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Favorit bleibt der Teflon-Präsident

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Die letzte Vorwahlrunde in den USA ist ausgestanden. Am 16. Juli beginnt der Parteitag der Demokraten. Bis dahin wird hart gefeilscht. Überraschung könnte eine Frau bringen.

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Die letzte Vorwahlrunde in den USA ist ausgestanden. Am 16. Juli beginnt der Parteitag der Demokraten. Bis dahin wird hart gefeilscht. Überraschung könnte eine Frau bringen.

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Daß die Wirtschaftspolitik zentrales Thema des Wahlkampfes in den USA sein wird, liegt auf der Hand. Daß die demokratischen Präsidentschaftswerber auch von der Weltpolitik reden, gleichfalls. Nur: Hat das je eine Wahlkampagne der USA beeinflußt?

Was diesmal auffällt, ist die Antwort, die man immer wieder zu hören bekommt — selbst von Republikanern, selbst im weltpolitisch weithin uninteressierten Mittelwesten: ja! Und als Beispiel wird immer wieder die Niederlage Jimmy Carters vor vier Jahren zitiert, die vor allem der demütigenden Geiselaffäre zugeschrieben wird. So formt sich ein erster Eindruck:

1. Weltpolitik könnte im Wahlkampf 1984 eine nicht unerhebliche Rolle spielen.

Mondale, Hart und Jackson haben Verhandlungen mit der UdSSR über eine Rüstungskontrolle bei Nuklearwaffen zur ersten außenpolitischen Priorität erhoben. Alle drei sind für ein „beidseitiges, verifizierbares Einfrieren" der atomaren Rüstung sowie für einen freiwilligen, zeitlich begrenzten Versuchsstopp. Hart visiert eine Verringerung der landgestützten Langstreckenraketen mit Mehrfachsprengköpfen um 50 Prozent an.

Alle lehnen sie Waffenhilfe für die Contras in Nikaragua ab und verlangen einen Rückzug aller US-Soldaten aus Zentralamerika. Mondale ist für eine weitere starke US-Präsenz in Westeuropa, Hart für eine Reduktion.

Daß diese Fragen die amerikanischen Wähler tatsächlich berühren, erhärtet eine Umfrage des

Nachrichtenmagazins „US News and World Report", wonach das mit Abstand zweitwichtigste Anliegen im Lande (nach der Defizitbekämpfung) ein Einbremsen des atomaren Rüstungswettlaufs ist.

Auch die junge Landespar-teiobfrau der Republikanischen Partei des Bundeslandes (-Staates) Minnesota, Marge Gruenes, bestätigte der FURCHE in Min-neapolis: „Wehe, wenn in Zentralamerika ein Krieg ausbräche — das würde uns entsetzlich schaden. Aus dem Libanon sind wir gerade noch mit halbem Anstand herausgekommen, aber es war höchste Zeit..."

Am stärksten wagt sich in diesen Fragen Jesse Jackson vor, der die Verteidigungsausgaben um 20 Prozent kürzen möchte. Rasch wird einem in den USA derzeit übrigens auch bewußt:

2. Jesse Jackson ist die eigentliche Überraschung des Vorwahlkampfes, und zwar eine positive.

„Ich würde ihn glatt wählen, wenn er aufgestellt würde", sagt ein (weißer) Taxichauffeur in St. Paul. „Ich habe, obwohl ich ihn nicht zum Präsidenten wählen würde, im Parteiausschuß für ihn gestimmt", bekennt eine (gleichfalls weiße) Hausfrau in Milwau-kee. „Seine Kandidatur ist gut für die Demokratie, gut für die Demokratische Partei und gut für uns Schwarze", formuliert eine Wahlhelferin in Jacksons Hauptquartier in Chikago, wo der Kandidat mit Gattin Jacqueline und den fünf Kindern (zwischen acht und 20) wohnt.

Darin stimmen fast alle überein. Der eloquente Baptistenprediger aus Südkarolina hat zwar die angestrebte, JRegenbogenkoa-lition" aus Schwarzen, Grünen, Spanischstämmigen, Frauen, Armen und Homosexuellen nicht annähernd in repräsentativer Relation zustande gebracht — aber viel mehr, als irgend jemand erwartet hat.

Wenn weder Mondale noch Hart mit einer absoluten Delegiertenmehrheit zum Parteikongreß nach San Franzisko kommen, wird Jackson ein Königmacher sein. Und er wird dafür, daß er für 21 Prozent der Volksstimmen nur neun Prozent der Delegierten erhalten hat, einen hohen Kaufpreis verlangen.

3. Gary Hart und sein Lager machen keinen üblen Eindruck.

In den Medien vernahm man bisher, der junge Emporkömmung aus Kansas (sein Geburtsjahr wird sogar in Wahlschriften immer noch unterschiedlich mit 1936 und 1937 angegeben) habe nur sehr verschwommene Ansichten in Sachfragen.

Man kaufe sich sein Buch „A New Democracy" und wird im Nu feststellen: Wenn ein einziger Oppositionspolitiker Österreichs je seine Alternativen so konkret wie er formulierte, wäre das für uns eine perfekte Sensation!

Der Rechtsanwalt (Yale-Grad) aus Colorado, das er seit 1974 auch im Senat vertritt, hat auch geschickte Propagandisten: in Chikago etwa den Redenschreiber Jack DuVall, der auch im Programmausschuß des demokratischen Parteitags sitzt, und den Wahlkampfmanager für den Bundesstaat Illinois, Lee Harris. Beide sind bemüht, den Einwand zu zerstreuen, ihr Kandidat käme ohne Regierungserfahrung ins Weiße Haus: „John Kennedy hatte auch keine.

4. Der demokratische Kandidat dürfte dennoch Walter (,J?ritz") Mondale heißen.

Wenn er nicht schon zu dem am 16. Juli in San Franzisko beginnenden Parteitag mit der absoluten Delegiertenzahl angerückt kommt (was angesichts der bevorstehenden Feilschphase denkbar ist), wird es erstmals seit 1952 zu mehr als einem Wahlgang kommen. In diesem Fall ist der Ausgang wohl offen.

Wenn Walter Mondale nicht alle fünf Vorwahlen am 5. Juni haushoch verloren hat, bleibt er Favorit. Und allen fällt dazu das gleiche ein: anständig, erfahren, solid, langweilig.

Daß die Gewerkschaften ihn massiv (auch finanziell, und mit angefochtenen Methoden) unterstützen, wird ihm eher schaden als nützen. Das bestätigen sogar Gewerkschafter in Chikago. Und auch seine Vizepräsidentschaft unter Jimmy Carter bleibt mehr ein Minus als ein Plus bei Wählern. Wohl würden ihn die meisten der eingefleischten Demokraten, aber nur wenige Unabhängige und Wechselwähler bevorzugen.

Wenn die Umfrageergebnisse Mitte Juli für die Demokraten besonders übel aussehen sollten, könnte sich Fritz Mondale vielleicht zu einem Experiment entschließen, das riskenreich ist, aber als einziges einen Funken Spannung brächte: eine Frau als Vizepräsidentschaftskandidatin vorzuschlagen. Derzeit im Handel: die New Yorker Kongreßabgeordnete Geraldine Ferraro.

Ein „Ticket" Mondale/Hart ist zwar nach traditioneller Erfahrung denkbar (auch Kennedy und Johnson, Reagan und Bush hatten sich im Vorwahlkampf arg miteinander verfeindet), aber noch scheint sich niemand so recht dafür zu erwärmen.

5. Aller Voraussicht nach wird der neue Präsident so wie der alte Ronald Reagan heißen.

Nach jüngsten Umfragen würde eine Wahl derzeit 51:43 bei einer Paarung Reagan/Mondale und 49:45 bei Reagan/Hart ausgehen. Im Wahlkampf könnte Reagan sogar noch zulegen. Noch immer trifft keiner den Ton des Volkes besser als er.

Nur wenn ein unvorhergesehenes Ereignis eintritt, könnte dies die Szene verändern Reagan da und dort einen Mißerfolg oder ein mißratenes Versprechen anzuhängen, dürfte den politischen Gegnern wenig nützen.

Denn, so der Leitartikler Robert White von „Minneapolis Star and Tribüne" unter Anspielung auf eine aktuelle Pfannenwerbung: „Das ist ein Teflon-Präsident, an dem rein gar nichts picken bleibt."

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