Stehen die Kirchen auf Seiten der Autokraten?
Nicht nur in Russland, Ungarn und Polen stärken die christlichen Kirchen derzeit eher autokratische Politik, als sie zu stören. Es zeigt sich eine Beziehung im beiderseitigen Interesse – aber auf Kosten der Demokratie. Doch es gab und gibt Gegenbeispiele. Ein Gastkommentar.
Nicht nur in Russland, Ungarn und Polen stärken die christlichen Kirchen derzeit eher autokratische Politik, als sie zu stören. Es zeigt sich eine Beziehung im beiderseitigen Interesse – aber auf Kosten der Demokratie. Doch es gab und gibt Gegenbeispiele. Ein Gastkommentar.
Die Friedensgebete in der Leipziger Nikolaikirche spielten beim Berliner Mauerfall 1989 eine wesentliche Rolle. Pfarrerinnen und Pfarrer initiierten Widerstand, über Jahre hinweg versammelten sich Menschen in der Kirche und fanden dort den notwendigen öffentlichen Raum zum Austausch. Die Nikolaikirchen-Bewegung zählt freilich zu den wenigen europäischen Beispielen für eine Kirche, die aktiv auf der Seite der Demokratisierung steht. Im Gegenteil stellen sich in den letzten Jahrzehnten viele Kirchen, insbesondere in osteuropäischen Ländern, auf die Seite von Autokraten. Sie stören nicht die Entdemokratisierung – geistliche Würdenträger und ultrakonservative Parteien bilden vielmehr eine antidemokratische Allianz im Namen christlicher, abendländischer Werte.
Aber nicht nur in Osteuropa, auch in Westeuropa sind Oppositionsparteien beim Aufbau eines ethno-religiösen Nationalismus erfolgreich. Wie die jüngsten Auswertungen der Europäischen Wertestudie zeigen, neigen religiös gebundene Menschen zunehmend zu antidemokratischen Parteien, die das Christentum lediglich als abendländische Kultur verstehen, um so gegen Zuwanderung zu mobilisieren.
Es ist aber die liberale Demokratie, die die Religionsfreiheit für alle garantiert. Erst der demokratische Grundsatz der Gleichbehandlung gibt auch Minderheitsreligionen das Recht, ihren Glauben sichtbar zu leben. In autokratischen Ländern hingegen kann sich nur die jeweils „nationale“ Mehrheitsreligion über eine privilegierte Stellung freuen. Diese ist ein Monopolist hinsichtlich Finanzierung, Zugang zu Schulen und Kindergärten und hat die Autorität, gesellschaftspolitisch relevante Gesetzgebung zu beeinflussen. Religiöse Minderheiten besitzen hingegen nicht nur nicht diese Rechte, sie werden in politischen Kampagnen oft attackiert und müssen als Sündenböcke herhalten.
Vereinnahmen und schweigen
Wie und warum unterstützen christliche Kirchen den Rückbau von Demokratie? Zwei Entwicklungen fallen dabei auf:
- In osteuropäischen Staaten, namentlich in Ungarn und Polen, steht das Wertesystem der liberalen Demokratie unter massivem Druck. Beschädigungen der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der individuellen Freiheits- und Autonomierechte werden von den Amtskirchen geduldet, manchmal wird dabei auch aktiv mitgeholfen. Die Regierung vereinnahmt die Kirche. Ungarn sei ein christliches Land mit christlichen Werten, so etwa die Erzählung, mit der eine feindselige Politik gegen Rechtsstaatlichkeit, gegen Menschen mit nichtchristlichen Glaubensbekenntnissen und generell gegen Geflüchtete legitimiert wird.
- Auf die Vereinnahmung reagieren Kirchen teils mit Schweigen, was in der Konsequenz auch auf Bejahung hinausläuft. Teils zeigt die Amtskirche aber auch eine große ideologische und interessengeleitete Nähe zur Regierung. Dies trifft insbesondere auf die Bischöfe Polens und die bis vor kürzlich regierende PiS (Partei für Recht und Gerechtigkeit) zu. Nicht selten machten sich Kirchenvertreter zum Sprachrohr der Regierung. Und in Ungarn wiederholen manche Bischöfe direkt Orbáns Narrativ der christlichen Werte im Kontext der Migrationspolitik. Illustrativ dafür ist eine Aussage eines ungarischen Bischofs, wonach die ins Land kommenden Migranten die christlichen Werte verwässern würden und daher eine restriktive Migrationspolitik auch im Interesse des Christentums sei.
Der leisen oder auch lauten Zustimmung zur Einschränkung von liberalen Grundwerten wie dem Recht auf Asyl steht ein übereinstimmendes Interesse in gesellschaftspolitischen Fragen gegenüber. Die Kirchen werden mit religiös-konservativen Gesetzen im Bereich der Schulpolitik (zum Beispiel Sexuallehre), der Ehe, der Familienförderung, der Abtreibung, der eingeschränkten Rechte für LGBTQ-Personen belohnt; sie bekommen Aufträge in der Bildung und im Sozialbereich – und ihr Wohlverhalten wird mit finanzieller Unterstützung aus dem Staatshaushalt gewürdigt.
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