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Kirche in einer pluralistischen Gesellschaft

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Die Bischöfe Österreichs überreichten Papst Paul VI. während ihres ad-limina-Besuchs im September den Fünfjahresbericht über die Lage der Kirche in Österreich, der auf Grund der Arbeiten der Österreich-Synode verfaßt worden war. Die FURCHE bat eine Reihe von Fachleuten, die an der Erarbeitung mitgewirkt, haben, die einzelnen Teile zu kommentieren.

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Die Bischöfe Österreichs überreichten Papst Paul VI. während ihres ad-limina-Besuchs im September den Fünfjahresbericht über die Lage der Kirche in Österreich, der auf Grund der Arbeiten der Österreich-Synode verfaßt worden war. Die FURCHE bat eine Reihe von Fachleuten, die an der Erarbeitung mitgewirkt, haben, die einzelnen Teile zu kommentieren.

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Es ist müßig, zu fragen, obösterreich eine pluralistische Gesellschaft ist oder nicht. Zu offenkundig, daß die Menschen dieses Landes für grundlegende Fragen ihres Lebens unterschiedliche Antworten zur Hand haben. Am Beispiel Sexualität: Da gibt es solche, die im überlieferten Sinn vor der staatlichen wie kirchlichen Öffentlichkeit eine Ehe schließen, andere halten sich nur noch an staatliche Weisungen, wieder andere privatisieren ihre Ehe völlig. Noch weiter ist die Bandbreite, wenn es um die Ausgestaltung einer von Sexualität mitbestimmten Beziehung geht.

Im Fünfjahresbericht wird daher der „Pluralismus” der österreichischen Gesellschaft vorausgesetzt. So wird elementar festgestellt: „In Österreich gab es für lange Zeit eine ,christliche Gesellschaft”, die durch eine fast bruchlose Zweieinigkeit von weltlichen und religiösen Lebensdimenšio- tien geprägt war (Thron und Altar, Schule und Kirche …); demgegenüber geraten kirchliche und .weltliche’ Betrachtungsweisen und Stilformen des Denkens und Handelns zunehmend in Differenz.” (Nr. 8) Gefragt wird von da aus nach den Konsequenzen des Pluralismus für die Menschen und das Tun der Kirche.

In diesem Zusammenhang wil’d der humanwissenschaftliche Begriff der Identitätskrise herangezogen. Durchaus einig mit der Wissenschaft vom Menschen wird gesehen, daß Menschen, die vor eine Vielzahl von Lebensmöglichkeiten gestellt sind, dies nicht allein als Ausweitung ihrer Freiheitschancen erfahren. Vielmehr werden zunehmend viele Menschen auch „krank”. Es gelingt ihnen nicht mehr, eine tragfähige Identität aufzubauen: Sie wissen somit oft nicht, wer sie sind, wie sie sinnvoll und beglückt leben können, welcher Weg der bessere ist. Manche, so sieht es der Bericht, suchen in einer solchen „Hilfe-losen” gesellschaftlichen Situation das Heil in der Flucht: Überschaubare Ideologien bieten sich an, dem erfolglos Suchenden festen Boden zu geben. Positiv wird hier auch schon eine wichtige Aufgabe der Kirche genannt: Menschen zu helfen, aus der Mitte des christlichen Glaubens eine tragfähige Identität aufzubauen.

Diese Aufgabe der Kirche steht nun aber vor dem Problem, daß heutige Menschen (von bestimmten sozialen Gruppen abgesehen, die aber eher am Rande dieser heutigen Gesellschaft zu finden sind) durch eine Reihe von Lebensräumen wandern (Familie, Beruf, Kirche), die von unterschiedlichen Lebensvorstellungen geprägt sind. So kommt es, daß sich viele Menschen sehr flexibel verhalten, vor allem der Kirche gegenüber „auswählend” bleiben: Sie sind soweit „kirchlich”, als sie damit nicht in anderen Bereichen des Lebens auf Konflikte stoßen. Vor allem kirchliche Aussagen zum Problem der Autorität, der Freiheit, besonders aber der Sexualität, finden kaum Ge- folgsdhaft.

Verstärkt wird diese distanzierte, aber grundsätzlich immer noch vorhandene Kirchlichkeit durch die heute gemeinhin anerkannte wissenschaftliche Skepsis gegenüber endgültigen „Wahrheiten”. Auch Lebensweisheiten gelten vielen Zeitgenossen als vorläufig und als grundsätzlich veränderbar (Nr. 15/16).

Erschwert wird schließlich die Aufgabe der Kirche in der gegenwärtigen Gesellschaft, weil diese Spannung zwischen Lebenswissen, wie es im Raum der Kirche überliefert wird, und Lebenswissen, das außerhalb der Grenzen der Kirche geschichtlich gewachsen ist, auch viele Verantwortliche der Kirche unsicher gemacht. Die Polarisierung im Klerus, aber auch unter Kirchenmitgliedern ohne Amt, geht fraglos auf die Grundfrage zurück, ob es nicht auch unnötige Spannungselemente zwischen „Kirche und Gesellschaft”, genauer, kirchlicher und außerkirchlicher gesellschaftlicher Wirklichkeit gibl;; diese müßten beho ben werden, sei es durch eine Reform der Kirche in Richtung auf Welt (progressiv) oder der Gesellschaft in Richtung auf Kirche (integralistisch). Daß beide Positionen etwas Richtiges sehen, ist offenkundig. Beide Reformaufgaben stellen sich, sobald es der Kirche wirklich um sinnvolles und geglücktes Leben der Menschen in diesem Lande geht: Reform der Kirche ebenso wie Reform der Gesellschaft.

Wie soll nun aber die Kirche tatsächlich handeln, welches ist eine situationsgerechte (und dabei nach wie vor zielsichere) pastorale Grundausrichtung? Soll die Kirche Menschen für „ihr Lebenswissen” gewinnen, damit aus der Gesellschaft ghettohaft-sek- toid absondern? Soll sie eine „Kontrastgesellschaft” aufrichten, oder aber in der Gesellschaft und ihren Einrichtungen mitarbeiten? Soll es eigene katholische Schulen geben oder sollen möglichst viele Christen in den staatlichen Schulen mitmachen? Ähnliches gilt auch für die Parteien, wobei im Bericht ausdrücklich gesagt wird, daß sich aus der Christlichen Soziallehre kein „für Christen evidentermaßen richtiges und daher verbindliches Rė- gierungs- und Parteiprogramm formulieren und anbieten läßt” (Nr. 17). Grundsätzlich bleiben im Bericht diese Fragen offen, ob Kontrastgesellschaft oder Mitarbeit in gesellschaftlichen Einrichtungen. Zur Zeit werden beide Wege beschritten. Die Zukunft wird in diesen Belangen nicht zuletzt auch davon entschieden werden, ob die Bereitschaft auch wenig engagierter Kirchenmitglieder bestehen bleibt, aus der Distanz heraus die Aktivitäten der Kirche mitzufinanzieren.

Unbeschadet der Frage eigener „gesellschaftlicher” Einrichtungen in der Hand der Kirche bleibt es aber unbestritten, daß die Kirche - auftragsgemäß - das in ihr überlieferte, von Jesus Christus herkommende „Lebenswissen” an die Menschen wirkungsvoll heranbringen muß. Dies geschieht nüchtern ifur dann, wenn sie in die entscheidenden Vorgänge einsteigt, in denen Menschen ihr Lebenswissen annehmen und gestalten. Fachlich redet hier der Bericht von den Sozialisationsvorgängen und stellt die Frage, wie die Kirche in den vielfältigen Sozialisationsagenturen der heutigen Gesellschaft (Familie, Schule, Ju- gerfdgruppen, Massenmedien, Einrichtungen der Berufs weit) wirkungsvoll vertreten sein kann (Nr. 9).

Dazu wird auch erkannt, daß die „Sozialisationsagentur Öffentlichkeit” für das Tun der Kirche wichtig 1st. Dies sowohl als innerkirliche Öffentlichkeit, wie auch als Beitrag der Kirche bei der Ausbildung der öffentlichen Meinung.

Solche Anstrengungen schließlich bauen darauf, daß christlich-kirchli- ches Lebenswissen glaubwürdig sei. Der Sache nach wird im Bericht zunächst „innere Glaubwürdigkeit” gemeint: „Kirchliche Aussagen werden also in einer solchen Gesellschaft in dem Maße gewürdigt werden, in dem sie auf Grund ihres argumentativen Gewichts, auf Grund der Glaübwür- digkeit der sprechenden und fordernden Institution Überzeugungskraft entwickeln” (Nr. 11).

Unterbewertet erscheint im Bericht hingegen die „äußere Glaubwürdigkeit”: Das sind Menschen, Gruppen, christliche Gemeinden, Kirchenbereiche, in denen die Erfahrung da ist, daiß man auch heute noch aus dem kirchlichen Lebenszusammenhang heraus christlich leben kann und dabei die Erfahrung macht, auf der Straße zu sinnvollem und geglücktem Leben unterwegs zu sein. Erst auf diesem Weg wird die Hoffnung des Berichts einer Verwirklichung näherkommen: Hilfe zum Glauben in der heutigen Gesellschaft als Hilfe zur Sinnorientierung ebenso, wie zur Bewußtseinsbildung der Gesellschaft Österreichs zu leisten (Nr. 12).

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