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Für uns Menschen

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Nach(t)gedanken eines untypischen, weil seltenen, Fernsehkonsumenten und Medienbischofs zu einem Symposion über Kirche und Verkündigung in den Massenmedien.

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Nach(t)gedanken eines untypischen, weil seltenen, Fernsehkonsumenten und Medienbischofs zu einem Symposion über Kirche und Verkündigung in den Massenmedien.

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Ich habe den Bischof schon oft gehört, mich immer bei seinen Predigten gelangweilt ... Die Wahrheit ist nicht langweilig, nur der Bischof hat offenbar die Gabe, sie langweilig erscheinen zu lassen” (Heinrich Boll, Und sagte kein einziges Wort).

Diese Mahnung des deutschen Nobelpreisträgers und Katholiken Boll gilt allen, die sich dem Forum der Öffentlichkeit stellen (müssen), ob Journalisten, Politiker oder Priester. Ob in den Printmedien, im Hörfunk oder im Fernsehen. „Christus in der Mediengesellschaft, Sendestörung” lautete der Titel einer hochkarätigen - von der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Verbände und der Katholischen Medienakademie veranstalteten*- Fachtagung am 20. November 1993 im ORF-Lan-desstudio Eisenstadt.

„Christus in der Mediengesellschaft” - damit stellt sich auch unweigerlich die Frage nach der Rolle und Präsentation der Kirche in den Massenmedien, insbesondere im Fernsehen. Wie wird Kirche präsentiert, wie präsentiert sich die Kirche? Wer ist überhaupt diese Kirche?

Als regelmäßiger Zeitungs- und Hörfunk- sowie seltener Fernsehkonsument müßte ich den Eindruck gewinnen, daß diese - medial vermittelte - Kirche vornehmlich aus „Sündern” und kaum aus „Heiligen” besteht. Offenbar ist die Jagd nach den versteckten „Sündern” interessanter und auflagensteigernder als die mühevolle Suche nach den versteckten, unerkannten „Heili-gen”.

Schwächen, Unzulänglichkeiten, Allzumenschliches, werden ausgebreitet und durchleuchtet, ausgewalzt und analysiert. Das Recht auf Information und Darstellung soll hier nicht bestritten werden, aber ist dies wirklich „das” Erscheinungsbild von Kirche? Gibt es nicht gerade auch in dieser - von Menschen und für die Menschen getragenen -Institution das Wirken jenes Heili-bpti Geistes, das nicht so auffällig. schrill, (markt-)schreierisch und reichweitenorientiert ist?

Hans Urs von Balthasar umschrieb dieses Phänomen so: Schlagen'doch viele ein auf die Kirche wie auf eine alte Matratze - ohne sich selbst bei jedem Schlag mit der Geschlagenen zu identifizieren; als ob sie nicht dazugehörten.

Und wir „müssen es lernen, die Kirche zu ertragen. Wir sind der Kirche gegenüber manchmal wie Kinder, die wissend geworden sind und hinter die Schwächen ihrer Eltern kamen ... Wir sind selbst wissend und traurig. Aber wenn unser naiver Kinderglaube reif werden soll, muß diese Last getragen werden. Diese Kirche, wie sie leibt und west und in vielen ihrer Glieder verwest, ist und bleibt..auch für uns Glaubensprobe, Prüfung, Bestürzung, brennende Sorge.” (Hugo Rahner)

Trend zur Unterhaltung

Allzuleicht besteht die mediale Vermittlung von Kirche und Christentum ausschließlich in Form von Informationen über innerkirchliche Ereignisse, von A wie „Amtskirche” (wer immer den Ausdruck erfunden haben mag, weder das Konzil noch seriöse theologische Literatur kennt dieses irreführende und verkürzende Wort) über B wie „Bischofsernennungen” bis hin zu Z wie „Zölibats-diskussion(en)”.

Im Fernsehen geht jetzt der Trend unaufhaltsam in Bichtung Unterhaltung-Show-Serien. Information wircl immer weniger Platz eingeräumt, die neue Form des Erzählens und der Serien erobert alle

Sendungsbereiche. Traditionelle religiöse wie kirchliche Sendungen (Gottesdienstübertragungen) erleiden Reichweiteneinbußen, erzielen aber trotzdem noch immer beachtliche Einschaltziffern.

Während es noch vor nicht allzulanger Zeit als „unchic” galt, religiöse Themen in den Programmen zu bringen, zeigt die Entwicklung der spätindustriellen Gesellschaft einen religiösen „Boom” an. Wobei religiös nicht christlich und schon gar nicht immer kirchlich heißen muß. Ur-religiöse Themen, wie etwa das eigene Leben tiefer zu verstehen und Lebenskrisen mit mehr Glauben und Hoffnung zu begegnen, werden heute - besonders in den elektronischen Medien - eher von den Vertretern der sogenannten New-Age-Bewegung vorgetragen als von kirchlichen Vertretern. Wiewohl* die meisten dieser „In”-The-men den spirituellen Schatztruhen der christlichen Überlieferung willkürlich entnommen, und mit allerhand Mixturen aus allen Kulturen und Epochen versehen, den Dürstenden des 20. Jahrhunderts als „(Selbst-)Erlösungs-Cocktail” dargeboten werden.

Wer gibt welche Antworten auf die religiösen Sehnsüchte der Menschen? Jene Themen und Fragen müssen auf die Bild-Schirme gebracht werden, die die Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche bewegen. Haben aber nicht gerade auch die religiösen Erzählungen der Bibel Modellcharakter für das Verständnis der eigenen Lebensgeschichte?

Gibt es nicht die beinahe zweitausendjährige Überlieferung der Spiritualitäten des Christentums - vergleichbar einem blühenden Garten mit verschiedenen Blumenbeeten? (Angefangen von Franz von Assisi über die Mystik des Karmel bis hin zu Hildegard von Bingen)?

Nach all den Ärzten, Rechtsanwälten, Förstern, und anderen Protagonisten diverser Fernsehserien waren auch die Priester und Ordensfrauen an der Reihe. Überraschenderweise schneiden diese Serien nicht nur am besten ab, sie erzielen auch oft das positivste Echo beim -serienverwöhnten - Publikum.

Wenn die Zuschauer-Umfragen stimmen, so werden diese Fernsehserien oftmals auch als Hilfe zur Lebensbewältigung angesehen. Erstaunlicherweise wird die religiöse Motivation der handelnden Protagonisten („Wie gut, daß es Maria gibt”) wie auch die religiöse Akzentuierung des Lebensraumes gesehen und akzeptiert. Aus welchen Gründen auch immer bringt ein deutscher Kommerzsender - neben einer Unzahl von Serien - alljährlich stundenlange Aufzeichnungen/Übertra-gungen von der berühmten Taize-Nacht ...

Glaubenszeugnis gefordert

Irgendwie haben nun diese „Selbstverständlichkeiten” auf dem Bildschirm das Bild von Kirche in den elektronischen Medien durcheinandergebracht. Denn was wäre, wenn Unterhaltungsangebote tatsächlich geeignet sind, religiöse Wertvorstellungen zu vermitteln und sogar religiöse Informationen zu transportieren?

Was wäre daran falsch oder bedenklich, wenn über eine solche Serie die Einstellung gegenüber Krankheit, Sterben und Nächstenliebe eingeübt werden kann? Zur selben Zeit, wo in Europa die Euthanasie-Verbote Stück für Stück gelockert werden.

Angesichts dieser Umwälzungen und Veränderungen wäre es leicht, zu resignieren und zu behaupten, daß die Kirche endgültig ihr Verkündigungsmonopol verloren hat. Als Antwortversuch erscheinen mir zwei - vielleicht nur beiläufige -Entwicklungen, die eine innerhalb der katholischen Kirche, die andere wiederum im Fernsehen.

Es gibt eine „Wandlung” des Verkündigungsstils in der Kirche. Neben der sogenannten Wort-Verkündigung, insbesondere der Predigt, registriere ich eine intensive Theorie-Praxis-, Glauben-Leben-Erfahrung in den innerkirchlichen Aufbruchsbewegungen. Verkündigung in Form des wissenden Zeugnisses, des gelebten Glaubens. Vielfach wird das Wort Meister Eckharts ernstgenommen: „Ein Lebemeister ist mehr wert als tausend Lesemeister”.

Parallel dazu gibt es in den elektronischen Medien einen „Wandel” von der Diskussionsrunde zur Talkshow. Eine oder einer werden zu einem bestimmten Thema eingeladen, um es möglichst von allen Seiten zu beleuchten und um auf diesem Wege zu Problemlösungen zu kommen.

Ähnlich sehe ich manche Entwicklungen in der Kirche. Ausgehend von der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus ist auch die Glaubenserfahrung des einzelnen -wie er mit Glaube, Hoffnung und Liebe umgeht, mit seinen Sehnsüchten und Träumen - stärker gefordert.

„Credere, glauben”, kommt von „cor dare, sein Herz schenken”. Vielleicht werden künftige religiöse Programme im Hörfunk und Fernsehen verstärkt von diesen neuen funktionierenden Formen religiöser Kommunikation ausgehen. Sie sind dann auch eine Lebenshilfe, wenn sie zeigen, daß die biblischen Erzählungen in heutigen Lebensgeschichten wiederzufinden sind. Die Aufgabe jeder christlichen Generation - die eigenen Lebensaufgaben mit der Lebens- und Heilssicht der Bibel in Beziehung zu setzen.

Die mahnenden Worte des jüngst verstorbenen deutschen Dogmati-kers Michael Schmaus - selbst Verfasser zahlreicher theologischer Standardwerke — gelten nicht nur zur Weihnachtszeit, sondern auch den Aufgaben der Kirche im Informationszeitalter: „Gott ist nicht Mensch geworden, damit wir unsere Bücherschränke mit philosophisch-theologischen Werken ausfüllen, sondern, propter nos homines, um des Menschen willen.”

Der Autor,

Mag. Christian Werner, ist Militär-bischqf-Koadjutor und innerhalb der Österreichischen Bischofskonferenz für die Referate Medien, Jugend und Männer zuständig.

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