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Ein radikales Umdenken ist nötig

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Viel wird im Augenblick über das gegenwärtige Erscheinungsbild der Kirche gesagt. Höchstwahrscheinlich werden sich allfällige Änderungen wieder in marginalen Akzentverschiebungen äußern. Wollen wir aber als eine Kirche, auf deren Aussagen man hört und um deren Stellungnahmen man sich bemüht, in das dritte Jahrtausend gehen, muß es ein radikales Umdenken geben. Dazu einige Aspekte. Wir brauchen eine

■ offene Kirche:

Mitdenkende Menschen sollen angeregt werden, sich den aktuellen Fragen unserer Zeit zu stellen und Antworten zu formulieren, die sich mit der'Botschaft des Neuen Testaments begründen lassen. Es darf keine Institution und keine Einzelpersonen geben, die ausschließend definieren, was rechtgläubig sei (die Tage diverser Politbüros sind vorbei);

■ ökumenische Kirche:

Das miteinander Reden, Leben, Beten, Feiern, sich Engagieren muß im Vordergrund stehen. Unterschiede in Glaubensfragen und -praktiken sollen als Bereicherung verstanden werden und herausfordern, immer neue Wege in der Realisierung der gemeinsamen Glaubensgrundlage zu suchen und zu gehen;

■ Kirche von der Basis her:

Wege und Konzepte, die von den sich um die Gemeindeleiter scharenden Christen entwickelt und realisiert werden und für die sie sich immer wieder frei entscheiden, sind die Grundlage für theologische Diskussionen und Konzepte. Denn nur wer an der Basisarbeit beteiligt ist, weiß, was die Menschen in einer bestimmten Zeit jeweils bewegt, was ihre Fragen sind und welche Antworten sie somit eigentlich brauchen. Die eigentlichen Theologen/innen sind also die Pfarrer, Religionslehrer/innen, Pa-storalassisten/innen, Arbeiter-, Studenten-, Künstlerseelsorger et cetera. Kirche wird von diesen Säulen getragen (und kann so auch stets mit allen Menschen im Gespräch bleiben) und nicht von jenen, die fern ab in irgendwelchen Kongregationen und Gremien sitzen und sich schon längst von der Basispastoral entfernt haben. Den Bischöfen obliegt es, diese Bewegungen zu begleiten und mit den Fun -damenten der Bibel zu konfrontieren.

Mitbestimmung über Amtsträger

■ demokratisch-plurale Kirche: Nicht über Amt oder Nicht-Amt soll mitbestimmt werden, sondern über die Träger der diversen Ämter. Denn nur wer das Vertrauen (zumindest der Mehrheit) hat, dem wird man auch zuhören und sich von ihm anleiten lassen. Jedes Unternehmen weiß heute, welche Bedeutung einem harmonischen Betriebsklima zukommt. Wer sich mangels vorhandener Argumente immer bloß auf geoffenbarte Wahrheiten beruft, wirkt peinlich und bewirkt, daß die ganze Gemeinschaft in Mißkredit oder gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit gerät. Wer für und in der Kirche Stellung nimmt, muß bei jedem Auftritt Mt 5,37 vor Augen haben. Belangloses Schwätzen und unverbindliche Antworten nehmen uns gerne andere ab.

Was auf diözesaner Ebene so funktioniert, wird auch Spiegelbild für die gesamte Weltkirche sein. Ein theologisches Einheitsgrau muß der Farbenpracht der verschiedenen Kulturen und Lebensperspektiven weichen.

■ gesellschaftskritische Kirche: Wenn Kirche in der Zukunft noch

Bedeutung haben, soll, müssen die Menschen erfahren, daß der Bezug zu Gott immer auch ein Bezug zum Mitmenschen in seinem konkreten gesellschaftlichen Umfeld ist. Christlicher Glaube ist ein permanenter Aufruf, unserer Mit- und Umwelt zu ihrem Lebensrecht in Freiheit und Würde zu verhelfen. Das gelingt jedoch nur, wenn wir Glaube als Befreiung von Angst, Einsamkeit und Unbehaustheit erfahren.

■ eine Kirche mit einem ganzheitlichen Menschenbild:

Das Interesse und Engagement für die Mitwelt bedeutet, den Menschen in seiner Ganzheit zu sehen: mit allen Trieben, Bedürfnissen und Schwächen. Das verlangt weiterhelfende und Perspektiven erweiternde Aussagen zu all jenen Themen, die den Menschen in irgendeiner Weise betreffen (bedrohen). Alles andere ist sektenhafte Konzentration auf Einzelaspekte, die die oft weit zentraleren Fragen der Menschheit aussparen. Wo werden diese Menschen dann wohl nach Antworten suchen?

Kommen Ihnen einige dieser Aspekte bekannt vor? Sie wurden in ihren Grundzügen von Karl Rahner vor-gedacht. Vor mehr als 20 Jahren.

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