6712398-1964_27_07.jpg
Digital In Arbeit

Es begann 1933

Werbung
Werbung
Werbung

Das Versagen der republikanischen Führer bringt uns zum Gesetz der historischen Entwicklung zurück. Die Malaise der Partei ist zumindest seit 1933 offensichtlich, als die Republikaner den in Mißkredit geratenen Status quo gegenüber Franklin Roosevelt bis zum letzten verteidigten. Weil sie keinen eigenen schöpferischen Plan hatten, wurden sie zu Negativisten. Als aber die Partei 1952 eine Chance hatte, sich zu echten konservativen Grundsätzen zu bekennen, nahm sie diese nicht wahr. Robert A. Taft, ein Konservativer im europäischen Stil, wurde zugunsten des Volkshelden Eisenhower fallengelassen.

In den unschöpferischen, müden Jahren der Eisenhower-Verwaltung konnte die Partei keinen neuen Auftrieb bekommen. Mit der Aufstellung Richard Nixons demonstrierte sie ihre Ideenlosigkeit. Kein Wunder, daß solche verbrauchten Führer von Aktivisten beiseitegestoßen werden.

Würde die Wahl in diesem Zeitpunkt abgehalten, würde Lyndon wesentliche Punkte aufzuzählen, in denen der Senator gegen republikanische Prinzipien verstoße, verlor er jede Glaubwürdigkeit.

Henry Cabot Lodge beteiligte sich nicht an dem Wahlkampf, obwohl er dort den Vereinigten Staaten wahrscheinlich nützlicher als in Saigon gewesen wäre. Dadurch verlor er seine Anhänger.

Den ängstlichsten Eindruck machte der vielgenannte Gouverneur von Pennsylvanien, William Scranton. Er hatte erwartet, daß ihm die Nominierung auf einem silbernen Tablett überreicht werde. Sein schüchterner Versuch, sie doch noch Goldwater wegzunehmen, wurde von Eisenhower zurückgepfiffen. Der einzige, der außer Rockefeller den Mut besitzt, dem Sieger den Fehdehandschuh hinzuwerfen, ist der Gouverneur von Michigan, der frühere Automobilindustrielle George Romney. Er ist das Sprachrohr der vielen Abgeordneten zum Kongreß und zu staatlichen Legislaturen, die mit Goldwaters Nominierung um ihr politisches Leben bangen.

Johnson sie haushoch gewinnen. Danach würden sich die von Liberalen wie von Reaktionären gleichermaßen enttäuschten republikanischen Wähler von der republikanischen Partei abwenden, was diese auf lange Zeit regierungsunfähig machen würde. Möglicherweise würde sie den Whigs, aus denen sie vor über 100 Jahren hervorgegangen ist, ins Grab folgen. Damit wäre ein wenigstens vorläufiges Ende des Zweiparteiensystems da. Unnötig zu sagen, daß dies von Übel wäre, ganz abgesehen davon, daß die Demokratische Partei demoralisiert würde, ebenso wie zwischen 1844 und 1860, als sie infolge der Schwäche der Whigs die Alleinherrschaft innehatte.

Vor einem „langen, heißen Sommer”?

Dies wäre jedoch noch ein geringes Übel, verglichen mit dem Übel eines Einzuges Goldwaters in das Weiße Haus. Rockefeller verlor den als sicher angesehenen Sieg in Kalifornien in den letzten vier Tagen des Wahlkampfes. Warum sollte

Johnson nicht in den nächsten fünf Monaten verlieren können?

Vorläufig gibt es nur eine ernste Gefahr für ihn, den Rassenkampf. Rassenkrawalle haben schon begonnen. In New York werden Weiße von Banden junger Neger überfallen. Mit der uns Weißen eigenen Empfindlichkeit, mit der wir Zeter und Mordio schreien, wenn uns jerpand auf die Hühneraugen tritt, aber erwarten, daß derjenige, den wir ins Schienbein treten, freundlich lächelt, wurden diese Vorgänge maßlos aufgebauscht. Man könnte glauben, es gebe keine weißen Banden, die ähnliches tun.

Die Gefahr besteht nicht nur in der Aggressivität der ungeduldig werdenden Neger, die keinen Ausweg sehen, sondern auch in der hauchdünnen Toleranz der Weißen. Die New York Times berichtete, daß in Kalifornien bisher Liberale für Goldwater deswegen gestimmt haben, weil er gegenüber den Negern unnachgiebig ist. Die beträchtlichen Erfolge des südstaatlichen Gouverneurs Wallace, eines schlauen und verschlagenen Rassisten, in demokratischen Vorwahlen in nördlichen Staaten, haben bewiesen, wie leicht sich Weiße gegen Neger aufputschen lassen.

Der Erfolg Goldwaters steifte den Gegnern der eben im Senat beratenen Vorlage zum Schutz der Bürgerrechte den Rücken. Die Vorlage wurde unterdessen angenommen, aber immerhin so verwässert, daß die Farbigen aufgewiegelt, statt beruhigt werden. Die Negerführer, denen die Kontrolle über ihre Leute entgleitet, kündigen einen „langen, heißen Sommer” an.

Nur die eklatante Unbeliebtheit Goldwaters bei allen, außer den Ultrakonservativen, berechtigt zu der Hoffnung, daß Rassenkrawalle sehr großes Ausmaß annehmen müssen, bevor sie seiner Kandidatur Auftrieb geben. Tatsächlich ziehen 40 Prozent der republikanischen Wähler heute Johnson Goldwater vor.

Man darf wohl sagen, daß, seitdem die Republikaner unter Harding die den Völkerbund bejahenden Demokraten aus dem Felde schlugen, noch nie so viel bei einer Wahl auf dem Spiel stand. Senator Goldwater ist ein großzügiger und anständiger Mann, aber seine Reaktionen sind zu impulsiv. Er macht den Eindruck eines schwachen Mannes, der seine Schwäche durch Auftrumpfen zu verbergen sucht. In dieser Beziehung erinnert er an Wilhelm II.

Sein Einzug ins Weiße Haus gäbe den in Jahrzehnten denkenden Sowjets eine ungeheure Möglichkeit, falls sie es fertigbrächten, die Hörner vorübergehend einzuziehen und sich sogar dem Odium der Feigheit auszusetzen. Wenn sich Goldwater so verhält, wie die Rechtsextremisten erwarten und die anderen fürchten, wird das Land in Aufruhr geraten. Neger werden sich gegen die Weißen erheben, Arbeiter gegen die Unternehmer, Farmer gegen die Städter.

Amerikas ohnedies schon unterminierte Führung der westlichen Welt wird dann endgültig zu Ende sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung