Religion & säkularer Staat: Eine Hassliebe

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Wenn Donald Trump in den USA ein Einreiseverbot für Muslime fordert, rümpft das säkulare Europa die Nase. Doch auch dort schlagen derartige Sprüche längst ein.

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Wenn Donald Trump in den USA ein Einreiseverbot für Muslime fordert, rümpft das säkulare Europa die Nase. Doch auch dort schlagen derartige Sprüche längst ein.

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Einreiseverbot für Muslime in die USA, der Islam als gewaltbereites Mörderkollektiv oder die Unvereinbarkeit muslimischer Überzeugungen mit amerikanischen Werten US-Immobilienhai Donald Trump, der um den republikanischen Startplatz für die Präsidentschaftswahl 2016 in den Vereinigten Staaten kämpft, hat es wieder geschafft, den Fokus internationaler Medien, politischer Vertreter und Religionsgemeinschaften auf die US-Politik zu ziehen. Ungläubiges Kopfschütteln, Verhöhnung Trumps und das Gefühl, dass solche Aussagen eines Politikers nur jenseits des großen Teiches möglich sind, waren in Europa keine seltenen Reaktionen.

Begründet werden solche Einschätzungen offenbar auch durch einen Blick in die US-Politgeschichte und den Umgang mit bestimmten Religionsgemeinschaften, was deren politische Stellung angeht: So war das Misstrauen weiter Teile der mehrheitlich protestantisch geprägten US-Bevölkerung gegenüber möglichen politischen Führern, die sich zum Katholizismus bekannten, bis ins 20. Jahrhundert prägend. Die Angst vor einer papistischen Fremdbestimmung und das Verbot freier Meinungsäußerung waren enorm. Ähnlich auch der politische Argwohn gegenüber Mitgliedern der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage (Mormonen), die in Teilen der USA sogar per Gesetz von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen wurden.

Obwohl in den USA seit dem ersten Verfassungszusatz von 1791 die freie Religionsausübung und damit die Trennung von öffentlichen Ämtern und persönlichem Religionsbekenntnis festgeschrieben ist, scheint dort die Trennung von Kirche und Staat noch nicht in der Art realisiert wie in den Gründertexten intendiert. Ein Einzelfall?

Jenseits wie diesseits des Atlantiks

Ein Blick in die Politik europäischer Staaten dieser Tage angesichts Flüchtlingskrise und Terrorgefahr lässt daran zweifeln: So etwa in Frankreich, dem säkularen und aufgeklärten Staat schlechthin. Trotz der strikten Trennung von Kirche und Staat (Gesetz von 1905) und der verfassungsmäßigen Neutralität des Staates in Fragen der Religion (laicité in der Verfassung von 1958), kann plötzlich die rechtspopulistische Front National rund um ihre Leitfigur Marine Le Pen, die sich öffentlich als Beschützerin der christlichen Werte inszeniert und gegen Muslime wettert, breite Stimmengewinne verbuchen.

Ebenso versammeln sich in der durch die DDR atheistisch geprägten Großstadt Dresden Tausende Bürger, die sich unter dem Namen Pegida als das Bollwerk des christlichen Abendlandes gegen die scheinbare Islamisierung der europäischen Kultur verstehen.

Auch in anderen europäischen Staaten wie Polen und Ungarn sind rechte Populisten auf dem Vormarsch, die die islamische Gefahr für "unsere Werte" stilisieren und öffentlich dagegen auftreten. So auch in Österreich, wo ein Rechtspopulist mit einem Kreuz in der Hand von der Rednerbühne zum Kampf gegen die Invasion Europas durch fremde Kulturen aufruft.

Die Gefahr des Islams für Europa, so diese "Fronten" europäischer Lebensart, sei die zurzeit größte Bedrohung der politischen Gesellschaftsordnung. Die aktuelle Flüchtlingskrise und die terroristische Bedrohung in der europäischen Union seien mehr als deutliche Zeichen dieser Infiltration durch Fremdvölker. Plötzlich treten Politiker in Staaten, die sich durch Gesetze und Verfassungen zur Neutralität verpflichtet haben, als Schutzheilige der europäischchristlichen Kultur auf und betonen unter teils großem Zuspruch der Wähler die gemeinsamen Werte des christlichen Abendlandes. Wie ist dieses Paradoxon zwischen säkularem Staat und oben dargestellter politischer Inszenierungen zu erklären?

Zeitgenössische Theologen rund um John Milbank und Graham Ward behaupten, dass der Säkularismus und die damit verbundene Idee eines religionsfreien Staates schlichtweg eine unmöglich zu realisierende Illusion ist. Der Bereich des "Säkularen" entpuppe sich demnach geradezu als ein Gedankenkonstrukt, das zu einem Utopia moderner Gesellschaften wurde. Unter den Vorzeichen der Aufklärung hätte sich der Traum eines Staates entwickelt, der, von jeglichem Fremdeinfluss durch kirchliche und religiöse Institutionen befreit, das Leben der in ihm lebenden Menschen ermöglichen sollte.

Religionslose Politik ist Illusion

Nun zeige sich, argumentiert die gennannte theologische Schule, jedoch stärker denn je, dass diese konstruierte Wirklichkeit einer von Religion entkleideten Politik nicht nur illusorisch ist, sondern sich vom Traum hin zu einem wahren Alptraum bewegen könnte, indem sie die politische Funktionalisierung religiöser Überzeugungen eröffne. Wurde früher die Politik durch Religion instrumentalisiert, so sei es in den scheinbar säkularen Staaten heute oftmals umgekehrt.

So behauptet etwa der Soziologe Jacques Berlinerblau, dass man in modernen Staaten westlicher Prägung eine wechselseitige Beziehung zwischen Religion und Politik finde: Zwar habe der moderne Staat sich weitgehend von den Fesseln der Jahrhunderte andauernden Lenkung politischer Geschicke durch religiöse Institutionen lösen können, jedoch sei die Religion dadurch keinesfalls verschwunden. Vielmehr besitzen solch neutral verfasste Staaten eine hybride Identität zwischen Säkularität und Religiosität.

So beeinflusse der Staat einerseits durch seine Gesetzgebung religiöse Überzeugungen und Lebensweisen der Bürger und andererseits fungiere Religion mitunter als zentrales Instrument für politischen Stimmenfang und so als Instrument politischen Kalküls. Es sei, meint der US-Historiker Kenneth Heineman, auch kein Zufall, dass vor allem konservative Kreise rechtspopulistischer Bewegungen auf diese Argumente zurückgreifen. Religion werde in den säkularen Staaten zwar offiziell von politischen Entscheidungen ausgeschlossen, doch bedient man sich politisch nach wie vor gezielt religiöser Denkmuster und damit verbundener Lebensweisen, um Wähler zu gewinnen.

Elemente einer Angstpolitik

Dies geschehe nicht zuletzt dann, wenn es um die Betonung der Beständigkeit "eigener" Werte gegenüber anderen Kulturen, Religionen und Denkweisen (waren es in den USA einst Katholiken und Mormonen oder Muslime in der gegenwärtigen Diskussion) geht. Dann wird von politischer Seite nach wie vor gerne die krankhafte Angst vor Fremdem (Xenophobie) geschürt, indem plötzlich Religion als scheinbar heimeliger Schutz im öffentlichen Diskurs strategisch wieder zur Sprache gebracht wird.

Trumps Aussagen reihen sich zwar nahtlos in die angesprochenen Verurteilungen religiöser Gruppen in den USA ein, doch sind Elemente einer solchen Angst-Politik nicht nur jenseits des Atlantiks zu finden. Es zeigen sich unter den Vorzeichen von Flüchtlingskrise und Terrorgefahr auch befremdende Parallelen in den nominell säkular verfassten Staaten Europas.

Man bedenke auch: Waren Katholiken und Mormonen zwar den Anfeindungen der US-Politik ausgesetzt, wurden doch beide religiösen Milieus im Laufe des 20. Jahrhunderts politisch salonfähig, deren Angehörige zentrale Akteure und eine nicht zu vernachlässigende potenzielle Wählerschaft. Kann man aus der Geschichte lernen, dürfte sich dies zukünftig auch für die aktuell im Fadenkreuz rechter Politiker stehenden Gruppen einstellen.

Der Autor arbeitet als kath. Theologe an den Universitäten Salzburg und Springfield / Missouri

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