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Selbstbesinnung vor dem Katholikentag (I)

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Die gegenwärtige Erscheinungsform der Kirche eines Landes ist immer bedingt von der vorausgegangenen Entwicklung und wird gleichzeitig positiv wie negativ bestimmt von verschiedenen Gegenwartseinflüssen. Wir müssen somit fragen: Welche Einflüsse aus der Vergangenheit sind heute noch im österreichischen Katholizismus wirksam, ihn schwächend oder stärkend, und welche Gegenwartseinflüsse stellen für ihn eine Bedrohung oder eine Chance dar? Um die Situation des österreichischen Katholizismus klar zu sehen, ist es auch notwendig, nicht bloß die Mächte zu betrachten, die ihn von außen her beeinflussen, sondern auch die Kräfte zu untersuchen, die er von sich aus entwickelt oder nicht entwickelt. Soll eine Darstellung des österreichischen Katholizismus überdies der Kirche dienen, so muß sie Freund und Feind gegenüber ehrlich und sauber sein.

Wenn wir nach dem Gesagten eine Durchleuchtung des österreichischen Katholizismus versuchen wollen, müssen wir mit dem beginnen, was ihn von seiner historischen Entwicklung her belastet:

Österreich gehört zu jenen Ländern, die einst das „christliche Abendland“ bildeten. Es hat eine alte christliche Kultur und ein reiches christliches Erbe. Es hat aber gleichzeitig eine ungemein schicksalsreiche Entwicklung durchgemacht.

Österreich gehört ferner zu jenen Gebieten des christlichen Abendlandes, die von der Glaubensspaltung des 16. Jahrhunderts betroffen wurden, in denen aber die katholische Restauration der Habsburger, wenn auch mit Methoden, die wir heute nicht mehr billigen können, die Glaubenseinheit wiederherzustellen nvermocbjteu'.u swbnisi

Schließlich gehört Österreich zu jenen Ländern, in denen die Au f k 1 ä-r u n g des 18. Jahrhunderts zwar einen großen geistigen Wandel gebracht hat, doch war diese Revolution nicht vom Radikalismus der Französischen Revolution, sondern sie betrachtete wenigstens sich selbst als eine innerkirchliche Erneuerungsbewegung, wenn sie auch tatsächlich schon antikirchlich war.

Dies zusammen bedingt die außerordentlich starke Traditionsgebundenheit des österreichischen Katholizismus. In seinen verschiedenen Erscheinungsformen: Struktur der Bistümer und Pfarreien, Klöster, Frömmigkeitsformen, sind heute noch alle Elemente der mittelalterlich-feudalen und der barocken Kultur wirksam.

Die Beharrungstendenz des österreichischen Katholizismus ist außerordentlich groß. Die geistigen Bewegungen der Neuzeit bis zum 20. Jahrhundert vermochten ihn daher nur wenig und oberflächlich mitzuformen, noch weniger ihn ganz auszurotten.

Anderseits weist aber das Gesicht des österreichischen Katholizismus nicht wenige Züge auf, die dem Katholizismus als solche wesensfremd sind. Damit berühren wir eine andere Seite des österreichischen Katholizismus: sein Assimilierungsvermö-g e n. Die Kirche in Österreich ist unter den Stürmen der Jahrhunderte ihren Weg relativ ruhig gegangen, wozu der Schutz des Herrscherhauses viel beigetragen hat. Aber sie hat auf diesem ihren Gang und unter dem äußeren Schutz des Kaiserhauses ganz unmerklich bis in die neueste Zeit hinein auch Ideen und Praktiken in sich aufgenommen, die den katholischen Geist ausgehöhlt haben. Dies geschah besonders zur Zeit der sogenannten „katholischen Aufklärung“. Dadurch hat sie an innerer Kraft und Geschlossenheit viel verloren.

Aus diesen Gründen hat der österreichische Katholizismus es auch nicht vermocht, in der neueren Epoche mit der Zeit wirklich Schritt zu halten.

Wenn es gerade in Österreich oder auf dem Gebiet der alten Donaumonarchie im Laufe dieses Jahrhunderts zur Bildung eines kirchenfeindlichen Reformkatholizismus kam, so kann dies wohl zum Teil der überstarken Traditionsgebundenheit der österreichischen Kirche zugeschrieben werden.

Schon vor dem Zusammenbruch der Donaumonarchie regten sich aber in Österreich auch schon sehr stark r a-dikal-antikirchliche Kräf-t e, wie die vom Liberalismus entfachte Los-von-Rom-Bewegung Schönereis. Nach dem Zusammenbruch 4r Monarchie kam es zu noch schärferen antikirchlichen Strömungen, vor allem des Austromarxismus, und es kann nicht geleugnet werden, daß viele Katholiken den Geist dieser antikirchlichen Strömungen mehr oder weniger bewußt in sich aufgenommen haben. Die national-liberalen und die marxistisch-liberalen Ideen haben in Österreich nicht immer vor den Toren der Kirche haltgemacht. Sie sind infolge des starken Assimilierungsvermögens des österreichischen Katholizismus langsam und latulos in das Denken vieler Katholiken eingerückt, ohne daß diese deshalb von der Kirche abgefallen wären.

Diese Einbruchstellen lassen sich ohne weiteres feststellen. Sie haben vor allem in vielen österreichischen Katholiken einen starken religiösen Individualismus hervorgebracht, der darin besteht, daß man zwar christlich oder katholisch bleiben will, kirchlich aber nur mit Fragezeichen. „Die Kirche soll mir in mein persönliches familiäres Leben nicht zuviel dreinreden.“ In den gesellschaftlichen Verhaltungsweisen, Geschäftspraktiken und politischen Verhaltungsweisen paßt sich ein Großteil der österreichischen Katholiken der jeweiligen Zeitmode an. „Man muß mit der Zeit gehen.“

Niemand kann bezweifeln, daß in der Auffassung der Ehe und Familie bei einem hohen Prozentsatz der Katholiken Österreichs — wir fragen hier nicht, wie es anderswo ist — ein nicht geringer Wandel eingetreten ist. Mit dem Übergang von der Klassen-zur Massengesellschaft sind neue Verhaltungsweisen in den Formen der Eheanbahnung, aber damit auch der Auffassung der Ehe selbst fast allgemein geworden. Es ist damit ein moralischer Individualismus herrschend geworden, der das katholische Sittlichkeitsideal mehr und mehr aufzulösen droht. Man will sich in diesen Bereichen nicht mehr der Führung der Kirche anvertrauen, und die Bereitschaft, um der autonomen Freiheit willen mit der Kirche ganz zu brechen, nimmt zu.

Ähnlich sieht es in den Grundsatzfragen in bezug auf Erziehung und Schule aus. Man akzeptiert zwar noch den Grundsatz: Besser eine christliche Erziehung als eine rein laizistische. Die katholischen Eltern stehen fast durchweg auf dem Standpunkt: Die Kinder sollen die Religion kennenlernen. Aber gleichzeitig wollen viele dieser Eltern ihre Kinder auch „tolerant“ erziehen lassen, das heißt, im Geiste dieser Eltern mehr oder weniger, daß sie eine andere Lebensgestaltung für gleich gut und richtig halten können. Dieser ganz falsche Begriff von Toleranz, der jede Wahrheit relativiert, beherrscht nicht bloß viele sich noch katholisch dünkende Eltern, sondern auch viele katholische Lehrer und Akademiker. Sie kennen nicht nur nicht die katholischen Erziehungsgrundsätze, sondern sie wollen sich ihnen auch nicht mehr beugen.

Naturgemäß willman dann auch in anderen Fragen der Kultur, der Wirtschaft, der Politik autonom sein. Man bejaht mehr und mehr eine vollkommen laikale Kultur, eine moralfreie Kunst und Literatur, eine moral- und weltanschauungsfreie Presse, und so fort. Die wahre Religion wird mehr oder weniger mit religiösen Irrlehren gleichgesetzt. Das höchste Ideal, das über die Religion und über jede Sittennorm gesetzt wird, ist die autonome Vernunft und die absolute Freiheit des Individuums.

Praktisch wird also von diesen Katholiken eine rein säkularisierte Kultur und Gesellschaft bejaht, und der Religion wird nur noch ein Daseinsrecht in einem Winkel dieser säkularisierten Welt eingeräumt. Diesen Winkel bestimmt, beschränkt oder erweitert sich jeder nach seinem eigenen Belieben, oder er wechselt seinen Glauben mit einer anderen Religion oder Weltanschauung aus.

Das ist die große Gefahr des Indifferentismus, der die eigentliche Häresie unserer Zeit ist. Sie ist deshalb so gefährlich, weil sie schwer greifbar ist. Sie leugnet nicht diese oder jene Wahrheit, sie bekämpft nicht die Kirche, sie ist eine subkutane Häresie, unterschwellig, oft gar nicht bewußt und doch wirksam. Sie ist gefährlich, weil sie das christliche Denken als Ganzes bedroht, weil sie alle Lebensordnungen auflöst oder wenigstens relativiert. Sie verleitet den Christen dazu, sich zurückzuziehen auf nichtumstrittene Bereiche, zum Beispiel auf die Liturgie, deren zentrale Bedeutung im Leben des Christen nicht bezweifelt werden soll, oder auf die kleine Gemeinschaft eines engen Bekanntenkreises. Dieses Christentum wird mehr und mehr zu einem rein spirituellen Christentum. Hier ist auch die Einbruchstelle für die modernen Sekten gegeben. Diese betrachten sich ja auch als kleine Gemeinschaften der „Auserwählten“, mitten in einer dem Bösen verfallenen Welt, um die sie sich nicht mehr kümmern.

Welcher Pfarrer oder Seelsorger hat heute nicht oft das Gefühl, auch an die sogenannte „Kirchentreuen“ nicht recht heranzukommen, bei ihnen kein offenes Ohr für seine Forderungen zu finden. Wie oft sind Seelsorger nicht versucht, Wahrheiten und Forderungen der christlichen Verkündigung zu verschweigen, weil sie glauben, bei den Christen kein Verständnis dafür mehr zu finden.

Dieser Zustand des österreichischen Katholizismus, den wir als Indifferentismus charakterisiert haben, kann aber nicht bloß durch die äußeren Einflüsse der national-liberalen oder marxistisch-liberalen Kräfte erklärt, sondern er muß auch aus innerkirchlichen Ursachen heraus gedeutet werden.

Wir greifen hier auch nur die wichtigsten heraus: die religiöse Unwissenheit des Großteiles der österreichischen Katholiken. Die starke Traditionsgebundenheit des österreichischen Katholizismus mit der Folge einer geringen Aufgeschlossenheit für eine weitere Entfaltung desselben scheint uns wohl Mitursache, die Unwissenheit aber Hauptursache zu sein. Dies muß etwas näher erklärt werden. Die religiöse Unwissenheit der österreichischen Katholiken hat ihre Wurzel nicht im Analphabetismus des Volkes, wie in anderen Ländern, zum Beispiel Südamerika. Österreich hat ein sehr hoch entwickeltes Schulwesen. Es gab überdies in Österreich auch niemals eine vollkommen laizistische Schule, wie sie zum Beispiel in Frankreich bis heute besteht. Auch in der interkonfessionellen staatlichen Schule wurde der religiös-sittlichen Erziehung ein würdiger Platz eingeräumt. So scheint es gar nicht glaubhaft zu sein, daß der österreichische Durchschnittskatholik religiös unwissend sei. Und doch muß dies behauptet werden.

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