Migranten symbolisieren auch die jeweils spezifischen Probleme der einzelnen Nationen, mit kultureller Differenz umzugehen.

Historisch betrachtet hängt der Erfolg auch davon ab, wie die politische Kultur eines Landes mit der Vergangenheit umgeht. Denn die politische Kultur hebt oder senkt die Schwelle, jenseits derer sich der Rechtsradikalismus offen manifestiert. In Frankreich, wo es schon immer nationalistisch-populistische "Fieberausbrüche" gab, läßt die politische Kultur die radikale Rechte zu, da sich stets ein starker demokratischer Gegenpol ausbildet. In Deutschland ist nach 1945 eine demokratische politische Kultur entstanden, die infolge der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit die Schwelle für die Manifestation der radikalen Rechten sehr hoch ansetzt - ein zentraler Grund dafür, daß der parteiförmige Rechtsradikalismus relativ erfolglos ist. Auch in Österreich wird mit dem Erfolg der FPÖ die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zur zentralen Herausforderung für die politische Kultur.

Rechtsradikalismus kann als ein Syndrom aus Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, Autoritarismus und Antisemitismus und vor allem Nationalismus bezeichnet werden. Dieser Nationalismus wirkt nach "außen" und nach "innen". Nach "außen" wird die Öffnung der sich denationalisierenden Gesellschaft zu einem supranationalen Europa hin ethnoprotektionistisch abgelehnt. Diese Position läßt sich gut für bestimmte Phasen der FPÖ zeigen. In Frankreich als klassischem Nationalstaat ist die Konfliktbildung für und gegen die europäische Integration besonders ausgeprägt. Beide Positionen gehen quer durch alle Parteien hindurch, wurden aber - bis zur Spaltung und dem relativen Niedergang des Front national 1999 - von der Partei Le Pens angeführt. In Deutschland herrscht dagegen ein relativ starker europapolitischer Konsens, was der radikalen Rechten den Wind bei dieser politischen Streitfrage aus den Segeln nimmt.

Durchbruch gelungen Nationalismus integriert aber auch nach "innen". Angesichts der grassierenden politischen Vertrauenskrise in den europäischen Demokratien wird von der radikalen Rechten populistisch die Stimme des Volkes gegen die Korruption der politischen Klasse erhoben. Diese Krise der politischen Repräsentation ist als Erklärung besonders für Österreich zu erwähnen, wo das konkordanzdemokratisch geregelte Proporzsystem und die jahrelange Große Koalition politischen Protest schwer machten. Doch tendiert der Protest gegen die politische Klasse auch in Frankreich und Deutschland nicht automatisch nach rechts. Er muß - zumindest bei der Stammwählerschaft - mit rechtsradikalen politischen Einstellungen verbunden sein. All die bisher genannten Faktoren erklären aber noch nicht, warum dem europäischen Rechtsradikalismus gerade in den achtziger und neunziger Jahren der politische Durchbruch gelungen ist.

Heiß umkämpfte Mitte So hängt der Erfolg auch von den sogenannten politischen Gelegenheitsstrukturen ab. Darunter sind die externen Bedingungsfaktoren zu verstehen, die rechtsradikalen Bewegungen und Parteien innerhalb des politischen Systems diesen Durchbruch ermöglichen. Dazu zählt zum Beispiel die Position dieser Parteien innerhalb des Parteienwettbewerbs: das strategische Verhalten und die Besetzung der "richtigen" Themen zur passenden Zeit. Dazu gehört aber auch das Verhalten der anderen politischen und gesellschaftlichen Akteure: der anderen Parteien, der staatlichen Institutionen, der Öffentlichkeit und der eventuellen Gegenbewegungen. Sie schaffen oder verhindern die Voraussetzungen dafür, daß die radikale Rechte Machtpositionen erlangt und ihre Ideen in die "Mitte" der Gesellschaft diffundieren können.

Schließlich muß das Lager der radikalen Rechten gefestigt sein (interne Bedingungsfaktoren). Innere Zerstrittenheit verhindert den Erfolg. Dies zeigt zum Beispiel die Situation in Deutschland, wo die "Republikaner", die DVU und die NPD miteinander konkurrieren. Letztendlich versteht es sich von selbst, daß die Existenz oder Nichtexistenz einer charismatischen Führungspersönlichkeit das Nadelöhr für den Erfolg darstellt: ohne einen (allerdings alternden) Jean-Marie Le Pen und ohne einen "newcomer" a la Jörg Haider führen die sozialen, kulturellen und politischen Voraussetzungen nicht zum wahlpolitischen Erfolg. Nur die Gesamtheit der hier kurz skizzierten Bedingungsfaktoren kann den Erfolg der radikalen Rechten in Europa erklären.

Der Autor ist Politikwissenschaftler an der Universität Bielefeld. Diesen Beitrag referierte er beim Symposion "Extremismus der Mitte" im Salzburger Bildungshaus St. Virgil, das vom 14. -15. März 2000 stattgefunden hat.

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