Joe Lieberman macht die Demokraten fromm

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Religion spielt in der US-Politik eine große Rolle. Während die Republikaner diesmal den Einfluss der religiösen Rechten zurückdrängen, setzen die Demokraten auf einen religiösen Kandidaten.

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Religion spielt in der US-Politik eine große Rolle. Während die Republikaner diesmal den Einfluss der religiösen Rechten zurückdrängen, setzen die Demokraten auf einen religiösen Kandidaten.

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Anno 1960, als John F. Kennedy auf dem Weg war, zum ersten katholischen Präsidenten der Vereinigten Staaten zu werden, musste er sich mit der "Religionsfrage" auseinandersetzen. Konservative Protestanten schürten damals Ängste, Kennedy könnte unter den Einfluss des Vatikans geraten. Kennedy versicherte daraufhin einer Gruppe texanischer Geistlicher, er sei überzeugter Anhänger einer völligen Trennung von Kirche und Staat. Und wenn er jemals aufgrund eines Gewissenskonfliktes seine Aufgaben nicht erfüllen könnte, würde er zurücktreten.

40 Jahre später hat die Religion jene Grenze, von der Kennedy gesprochen hatte, längst übersprungen und ist zu einem wichtigen Bestandteil des politischen Lebens in Amerika geworden. Konservative Protestanten und Katholiken, einst theologische Feinde, die im Traum nie daran gedacht hätten, sich öffentlich zu einer gemeinsamen Sache zu bekennen, sind traute Verbündete an verschiedenen Fronten: als Abtreibungsgegner, als Befürworter des Schulgebets, als Kämpfer gegen Sex und Gewalt in den Medien und für die staatliche Subventionierung privater Bildungseinrichtungen.

Feld der hohen Moral Ab der Ära Reagan (1981-89) konzentrierte sich die Diskussion um den religiösen Einfluss in der US-Politik auf evangelikale Christen und ihre wachsende Statur als politische Macht innerhalb der Republikanischen Partei.

Die Nominierung von Joseph Lieberman zum Vizepräsidentenbewerber des demokratischen Präsidentschaftskandidaten Al Gore hat dem diesjährigen Politdrama allerdings eine unerwartete Dramaturgie verliehen: Neben allen anderen Aktivposten, die der Senator aus Connecticut für seine Kandidatur mitbringt - er ist der erste Jude, der für ein nationales Amt kandidiert, er steht für Integrität und ermöglicht es Al Gore, Distanz zu Präsident Clinton zu signalisieren -, trauen ihm politische Experten eine schnelle und nachhaltige Wirkung beim Versuch der Demokraten zu, etwas vom religiösen Terrain, das sie in den letzten Jahren den Republikanern überließen, wiederzugewinnen.

Der orthodoxe Jude Lieberman hält sich streng ans Schabbat-Gebot, er vermeidet von Freitagabend bis Samstagabend Aktivitäten wie Auto fahren. John C. Green, Politologe an der University of Akron, meint, die Aufnahme Liebermans ins Team der Demokraten bringe die "religiöse Ordnung" durcheinander, die sich in den letzten beiden Jahrzehnten in der amerikanischen Wahlpolitik herausgebildet hat.

Nach den Worten Greens gewinnt Lieberman den Demokraten - "einer Partei, die den Ruf genießt, der Religion keine Aufmerksamkeit zu schenken" - ein gewisses religiöses Ansehen zurück. Liebermans Kandidatur auf dem "Ticket" der Demokraten beende den beinah exklusiven Besitzstand der Republikanischen Partei auf dem Feld der hohen Moral. Dies belebe, so Green, auch den traditionellen religiösen Einfluss bei den Demokraten wieder.

Der Unterschied, wie Religion die Republikaner und die Demokraten je beeinflusst, ist fein, aber substanziell. Als allgemeine Regel gilt für die demokratische Politik, dass Religion sich im Gespür für den Dienst an der Allgemeinheit ausdrückt. Im Gegensatz dazu sieht laut Green das konservative Christentum, das in republikanischen Kreisen höchst aktiv ist, seine politische Rolle darin, "die Menschen dazu zu bringen, sich der richtigen Gemeinschaft anzuschließen". Demokraten würden etwa für Bundesgesetze, welche die Rechte von Homosexuellen festschreiben und erweitern, eintreten, während Republikaner, die zwar auch Toleranz für Schwule und Lesben bekunden, keine besonderen gesetzlichen Bestimmungen für Homosexuelle als eine Gruppe haben wollten.

Religiöse Rechte ist still Mit der Nominierung von Lieberman zeige sich auch schärfer, welchem Wandel die religiöse Rechte - auch in Bezug auf ihre Stellung innerhalb der Republikanischen Partei - zur Zeit durchmache. Green konstatiert, dass einige der Eckpfeiler der religiösen Rechten - etwa die "Moral Majority" oder die "Christian Coalition" - im gegenwärtigen Wahlkampf wenig präsent sind. In früheren Wahlkonventen der Republikaner hatten Pat Robertson, Gründer der Christian Coalition, oder der erzkonservative Pat Buchanan Auftritte zur Hauptsendezeit des Fernsehens. Beim diesjährigen Wahlparteitag war Robertson nicht sichtbar, und Buchanan kandidiert als Präsidentschaftskandidat einer dritten Partei.

Gleichzeitig haben sich die Pragmatischeren unter den religiös Konservativen der Mitte des republikanischen Parteiapparats angenähert. John Kenneth White, Professor für Politik an der Catholic University of America, stellt fest: In einem Jahr, in dem die Republikaner versuchen, den Einfluss der religiösen Rechten auf ihre Partei zu minimieren, soll die Kür Liebermans ein Signal dafür sein, dass "einer religiös und gläubig und dennoch ein Demokrat sein kann". Tatsächlich hat diese Nominierung das Lob einiger religiöser Konservativer in der Republikanischen Partei hervorgerufen.

Es wäre natürlich eine Ironie der Geschichte, wenn Liebermans persönliche Moralität und die Leichtigkeit, mit der er über seinen tiefen Glauben spricht, den Wahlkampf von Al Gore gerade in jenem Jahr signifikant verändern würde, in dem die Republikaner, die "Grand Old Party", sich anschicken, das religiöse Segment der Partei verstummen lassen.

Einige Republikaner versuchen tatsächlich, die religiös Extremen in der Partei zum Schweigen zu bringen, so Politologe Green, denn Organisationen wie die Christian Coalition oder die Moral Majority sind auf dem absteigenden Ast. Dieser Niedergang hat paradoxerweise mit dem bisherigen Erfolg der religiösen Rechten zu tun. So verließ Ralph Reed, einer ihrer Vordenker, die Christian Coalition Pat Robertsons und wurde ein privater Politikberater. Auch viele andere Aktivisten, die - wie Reed - zu Kompromissen und zur politischen Knochenarbeit bereit sind, verließen die religiöse Rechte. Die prominenten Gestalten, die diese Organisationen ins Leben gerufen haben, waren nach den Worten Greens "gut für die Schlagworte, aber sie wollten weder Kompromisse eingehen noch die politische Knochenarbeit machen".

Katholik = Demokrat?

Diese Pragmatiker engagieren sich nun in der Republikanischen Partei. Obwohl sie nicht alles bekommen, was sie wollen, können sie "einen Platz am Tisch" - wie es Ralph Reed auszudrücken liebt - für sich reklamieren. Als Preis für ihr Schweigen beim diesjährigen Parteikonvent der Republikaner erhielten die extrem Konservativen eine eigene "Parteiplattform", die an einer rechten Hardliner-Sprache in Bezug auf die Abtreibung und andere Themen festhielt. Es muss aber gesagt werden, dass diese Plattformen, die in früheren Jahren wichtige Aussagen von großer Wirkung tätigten, kaum noch erwähnt werden, wenn der Parteitag vorbei ist.

Politologe Green meint aber, dass die rechten Hardliner dennoch erwarten, bei der Postenvergabe der neuen Administration konsultiert zu werden, sollte George Bush als Sieger aus der Wahl hervorgehen. Die Frage ist, ob Gore mit Lieberman eine Karte gefunden hat, um die neue republikanische Strategie auszustechen, und ob Gore damit aus dem Windschatten der Clinton-Skandale mit neuer Glaubwürdigkeit heraustreten kann.

Bis Anfang der siebziger Jahre, so Green, hingen religiöse und parteipolitische Zugehörigkeit davon ab, zu welcher Gruppe man gehörte. Je katholischer man war, umso wahrscheinlicher, dass man zu den Demokraten gehörte; bekennende Protestanten hingegen waren üblicherweise Republikaner.

Religion zweitrangig Diese vorhersehbaren Zuordnungen begannen zu bröckeln, als religiöse Praxis und religiöser Glaube ebenso wichtig wurden wie die Zugehörigkeit zu einer Konfession oder Religion. So kam es zu neuen Zuordnungen bei bestimmten Themen, und Katholiken, die starke Abtreibungsgegner waren, marschierten gemeinsam mit konservativen Protestanten. Auch orthodoxe Juden entdeckten ihre Sympathie zu konservativen Protestanten und Katholiken bei Fragen wie Abtreibung und oder Themen wie "Werte der Familie".

Wie die veränderten politischen und religiösen Allianzen die diesjährigen Präsidentenwahlen beeinflussen, ist Gegenstand von Mutmaßungen. Einer der Gründe, warum die Republikaner die religiöse Rechte ohne große Angst vor Stimmenverlust still halten konnten, ist die Tatsache, dass in vergangenen Abstimmungen herausstellte heiße Eisen wie die Abtreibungsfrage die Partei mehr spalteten als einten.

In der derzeitigen Wahlkampagne ist die "Religionsfrage" von der herkömmlichen Politik auf die hinteren Plätze verdrängt worden, und es scheint, dass sie dort auch bleiben wird, es sei denn, etwas Unvorhergesehenes zwingt sie wieder an die vordere Front. Meinungsumfragen prognostizieren ein Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden Kandidaten. Die Geschichte lehrt inzwischen, dass sich so genannte "pocketbook issues" ("Taschenbuch-Themen") als wahlentscheidend herausstellen und alle anderen Themen verblassen lassen können.

Das Problem für katholische Wähler, die über ihr eigenes wirtschaftliches Wohlergehen hinaus schauen, ist, dass keine der beiden Parteien bei allen Themen die kirchlichen Positionen vertritt. Im Sommer reklamierte die katholische "Einsatzgruppe" der Republikaner, dass diese Partei die katholische Lehre am besten zum Ausdruck bringe. Dies stimmt sicher in der Abtreibungsfrage: Die Republikaner versuchen am intensivsten, die Legalisierung der Abtreibung durch den Obersten Gerichtshof der USA rückgängig zu machen. Aber eine Studie über die Themen und Abstimmungsprotokolle im Kongress seit 1996, welche die Wochenzeitung "National Catholic Reporter" im August publizierte, zeigte, dass auf den meisten anderen Gebieten die Demokraten mehr mit der katholischen Soziallehre übereinstimmen als die Republikaner. Das hängt damit zusammen, dass die Demokraten traditionellerweise eine Sozialgesetzgebung forcieren, welche den Reichtum umverteilt, und die - insbesondere im Gesundheits- und Schulwesen - Sozialleistungen für Bedürftige bereitstellt.

Keine Partei ,katholisch' Die katholischen Bischöfe der USA haben ein Dokument unter dem Titel "Gläubige und Bürger sein: Bürgerliche Verantwortung für ein neues Jahrtausend" veröffentlicht. Darin stellen sie fest, dass "wenige Kandidaten und keine Partei mit unseren Werten ganz übereinstimmen". Die Bischöfe drängen die Katholiken dennoch, sich am politischen Leben zu beteiligen: "Wir müssen alle Parteien und jeden Kandidaten auffordern, das menschliche Leben und die Menschenwürde zu verteidigen, nach mehr Gerechtigkeit und Frieden zu streben, das Familienleben zu stützen und das Gemeinwohl zu fördern."

Der Autor ist Chefredakteur der in Kansas City/ Missouri erscheinenden unabhängigen Wochenzeitung "National Catholic Reporter".

Aus dem Amerikanischen von Otto Friedrich.

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