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Ein Buch als Programm

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Auf dem Büchermarkt erschien ein Buch,.das eigentlich in jeder Bibliothek seinen Platz finden sollte: weil es auf etwas mehr als 200 Seiten eine Zusammenschau der Probleme darstellt, die die Kirche in Österreich, die Kirche in der Welt bewegen: „Der Mensch ist für die Zukunft angelegt“* ist darüber hinaus die Markierung einer neuen Dimension der katholischen Weltschau— der Verfasser: Wiens Oberhirte, Franz Kardinal-König.

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Auf dem Büchermarkt erschien ein Buch,.das eigentlich in jeder Bibliothek seinen Platz finden sollte: weil es auf etwas mehr als 200 Seiten eine Zusammenschau der Probleme darstellt, die die Kirche in Österreich, die Kirche in der Welt bewegen: „Der Mensch ist für die Zukunft angelegt“* ist darüber hinaus die Markierung einer neuen Dimension der katholischen Weltschau— der Verfasser: Wiens Oberhirte, Franz Kardinal-König.

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Das neue Buch des Wiener Erz-bischofs ist eine Zusammenfassung zahlreicher Reden, Vorträge und Beiträge, die nicht jeweils für sich allein stehen, sondern überarbeitete Aussagen zu relevanten Zeitfragen enthalten. Dadurch ist eine geschlossene und kompakte Darstellung zusammenhängender Problembereiche möglich geworden; und was im Untertitel als „Analysen, Reflexionen und Stellungnahmen“ bezeichnet wird, könnte ein Manifest und ein Programm für den österreichischen Katholizismus darstellen, dem man nicht erst heute und vor allem innerhalb des katholischen Bereiches selbst — den Verlust an Richtung und Selbstverständnis vorwirft. Hier wird klar, daß sich dieser österreichische Katholizismus auf den Weg gemacht hat — sich im Aufbruch zu einem neuen Selbstbewußtsein in der Gesellschaft befindet: gerade deshalb, weil er ja de facto schon in der Diaspora einer egoistisch-materialistischen Gesellschaft existiert.

Kardinal König beantwortet die relevanten Fragen zum Problemkreis von „Religion und Weltanschauung“, von „Wirtschaft und Sozialpartnerschaft“, den Bereich der „Politik und Gesellschaft“, in der die Katholiken leben und schließlich zur „Kirche in der Welt“. Der letzte Abschnitt nennt sich „Christsein in dieser Zeit“

— und er ist der wohl zukunftsweisendste des Buches; weil er Chancen nennt, Möglichkeiten der Aktion aufzeigt und programmatischer Anspruch sein kann. (Die redaktionelle Bearbeitung besorgten Richard Barta und Hans Huber.)

In diesen Tagen ist ein Dokument der Glaubenskongregation veröffentlicht worden, das in der Öffentlichkeit großes Aufsehen erregt hat. Gerade jene Kreise, die Ereignisse in der Kirche nie erwähnenswert finden und für die Probleme der Katholiken keinerlei Interesse finden, fühlen sich nun als moralische Autoritäten; sie urteilen über die Zuständigkeit der Kirche in Fragen der Sexualmoral, ohne das Wort Gottes zu kennen. Und sie fühlen sich bemüßigt, die Kirche aus dem Winkel ihrer eigenen Lebenshaltung heraus zu kritisieren, ohne die Voraussetzungen kennenlernen zu wollen, die die Kirche zum Sprechen veranlaßt:

Ja, dem Dokument über die Sexualethik kann man Stil und Zeitpunkt vorhalten — aber man muß wohl auch zugestehen, daß sich die Kirche nicht scheut, mit Mut einen

— sagen wir — „unzeitgemäßen“ Standpunkt einzunehmen. Weil es ihr um die Bewahrung der humanen Grundwerte des Zusammenlebens von Mann und Frau geht — und um den Schutz der Familie.

Und gerade deshalb darf hier Kardinal König zitiert sein, der in seinem Buch die Gründe für dieses Bekenntnis der Kirche zur Familie angibt: „Es ist ein Widerspruch in sich, wenn unfreie Familienmitglieder zuerst gesellschaftlich-humane Bedingungen ihrer Existenz schaffen sollen, um nachträglich die Freiheit zu realisieren. Nur bereits freie Menschen vermögen freie gesellschaftliche Verhältnisse zu schaffen. Wenn die Freiheit in der Familie nicht wächst, wird sie in einem gesellschaftlichen Freiraum nicht weniger erreicht. Denn eine Gesellschaft wird unter solchen Voraussetzungen ... ohne Familien nur Egoisten erzeugen, die darauf aus sind, ihr Ich, ihr Lebensspektrum auf Kosten änderer zu erweitern.“

Gerade Fragen der Familie und Rechtsregelungen im Bereich der Sexualmoral werden auch Österreichs Öffentlichkeit in der nächsten Zeit berühren. Noch ruht das Volksbegehren als Gesetzesantrag im Nationalrat und wartet auf seine Behandlung. Die Kirche ist nicht auf einem „Kreuzzug“ gegen die Gesellschaft und nicht auf dem „Kreuzzug“ gegen Regierungen oder Parteien. Deshalb markiert Kardinal König auch unüberhörbar in seinem Buch: „Nicht schweigen darf die Kirche, reden muß die Kirche, wenn es um die Grundfragen des menschlichen Lebens geht. Hier muß ihre Seelsorge auch Menschensorge sein.“ Und weiter: „In grundsätzlichen Fragen kann sich die • Kirche nicht arrangieren, auch nicht um des guten Einvernehmens, auch nicht um des lieben Geldes willen. Als Geschäftspartner in Grundsatzfragen, die die natürliche und übernatürliche Bestimmung des Menschen betreffen, ist die Kirche ungeeignet...“

Der Kirche in Österreich hat man oft den Vorwurf gemacht, sie hätte sich aus einem „komplexiven“ Verhalten heraus zu sehr in die Sakristei zurückgezogen. Sie leide unter dem Stigma des „politischen Katholizismus“ der vergangenen Jahrzehnte, unter der Last des Bündnisses von Thron und Altar. Mag sein, daß gelegentlich die österreichischen Katholiken das Schweigen der Amtskirche als Auftrag zum Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben mißverstanden haben.

Nun aber ist die Zeit reif, sich zu einem neuen Selbstverständnis durchzuringen. Vielleicht hat das Volksbegehren, auch wenn es nicht alle Erwartungen erfüllt hat, gerade das eine deutlich gezeigt: die Mündigkeit der Katholiken als demokratische Bürger in einer demokratischen Gesellschaft, die sich der institutionellen Möglichkeiten auch bewußt sind* ist Virulent geworden.

Kardinal König spricht vom „authentischen“ Christentum, das wir brauchen, um Menschenwürde und Menschenrecht in unserer Gesellschaft zum Durchbruch zu verhelfen; das ist kein einseitig politisierendes Christentum, kein Christentum, das sich mit dem nichtchristlichen Humanismus identifiziert, kein einseitig intellektuelles Christentum, das sich als Revolutionsarmee versteht.

Das „authentische“ Christentum verlangt den selbstbewußten, demokratisch bereiten und den Problemen der Welt offenen, hilfsbereiten Katholiken. Einen Menschen, der „für die Zukunft angelegt ist“.

Und das ist — wiederum — ein Programm.

HANS MAGENSCHAB

* Verlag Herder, Freiburg, 228 Seiten, Paperback, S 175.—.

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