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Politik und christliche Verantwortung

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„Spricht die Kirche ein mutiges Wort gegen nazistische oder andere Diktatoren, schöpfen überzeugte Katholiken aus ihrem Glauben die Kraft zum Widerstand gegen ein Terrorregime, so zollt man dem wohl seine Anerkennung; das ist dann ausnahmsweise keine Einmischung in die Politik, kein politischer Katholizismus'. Wenn die gleichen Katholiken aber aus ihrer gleichen katholischen Überzeugung einen Schweigemarsch durchführen, bei dem keiner Fliege etwas zuleide geschieht, als Protest nicht gegen die Diktatur des einen, sondern der 101 über die 100, dann ist das politischer Katholizismus'.“ Oswald von Nell-Breuning in „Katholische Kirche und heutiger Staat“

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„Spricht die Kirche ein mutiges Wort gegen nazistische oder andere Diktatoren, schöpfen überzeugte Katholiken aus ihrem Glauben die Kraft zum Widerstand gegen ein Terrorregime, so zollt man dem wohl seine Anerkennung; das ist dann ausnahmsweise keine Einmischung in die Politik, kein politischer Katholizismus'. Wenn die gleichen Katholiken aber aus ihrer gleichen katholischen Überzeugung einen Schweigemarsch durchführen, bei dem keiner Fliege etwas zuleide geschieht, als Protest nicht gegen die Diktatur des einen, sondern der 101 über die 100, dann ist das politischer Katholizismus'.“ Oswald von Nell-Breuning in „Katholische Kirche und heutiger Staat“

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Ende der sechziger Jahre veranstalteten der 1974 verstorbene Staatsrechtler und Politikwissenschafter Gustav E. Kafka und der Historiker Alexander Novotny in Zusammenarbeit mit dem Theologen Paul K. Asweld, dem Soziologen Anton Burghardt und dem Nationalökonomen Josef Dobretsberger an der Universität Graz ein drei-semestriges interfakultäres Seminar über den politischen Katholizismus, das in auffallendem Gegensatz zu einem unmittelbar vorangegangenen Seminar derselben Veranstalter über den Nationalsozialismus nur' durchschnittliche Resonanz fand. Das Thema wurde offenbar als nicht sehr aktuell empfunden.

Die Katholiken Österreichs schienen nach dem II. Vatikanischen Konzil einen rechtlich und politisch gesicherten, gut und zentral gelegenen Platz in der modernen Welt gefunden zu haben; sie beschäftigen sich vor allem mit sich selbst, mit Liturgie und Synoden. „Politik aus christlicher Verantwortung“ des einzelnen und eine ge-

samtkirchliche Mahnerrolle („öffentliches Gewissen“) sollten die alten, belasteten Vergatterungen und Verflechtungen des parteipolitischen Katholizismus ersetzen. Das Jahrzehnt nach den Schulgesetzen und nach dem Konzilsbeginn 1962 lag im manchmal schon fast als neotrium-phalistisch zu bezeichnenden Glanz dieser beruhigenden „Endgültigkeit“, zumal das Irritationspotential der „Politischen Theologie“ und ihrer Nachbar- und Nachfolgetheologien doch nur kleine Gruppen erreichte.

Praktische Relevanz gewann der Politikbezug der österreichischen Katholiken wieder 1972, also zehn Jahre nach der kulturpolitischen Befriedung Österreichs, als die SPÖ für die Fristenlösung optierte und diese dann auch gegen die Stimmen von ÖVP und FPÖ im neuen Strafgesetz verankerte. Jenseits des in die Geschichte gesunkenen parteipolitischen Katholizismus vertei-teidigten die Katholiken, zusammen mit anderen Christen und besorgten Humanisten, das Gut des Lebens mit Hilfe des direkt-

demokratischen Instrumentariums der österreichischen Bundesverfassung (Volksbegehren der „Aktion Leben“). Aber erst weitere drei Jahre später erhielt die Frage nach dem Verhältnis der Katholiken zur Politik auch theoretische Relevanz. Die wissenschaftliche Initialzündung erfolgte durch die von drei katholischen Institutionen (Karl-Kummer-Institut, Katholisches Arbei-. terbildungs- und Hilfswerk, Wiener Katholische Akademie) am 11. und 12. April 1975 veranstaltete Katholisch-Soziale Tagung 1975 mit dem Thema „Politischer Katholizismus“ (Referenten: Anton Burghardt, Wien; Oskar Köhler, Freiburg; Wolf gang Mantl, Graz); im September wurden die Tagungsreferate publiziert — alles noch ohne Massenecho. Noch am 26. November 1975 attestierte Gerald Freihofner in der „Wochenpresse“ den beiden Oppositionsparteien, also auch der ÖVP, daß sie der Verschärfung des Klimas zwischen Kirche und Regierungspartei „teilnahmslos und distanziert“ gegenüberstünden. Dies änderte sich freilich aufs augenfälligste, als Josef Taus am 8. Dezember 1975 auf einem Symposion der ÖCV-Bildungsakademie in der Diskussion über den sozialen und politischen Standort des postkon-ziliaren österreichischen Katholizismus gleichermaßen dezidiert wie differenziert Position bezog. Hiebei benützte er für das seiner Uber-zegung nach notwendige Wirken der Katholiken in der Welt den Terminus „politischer Katholizismus“ (Politikbezug der Katholiken in welcher Form immer), den er sehr wohl vom „parteipolitischen Katholizismus“ (Politikbezug der Katholiken in Form einer engen Bindung der Kirche an eine Partei) abhob. Und gerade an diese Aussage knüpfte sich eine heftige Polemik,

ein semantischer Stellungskampf, der den weiten Problemhorizont des Weltverhaltens der Katholiken einzunebeln drohte. Taus gelang es jedoch in einer weiteren CV-Diskus-sion am 9. März 1976, sich und auch die Sache selbst aus den verbalen Scharmützeln freizuspielen.

Das Reden von der „Politik aus christlicher Verantwortung“ des einzelnen und vom „öffentlichen Gewissen“ der Gesamtkirche muß sich, zumal in Zeiten gesellschaftlicher und politischer Konflikte, den Vorwurf der Leichtfertigkeit, ja des Zynismus gefallen lassen, wenn nicht ernsthaft der Versuch unternommen wird, diese glatten Formeln durch detaillierte Denk-, Ent-scheidungs- und Handlungshilfen realisierbar zu machen. In zwei Schritten soll dies hier versucht werden: durch Skizzierung der programmatischen Grundlagen und dann durch Abwägen der praktischen Umsetzung des postkon-ziliaren Politikbezugs der österreichischen Katholiken.

Die Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute „Gaudium et spes“ (1965) und das Dokument II „Kirche in der Gesellschaft von heute“ des österreichischen Synodalen Vorgangs (1974) artikulieren eingehend die programmatische Position zu unserem Problembereich, die sich knapp mit folgenden Stichworten umreißen läßt: relative Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit der Welt, selbständige Gewissensverantwortung der Laien in der Welt unter geistlicher Hilfestellung des kirchlichen Amtes und Legitimität unterschiedlicher politischer Lösungen auf dem Fundament des einen Glaubens. Ins Alltagsbewußtsein haben sich freilich Verzerrungen dieser Grundposition eingeschlichen, etwa die Übersteigerung der „Weltlichkeit“ der Welt, die Vernachlässigung des Zusammenhangs von Gewissensbildung und Lehramt und die Ausdehnung des glaubensmäßig einheitlich fundierten Pluralismus der politischen Lösungen zu einem Pluralismus des Glaubens selbst. Für Österreich müssen noch zwei weitere Einseitigkeiten besonders hervorgehoben und kritisiert werden:

• Nicht im kirchlichen Selbstverständnis, wohl aber in der journalistischen Lingua franca wurde beharrlich die Vorstellung einer „Äqui-distanz“ der Kirche zu den politischen Parteien gepflegt. Der österreichische Synodale Vorgang unterstrich demgegenüber die Variabilität dieses Verhältnisses.

• Die Aktivität der Laien in der Welt wurde häufig auf einen Einzelkämpfer, „wo immer er steht“, zugeschnitten. Die unverwechselbare Einzelpersönlichkeit jedes Christen ist jedoch keineswegs notwendig politisch nur als Einzelkämpfer zu verwirklichen. Im Gegenteil : Die Einzelkämpferideologie führt oft zur Resignation, zum Aus-

scheiden katholischer Positionen aus dem notwendig von Gruppen getragenen politischen Prozeß, zumal der Österreicher kein individualistischer Kämpfer ist, eher konformistische Züge trägt, nicht in Minderheit und Isolierung, sondern im soziokulturellen Einklang mit seiner Umweit leben will.

Die rechtlich-institutionelle Stellung der Kirche in Österreich ist nach wir vor stark. Die österreichische Rechtsordnung jedoch ist weniger als die der Bundesrepublik Deutschland mit christlichen Werten und Gütern „aufgeladen“. Es wäre daher um so notwendiger, daß die Christen diese Werte und Güter politisch zur Geltung bringen. Dazu ist, wenn schon nicht immer organisatorisch, so doch stets ein Mindestmaß an ideeller Homogenität erforderlich, um ein Versik-

kern der christlichen Substanz zu verhindern. Wenn nun Katholiken „Politik aus christlicher Verantwortung“ in den Parteien machen wollen, müssen sie sich unter Aufbrechen des Äquidistanzklischees im klaren sein, daß — seit 1972 wieder manifester — die Parteien eine durchaus unterschiedliche Aufnahmebereitschaft und -fähigkeit für christliche Werte und Güter haben.

Wieder, wie vor 100 Jahren, ist die Stunde der katholischen Organisationen, Verbände und Gruppierungen gekommen, muß der intermediäre Bereich zwischen den Pfarren und den Diözesen, und zwar mehr in funktionaler als in territorialer Hinsicht, gestärkt werden, der die ausreichende Kapazität und die ausreichende Flexibilität besitzt, um differenzierte Pastoral, Schulung, Bildung, ja auch Forschung zu betreiben, um schließlich den in der (Partei-)Politik wirkenden Katholiken Entwürfe, Alternativen, Kritik, aber auch psychisch-emotionale Stützung zu vermitteln. In diesem intermediären Bereich müssen die Halteseile der katholischen Einigkeit verknüpft sein.“ Darüber hinaus müssen, da gerade die vom christlichen Standpunkt besonders wichtigen Materien in die Bundeskompetenz fallen, die Kooperation und Koordination der katholischen Laien auf Bundesebene ausgebaut werden; der Katholizismus darf nicht im Stockwerk darunter aufhören.

Abschließend noch einige Worte zu politischen Inhalten, die Katholiken, ja allen Christen — ein weites Feld für praktischen Ökumenismus — am Herzen liegen sollten. Grundlage muß sein, das Werden von Christen, also Pastoral und christliche Sozialisation in Familie, Schule, Erwachsenenbildung und Medienwesen zu gewährleisten. Die verfassungsrechtliche Sicherung des Wirkraums der Kirche in der Welt läßt sich nur dann vor Ein- und Durchgriffen schützen, wenn es den Christen gelingt, den wichtigen Unterschied von Verfassung und einfachem Gesetz bewußt und effektiv zu halten und vor Einebnungs-versuchen („natürliches Rechtsempfinden“) zu bewahren sowie der Kontrolle der einfachen Mehrheit, dem rechtsstaatlichen Minderheitenschutz, aber auch der Notwendigkeit eines Fundamentalkonsenses gerade im sozialen Wandel besonderes Augenmerk zuzuwenden. Das alles darf nicht in ängstlicher Defensivhaltung ins Werk gesetzt werden.

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