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Für Gott und Demokratie

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Kommt es in den USA zu einer Wiederauflage der schwarzen Tage McCarthys? Fundamentalisten und Neokonservative bereiten sich zum Kampf gegen den Liberalismus vor.

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Kommt es in den USA zu einer Wiederauflage der schwarzen Tage McCarthys? Fundamentalisten und Neokonservative bereiten sich zum Kampf gegen den Liberalismus vor.

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Sonntag für Sonntag übertragen die größten amerikanischen Fernsehanstalten einen Gottesdienst aus der Baptistenkirche in Lynchburg, Virginia, den mehr als 20 Millionen Amerikaner vor dem Bildschirm mitverfolgen. Ihr Hauptinteresse gilt dabei der Pre-

digt von Jerry Fallwell, einem unabhängigen Baptisten, der es versteht, seine Zuhörer mit der biblischen Botschaft zu faszinieren. . Fallwell spricht in einer Weise, daß ihn auch die einfachsten Leute von der Straße verstehen. Was den etablierten Amtskirchen oft nur mühselig gelingt, schafft der Baptistenprediger jeden Sonn-

tagvormittag: die Botschaft des Evangeliums in die Sprache des heutigen Menschen zu übersetzen, sie zu überzeugen, daß ihr Leben, wenn auch mühselig, doch einen Sinn hat und von etwas Göttlich-Absolutem berührt wird.

Der Baptistenprediger avancierte inzwischen zu einer Art Nationalfigur. Seit zehn, zwanzig Jahren sendet er die biblische Botschaft via Bildschirm in Millionen amerikanische Haushalte.

Freilich, seine Art der Gottesdienstgestaltung mag für Europäer nicht jedermanns Geschmack

sein, zuweilen erinnert es mehr an eine gut organisierte Show mit religiösem Hintergrund, doch sein Credo ist klar und einfach: Wir glauben an Gott und an die Demokratie. Wir sind Gottes Geschöpf, und deshalb sind wir freie Menschen.

Der Glaube an Gott und an die freiheitlich-demokratische Verfassung der Vereinigten Staaten bilden dabei das Rückgrat aller Predigten Fallwells. Daß die Demokratie gleich nach Gott kommt, ist nur aus der Geschichte der

Vereinigten Staaten selbst zu verstehen. Seit den Tagen der Pil-grim Fathers wird an der religiösen und politischen Freiheit als Grundlage des Staates gleichermaßen festgehalten.

Jerry Fallwell ist eine der herausragenden Führerpersönlichkeiten der sogenannten Moral Majority, einer Bewegung, die seit etwa Anfang der 70er Jahre ein Sammelbecken für religiöse und politische Erneuerung konservativer Prägung darstellt. Die Mitglieder und Sympathisanten dieser Bewegung kommen aus allen möglichen religiösen Gruppierungen und Konzessionen. Ihnen allen ist das Anliegen einer moralischen und politischen Erneuerung der amerikanischen Gesellschaft gemeinsam.

Daß Führer religiöser Gruppierungen zeitweise auch massiv in die öffentliche politische Debatte

eingreifen, liegt - wie am Beispiel Martin Luther Kings zu sehen ist — ganz in der amerikanischen Tradition. Neu jedoch ist, daß Leute wie Fallwell und Pat Robertson, der Gründer des Christian Broadcasting Network, des zweitgrößten TV-Unternehmens der Satelliten-Kabel-Branche, die bisherige amerikanische Situation zugunsten ihrer eigenen religiösen Ideologie verändern möchten.

Robertson, ein typischer Selfmademan und ebenfalls aus Virginia, hat die Absicht, auf Seite

der Republikaner am Präsidentschaftswahlkampf 1988 teilzunehmen. Ihm werden sogar wundersame Heilkräfte nachgesagt, die er während seiner Sendungen am Bildschirm demonstriert. Nach eigenen Angaben erreichen seine Übertragungen der Gottesdienste eine Einschaltquote von mehr als 70 Millionen Zusehern!

Die Moral Majority sieht sich im wesentlichen als eine Gegenbewegung zu der liberalen, meist wohlhabenden amerikanischen Mittelschicht. Ihre Botschaft richtet sich daher eher an arme und mittellose Leute, die die Auswüchse des allzu liberalen Lebensstils mancher amerikanischer Gesellschaftskreise als moralisch verwerflich und letztlich „gottlos“ ansehen.

Die Auswüchse der Abtreibungen, der Homosexualität, der Gewalt und „Gottlosigkeit“ ganz allgemein erzeugten in vielen Menschen die Gewißheit, daß es so nicht mehr weitergehen kann.

Die Auseinandersetzung um die Frage der Evolution des Menschen, der Versuch der Einführung des allgemeinen Schulgebets in allen amerikanischen Schulklassen, die Stellungnahmen gegen den Kommunismus als „Zentrum des Bösen“, und die offene Unterstützungserklärung für rechtsgerichtete politische Gruppierungen in Lateinamerika erweckten weit über die amerikanischen Grenzen hinweg das Interesse der Menschen und Medien.

Nicht zuletzt behaupten die Fundamentalisten, daß sie es eigentlich waren, die Präsident Ronald Reagan „ins Weiße Haus gebracht haben“.

Der amerikanische Kontinent

war von Anfang an in religiöser Hinsicht extrem tolerant und pluralistisch orientiert. In einem Land, wo nicht weniger als 1200 verschiedene religiöse Konfessionen gezählt werden, muß die Grundtendenz der Gesellschaft notwendigerweise pluralistisch bestimmt sein. Die fundamentalistische Bewegung versucht aber in gewisser Weise eine Trendumkehr. Ihr mißfällt die extreme Vielfalt und Freiheit der Gesellschaft. Ihr Anliegen besteht darin, die Menschen auf einige wesentliche Grundwerte zu orientieren, die ihrer Ansicht nach Amerika zu Macht und Größe verholfen haben.

Der Erfolg der Moral Majority-Bewegung wird vor allem der Tatsache zugeschrieben, daß sie ihre religiöse und politische Botschaft dem einfachen und oft armen Menschen verständlich machen kann. Im Unterschied zu der liberalen Mittelklasse verstehen sie es, in Wort und Tat gleichermaßen zu überzeugen.

Durch eine Unzahl freiwilliger Spenden besitzt die Moral Majority ganze Industrieanlagen, Fabriken, erzeugt ihre eigene Popmusik, hat ihre eigenen Fernsehgesellschaften, ihr privates Erziehungssystem, von der Grundschule bis zu Hochschulen mit Doktoratsabschluß. Lynchburg, die Heimatstadt Jerry Fallwells, beispielsweise, lebt ganz vom wirtschaftlichen Elan der Fundamentalisten, und das Christian Broadcasting Network Pat Robinsons schickt seine eigenen Satelliten ins All.

Auch für Notfälle ist gesorgt. Kommt ein Mitglied der Bewe-

gung durch Arbeitsverlust in finanzielle Schwierigkeiten, steht für ihn ein kircheneigener Hilfsfonds zur Verfügung. Interessant ist dazu zu bemerken, daß Arbeitslosigkeit nicht als ein staatliches Problem betrachtet wird, sondern eine Angelegenheit, die an Ort und Stelle zu bewältigen ist. Fallwell würde sich energisch dagegen wehren, staatliche Hilfe zur Uberwindung von Notfällen zu akzeptieren — in Österreich würde man dafür wohl nur ein Kopfschütteln übrig haben.

Wenn geholfen werden muß, dann muß die zuständige Gemeinde aktiv werden. Jede Kirche erhält deshalb aus privaten Spenden einen eigenen Hilfsfonds, der die Glaubwürdigkeit ihrer spirituellen Botschaft ständig in überzeugender Weise in die Praxis umsetzt.

Die hohen Abtreibungszahlen in den USA veranlaßten vor allem die Katholiken, innerhalb der Fundamentalisten aktiv zu werden. Auf ihr Betreiben hin gingen die Abtreibungszahlen erstmals zurück, manche Bundesstaaten beschlossen auf ihre Initiative hin überhaupt erst, ein Gesetz gegen die Abtreibung einzuführen.

Weil Demokratie nicht Selbstzweck ist, braucht es notwendigerweise eine spirituelle Grundlage, meint die Moral Majority. Deshalb brauchen die Menschen ihrer Ansicht nach eine Erziehung und Kenntnis dieser Grundwerte, ohne die ein Staat nicht existieren kann. Weil der Mensch Gottes Geschöpf ist, ist er auch ein freies Wesen, der Staat hat demnach die Aufgabe, diese Freiheit für die Verwirklichung seiner politischen und religiösen Uberzeugung zu schützen.

' Mittlerweile ist die Moral Majority zu einer Größeherangewachsen, daß sie für die nächsten Präsidentschaftswahlen entscheidend mitzureden hat; denn gleichgültig, wer der nächste Präsident sein wird, so sind sich die Fundamentalisten einig, „er kann nur für uns sein und nicht gegen uns“.

Der Autor ist promovierter Theologe und unterrichtet Religion und Geschichte an der amerikanischen Schule in Wien:

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