Spurensuche nach christlicher Politik

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Tradition

Ungeachtet abnehmender Bindung an die christlichen Kirchen und schwindender Zustimmung zu Glaubensinhalten gibt es einen ausgeprägten Wunsch nach Bewahrung christlicher Symbole und Werte.

"Sich offen als christlich-sozial zu deklarieren, ist ein Angebot, bei dem man Sebastian Kurz jedenfalls beim Wort zu nehmen hat. Jetzt geht es um Präzisierungen und um Umsetzungen."

Die inhaltlichen Profile der Parteien haben in den letzten Jahren an Konturen verloren. Viele der Passagen in den Parteiprogrammen sind austauschbar geworden. Kein Wunder, dass die Fluktuation der wechselbereiten Wähler zugenommen hat. Die Frage, ob mit einer (Re-)Ideologisierung sich die Parteien wieder festigen könnten, hat durchaus seine Berechtigung. Wobei es die Christdemokraten leichter haben dürften als die Sozialdemokraten.

Erst vor Kurzem verwies ein deutscher Politologe auf eine neue gesellschaftliche Realität, nämlich das Bestehen eines sogenannten "Dienstleistungs-Proletariats" (Paketzusteller, Verkäuferinnen, Pflegehilfskräfte ) Diese Leute verdienen so um die 1000 Euro monatlich, haben keine Aufstiegsmöglichkeiten und vor allem keinen Karl Marx, der ihnen zumindest mental hilft. Dessen Lehren sind nämlich mit dem Zusammenbruch des realen Sozialismus in der Abstellkammer der Geschichte gelandet.

Was für das christlich-soziale Gedankengut sicher so nicht gilt. Bloß viele bürgerliche Volksparteien wussten in den letzten Jahrzehnten mit ihrem gesellschaftspolitischen Rüstzeug wenig anzufangen.

Das "hohe C"

Interessant ist in diesem Zusammenhang zunächst ein Blick nach Deutschland. Dort ist die seit 2000 an der Spitze der CDU stehende, lange Zeit sehr erfolgreich agierende Angela Merkel mit dem Vorwurf konfrontiert, sie würde eine "Sozialdemokratisierung" ihrer Partei betreiben. Daher wurde 2013 bei einer CDU-Klausur eine Studie des Allensbach-Institutes präsentiert, die der Frage nachging, ob das "Hohe C" in der Politik von heute überhaupt noch gefragt ist. Das Ergebnis war durchaus erstaunlich.

Auf der einen Seite ist die katholische und evangelische Kirche Deutschlands mit einem Rückgang der Zahl ihrer Bekenner konfrontiert. Diese sank von einst fast 90 auf 59 Prozent. Mit der Ausübung der Religion sieht es weit schlechter aus. Nur noch 36 Prozent gehen zumindest ab und zu, 63 Prozent selten bis nie in die Kirche.

Den Zwiespalt kennzeichnet der Unterschied zwischen Lehre und Praxis. So waren in den 1980er-Jahren 56 Prozent der Meinung, dass Jesus Christus der Sohn Gottes ist. 2013 hingegen nur noch 46 Prozent. Auch der Glaube daran, dass Gott die Welt geschaffen hat, ist von 47 auf 35 Prozent zurückgegangen. Zugelegt hat dagegen von 49 auf 53 Prozent die Meinung, dass es "irgendeine überirdische Macht gibt". Der Glaube an Schutzengel ist von 46 auf 54, jener an Wunder von 33 auf 51 Prozent, der an die Seelenwanderung sogar von 7 auf 20 Prozent angestiegen.

Das heißt, es gibt zwar immer weniger, die sich zu einer Religion bekennen, dafür aber mehr, die transzendentalen, spirituellen Ideen anhängen, sich aber trotzdem mit der christlichen Tradition des Landes und des europäischen Kontinents identifizieren. Fazit: für 68 Prozent ist Europa schlichtweg das christliche Abendland. Mehr noch. 53 Prozent der Deutschen halten es für sehr wichtig und richtig, dass sich eine Partei an christlichen Grundsätzen orientiert.

Der Autor der Studie, Thomas Petersen, kam daher folgerichtig zum Schluss: "Die Zahl der Kirchenbesucher nimmt ab, die Religiosität geht zurück. Dennoch spielt das Christentum in Gesellschaft und Politik weiter eine bemerkenswert große Rolle." Und er verband dies auch als Botschaft an die CDU. Sie ist im Zuge der jüngsten Diskussionen über den Führungskurs der Partei wieder hoch gekommen.

Die Situation in Österreich ist sehr ähnlich. Die Bindungen an die Kirche haben nachgelassen, trotzdem hält man mehr denn je an gewissen christlichen Traditionen fest. Das geht jedenfalls aus einer IMAS-Untersuchung hervor. So wurde die Fragestellung "Ist Österreich ein christliches Land und soll es dies auch bleiben?" von 83 Prozent mit Ja beantwortet. Mehr noch, sie forderten, dass dies auch für die Zukunft so bleiben soll. So nebenbei finden 71 Prozent auch eine Unvereinbarkeit des Abendlandes, weil christlich, mit dem Islam.

Die Lehren, die die Bibel vermittelt, werden dagegen in Zweifel gezogen. Nur 47 Prozent glauben an die Existenz Gottes sowie, schwankend nach dem Alter, zwischen 39 Prozent (junge Generation) und 48 Prozent (Ab-50er) an "ein Leben nach dem Tod". Noch weniger, nämlich 31 Prozent, bejahen, dass Jesus Gottes Sohn ist und von den Toten auferstanden ist.

Ähnlich wie in Deutschland haben wir es also auch in der Alpenrepublik mit dem Phänomen zu tun, dass es eine starke Distanz der Menschen zu den Kirchen und den Religionen gibt. Gleichzeitig aber sind wir mit einem ausgeprägten Wunsch zur Bewahrung christlicher Werte und Symbole konfrontiert; man hält das "christliche Abendland" hoch und wünscht sich eine Politik, die nach christlichen Grundsätzen handelt.

Solidarität "keine Einbahnstraße"

Es ist die Suche nach Orientierung, die aus diesen Daten spricht. Sie müssten nicht nur der Kirche sondern auch der Politik zum Denken geben. Die Frage ist nur, trägt die Politik diesem Umstand Rechnung? Im Zuge des Wahlkampfes ließ einmal Sebastian Kurz den Satz fallen: "Ich bin liberal und christlich-sozial." Das entspricht ohne Zweifel der derzeitigen Bandbreite der Volkspartei. Und war nicht nur ein Bekenntnis, sondern auch eine bewusst gesetzte Botschaft für eine bestimmte Zielgruppe. Nämlich an jene Kreise, die sich mit der neuen Bewegung vielleicht noch etwas schwer tun und früheren Denkmodellen nachhängen.

Wie ernst ist es mit dem Anspruch einer christlich-sozialen Politik beim neuen Kanzler wirklich? Seine Antwort klingt sehr gesetzt: "Christlich-soziale Verantwortung bedeutet, den Schwachen in unserer Gesellschaft zu helfen, um aus eigener Kraft ein Leben in Freiheit und Eigenverantwortung führen zu können. Gleichzeitig darf christlich-soziale Solidarität in unserer Gesellschaft keine Einbahnstraße sein: Solidarität haben auch jene verdient, die den Sozialstaat mit ihren Leistungen möglich machen."

Hier wird man wohl die Probe aufs Exempel machen, die geschliffenen Worte an den Maßnahmen messen müssen, die die Regierung setzt. Erster Anhaltspunkt ist das Regierungsprogramm. Finden sich darin Merkmale einer christlichen Politik?

"Wir sind ein christlich geprägtes Land, dazu stehen wir, und das ist auch Teil unseres Programms. Das ist nicht abgrenzend gemeint gegenüber Menschen, die kein religiöses Bekenntnis oder eine andere Religion haben. Österreich verdankt dieser christlichen Prägung vieles, und dieses Erbe gilt es zu bewahren. Bei religiösem Fanatismus und Radikalisierung, die Staat und Menschenrechte nicht anerkennen oder zu Gewalt aufrufen, darf es keine falsche Toleranz geben, sondern es ist dagegen vorzugehen."

Man hat auch gleich Beispiele bei der Hand, die gewissermaßen Leitlinien des Handelns markieren. So einerseits, dass am Kreuz im öffentlichen Raum sowie an christlichen Feiertagen, Festen und Bräuchen festgehalten wird. Andererseits haben Problemfälle wie jene, die in islamischen Kindergärten in Wien öffentlich wurden, mit der Härte des Rechtsstaates zu rechnen.

Kurz will aber nun, ganz Staatsmann, nicht die Konfrontation mit dem Islam, sondern das offene, kontinuierliche Gespräch mit den Religionen suchen: "Als christlichsoziale Partei wollen wir nicht nur einen jährlichen Religionsgipfel mit Vertretern aller anerkannten Religionsgemeinschaften und der Bundesregierung -vielmehr muss ein regelmäßiger Dialog stattfinden."

Christlich-sozial versus konservativ

Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass er diesbezüglich ein Thema auf den Tisch bringt, das im Wahlkampf -nebst dem generellen Anspruch auf "Veränderung" - dominierend war, aber immer wieder zu durchaus unterschiedlichen Stellungnahmen von kirchlichen und politischen Repräsentanten führte. Kooperation, nicht Konfrontation ist jetzt gefragt: "Kirchen können bei Integrationsaufgaben und/oder Hilfe wichtige Aufgaben leisten." Das wiederum ist ein Punkt, wo man wissen muss, dass es durchaus Trennlinien gibt, und zwar zwischen christlich-sozialer und konservativer Politik. Schlagwortartig formuliert: Integration versus Festungsmentalität. Sich offen als christlich-sozial zu deklarieren, ist ein Angebot, bei dem man Kurz jedenfalls beim Wort zu nehmen hat. Jetzt wird es an Thinktanks wie etwa dem Kummer-Institut liegen, für Inhalte und Präzisierungen zu sorgen. Und die Politik ist gefordert, diese auch umzusetzen.

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