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Soll die Seele verhungern ?

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„Aufbruch des Religiösen?" war das Thema eines von Katholischer Medienakademie und Verband Kath. Publizisten kürzlich veranstalteten Seminars; nebenstehend gekürzt eines der Referate.

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„Aufbruch des Religiösen?" war das Thema eines von Katholischer Medienakademie und Verband Kath. Publizisten kürzlich veranstalteten Seminars; nebenstehend gekürzt eines der Referate.

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Die Illusion ist verführerisch: das Ende der materiellen Wachstumsgesellschaft gleichzusetzen mit einem „Aufbruch ins Religiöse". Die Krise der modernen Gesellschaft — einer Informationsgesellschaft" eröffnet aber lediglich die Chance, zu einem solchen Aufbruch, die Chance nämlich, religiösen Glauben als Angebot seelisch-geistiger Orientierung in das öffentliche Bewußtsein der pluralistischen Gesellschaft einzubringen.

Worin besteht — nüchtern betrachtet — diese Chance? Sie besteht im wesentlichen darin, daß Theologie und Kirche zu lernen haben, daß es eines dialogischen, ja dialektischen Wechselverhältnisses zwischen dem modernen wissenschaftlichen Bedarf. „Dialektisch" heißt dabei durchaus, die religiöse Antithese zu den Thesen der Welt zu formulieren. Dialektisch heißt, christlich formuliert (im Gegensatz zum marxistischen Verständnis), die mannigfaltigen . Erscheinungen dieser Welt mit den Grundlagen des religiösen Glaubens, wie sie die Schrift im Alten und im Neuen Testament offenbart, zu konfrontieren. Und zwar nicht, um die Glaubensgrundlagen zu verändern, sondern die Welt...

Nicht die Wert- und Glaubensgrundlagen stehen durch die Existenz der Vielfalt der Erscheinungen der modernen Lebenswelt zur Disposition, sondern umgekehrt: die Erscheinungen — und das Urteil darüber — sind es, die sich an den Grundlagen zu bewähren haben. Und hierbei darf dem Pro und Kontra der dialektischen

Auseinanderfaltung der Argumente keine Grenze gesetzt sein.

öffentliche Kommunikation der kirchlich-religiösen Themen müßte zweierlei leisten: Die Grundwerte und -Orientierungen des christlichen Glaubens sollten durch das moderne Wissen ihre Anregung und Unterstützung aus dem Informations- und Wissensvorrat der modernen Lebenswelt erhalten — eines Wissensvorrates der sich nicht zuletzt tagtäglich in den Massenmedien und ihren Kommunikationsangeboten widerspiegelt. Umgekehrt hätten sich die Grundwerte und -Orientierungen des christlichen Glaubens auch als Grundorientierungen innerhalb der modernen Lebenswelt wiederzufinden, was vor allem auch heißt, daß sie sich als Thema der öffentlichen Kommunikation in den Massenmedien qualifizieren.

Dabei könnte sich die Kirche die prinzipielle Ambivalenz der Massenmedien zunutze machen:

Auf der einen Seite erhöhen die Massenmedien und ihre kommunikativen Angebote die psychische Mobilität der Menschen, indem sie ihre Chance erhöhen, zwischen unterschiedlichen Interpretationen der Welt ihre Wahl zu treffen. Auf der anderen Seite aber tragen sie gleichzeitig dazu bei, daß die Stabilität des Bewußtseins gefährdet wird. Das Problem besteht darin, daß die Fähigkeit der Rezipienten, zwischen den verschiedenen Grundorientierungen zu entscheiden, abnimmt. Die Unfähigkeit, zwischen solchen Grundorientierungen zu differenzieren und zu entscheiden, beruht nicht so sehr auf der Vielfalt angebotener Informationen, sondern am Fehlen der Entscheidungsgrundlagen, die jemanden befähigen, zwischen verschiedenen Grundpositionen zu wählen.

Hierin aber liegt die Chance, ja Verpflichtung der Kirche: kirchlich-religiöse Kommunikationsangebote können mögliche negative Wirkungen der Medien in dem Maße aufheben, als sie zur Entscheidungsfindung der Menschen beitragen, also die biblische Bestimmung menschlicher Existenz als wählbare Alternative am „Markt der Meinungen" anbieten.

Diesem Anspruch wird die Kirche aber nicht so ohne weiters genügen können, eine Reihe von Vorleistungen sind hierfür zu erbringen. Eine dieser notwendigen Vorleistungen besteht zunächst und grundsätzlich darin, die „Philosophie" und geübte Praxis der kirchlichen Anpassung an die Welt angesichts ihres offensichtlichen Scheiterns etwa, in der kirchlichen Ostpolitik, in der Entwicklungshilfe, in den politischen Tagesfragen usw. zu überwinden.

Aber auch darin, Positionen jener Theologie zu überprüfen, die sich unermüdlich um den Nachweis weltlicher Determinanten dessen, was außerweltlich ist, bemüht und damit bestenfalls sozio-hi-storische Perspektiven als theologische Erkenntnisse anzubieten vermag (zum Beispiel mit der Frage nach dem „Sitz im Leben").

Die Kirche hat sich daran gewöhnt, lediglich die materielle Armut im Brennpunkt ihrer Hilfsprogramme zu sehen. Ubersehen hat sie jedoch die wachsende psychische Armut der Menschen. Aufgabe der Kirche ist es aber gerade in unserer Zeit das Verhungern der Seele zu verhindern. Daß diese Aufgabe nicht nur ureigenste Programmatik des Christentums ist sondern auch von den Menschen heute erwartet wird, zeigen neueste Umfrageergebnisse (Papstbesuch in Österreich. Teilnahme - Mediennüt-zung - Einstellung. M. Gottschlich/ F. Karmasin, Wien 1984): Die Menschen erwarten von der Kirche keineswegs nur die Befriedigung sozial-materieller Interessen, sie wollen vielmehr — materiell gesättigt aber ideell ausgehungert - Antworten auf die letzten Fragen menschlicher Existenz.

Bemüht sich die Kirche nicht um diese Antworten, dann darf sie sich nicht wundern, wenn dies andere auf ihre Weise tun...

Der Autor ist Professor für Publizistik und Kommunikationswissenschaft in Wien.

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