Religion und Politik - © APA / Hans Punz

Das Kreuz der Kirche mit der Politik

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Während die Kirche im gesellschaftspolitischen Bereich nach einer Linie sucht, steht sie vor einem eigentlich viel größeren Problem.

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Während die Kirche im gesellschaftspolitischen Bereich nach einer Linie sucht, steht sie vor einem eigentlich viel größeren Problem.

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Langweilig wurde es im religionspolitischen Diskurs der vergangenen Monate nie: Wohl selten zuvor haben sich kirchliche Entscheidungsträger und Organisationen so sehr in öffentliche Debatten eingeschaltet wie das zuletzt der Fall war. Gründe dafür gab es mehrere: Boten doch Themen wie die Neuregelung der Beihilfe zum Suizid, die Frage nach der Sonntagsöffnung im Advent, die heftigen Verwerfungen um Corona-Regeln und die Impfpflicht durchaus Potenzial dafür, die großen Religionsgemeinschaften in Österreich aus ihrer lange dauernden Lethargie zu bringen. Im Sport-Jargon würde man von „aufgelegten Elfmetern“ sprechen, anhand derer sich die Chance bot, Kirchen im gesellschaftspolitischen Diskurs wieder mehr ins Zentrum zu bewegen.

Tatsächlich wurde die Chance zur Mitsprache auf vielen Ebenen wahrgenommen. Theologische Arbeitsgruppen wurden eingesetzt, damit die Kirchenführung pointiert und klar Position beziehen kann. Gleichzeitig brachten sich Priester- und Laieninitiativen in die Diskussionen ein und machten mit ihren Stellungnahmen deutlich, dass sich religiöse Gemeinschaften sehr wohl um die politische und soziale Öffentlichkeit zu sorgen hätten, ungeachtet dessen, dass ihre Mitglieder im Land weiterhin empfindlich schrumpfen.

Mitarbeit am Gemeinwohl

Eigentlich meinte man, es wäre Zeit, die Ärmel hochzukrempeln und kirchliche Mitarbeit am öffentlichen Gemeinwohl verstärkt anzugehen. Doch so einfach ist das nicht. Die zahllosen politischen Themenfelder der letzten Zeit haben nicht nur das politische Potenzial religiöser Gruppierungen im Land deutlich gemacht, sondern mindestens ebenso auch, wie umkämpft und umstritten deren politisches Engagement kirchen­intern wie -extern ist. Zweifel gegenüber der „politischen Agenda“ im religiösen Diskurs gibt es genug.

Nein, damit ist jetzt nicht eine Wiederentdeckung parteipolitischer Seilschaften und Lobbykampagnen oder eine sentimental hoffnungsvolle Zuwendung an umstrittene historische Größen wie Ignaz Seipel gemeint, die in ihrer Person kirchliches Amt, politische Sendung und öffentliche Interessen vereinen wollten.

Dennoch werden sozialpolitische Aktivitäten und Stellungnahmen auch heute von vielen Seiten kritisch beäugt: Die „Einmischung“ der Religion in den öffentlich-politischen Bereich, verstanden also als eine unzulässige Grenzüberschreitung, wird nicht nur von Vertretern säkularer Kreise beklagt, sondern auch nicht we­nige Gläubige stehen einer gesellschaftlichen Positionierung kirchlicher Einrichtungen mindestens ebenso kritisch gegenüber.

Gerade das Stichwort „Neuevangelisierung“, besonders in konservativen Kreisen zum sprichwörtlichen Allheilmittel aller Probleme stilisiert, muss oft als ideologisches Gegenstück zum politischen Engagement herhalten: Nicht in einer politischen Positionierung sei die „wahre“ Berufung des Christseins zu finden, sondern in der Neuentdeckung einer nach innen gekehrten Spiritualität. Eine fragwürdige Konstruktion, die mit diesem Nullsummenspiel ins Feld geführt wird, dennoch beherrscht die damit umrissene Grundsatzentscheidung zwischen „nach außen“ und „nach innen“ weite Teile kirchlicher Prozesse.

Eine paradoxe Lage: Einerseits wird ein schier unaufhaltsamer Relevanzverlust religiöser Stimmen in der Öffentlichkeit beklagt, andererseits werden innerkirchlich gerade jene Wortmeldungen, die nicht in die eigene Linie passen, mit der bekannten Argumentation einer strikten Trennung von staatlicher Autorität und kirchlicher Sendung zu unterbinden gesucht.

Wer sich als kirchliche Stimme politisch äußert, macht sich angreifbar – von Seiten der politischen Öffentlichkeit wie im kircheninternen Bereich, wo besonders traditionalistische Kreise bei den Themen Integration, Impfpflicht und Corona-Maßnahmen von den Bischöfen förmliche Zurückhaltung erwarten, gleichzeitig aber bei Lebensschutz, Sonntagsöffnung und LGBT-Themen die öffentliche Proklamation der konservativen Linien einfordern.

Der Schuh mag nicht so recht passen. Die einschlägigen, meist privat finanzierten Foren konservativer Kreise arbeiten nach einem deutlich erkennbaren Muster: Politische Einmischung wird dort gefordert, wo die eigene traditionalistische Linie auf dem Spiel steht, die Auseinandersetzung mit modernen Lebensformen oder sozial- und naturwissenschaftlich begründeten Lösungen für aktuelle Fragen wird abgewiegelt und als „unvereinbar“ mit dem christlichen Weltbild stigmatisiert.

Wenn sich dann jene lautstark auftretenden Amtsträger, Laientheologen oder Freizeit-Influencer finden lassen, die sich in Form theologisch zweifelhafter, dafür umso populistischer auftretenden Videobotschaften im rechtskatholischen Web positionieren, dreht sich die fragwürdige Spirale unaufhaltsam weiter. Der religionspolitische Diskurs verkümmert mehr zu einem fragmentierten Vielfrontenkrieg, als dass er sich der tatsächlichen Fragen imenschlichen Zusammenleben annimmt.

Binnenkirchliche Polarisierung

Diese Problemfelder setzen dem gesellschaftspolitischen Diskurs der Kirche schwer zu. Mehr noch als die säkulare Hinterfragung kirchlicher Expertise im öffentlichen Raum macht die binnen­kirchliche Polarisierung zu schaffen. Viele scheinen an umfangreichem Engagement in der gesellschaftlichen Realität nicht mehr interessiert zu sein, ja dieses als Gefahr zu disqualifizieren. Ihnen geht es in erster Linie um die Sicherstellung einer ekklesialen Identitätspolitik, die sich an den klassischen Themen kirchenpolitischer Endlosschleifen abarbeiten möchte. Ein produktives Gespräch oder die ernsthafte Auseinandersetzung mit zeitgeschichtlichen Problemen findet man hier kaum.

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