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Der kleine, bissige Hund

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Aufatmen bei den US-Demokraten: Michael Dukakis liegt im Vorwahlkampf vor Jesse Jackson. Hat der schwarze Sprücheklopfer am 19. April in New York noch eine Chance?

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Aufatmen bei den US-Demokraten: Michael Dukakis liegt im Vorwahlkampf vor Jesse Jackson. Hat der schwarze Sprücheklopfer am 19. April in New York noch eine Chance?

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Im Finale des amerikanischen Ausscheidungsverfahrens für die Präsidentschaftskandidaten, wie es sich derzeit darbietet, verbleiben drei Männer, die sich noch immer vehement und völlig unverletzt um die Kandidatur bemühen. Das ist auf Seiten der Republikaner George Bush, Präsident Ronald Reagans reichlich farbloser Vize (FURCHE 14/1988), das sind bei den Demokraten zwei weitaus schillerndere Persönlichkeiten.

Der Massachusetts-Gouverneur Michael Dukakis, der als liberaler Konservativer gelten möchte, und der Farbige, Bürgerrechtler und Priester Jesse Jackson, der mit seinem Super-Liberalismus ungewöhnliche Erfolge verzeichnen kann.

Bei den Vorwahlen in Massachusetts, dem Heimatstaat seines Rivalen Dukakis, konnte er als Schwarzer 19 Prozent der weißen Stimmen auf sich vereinen. Das ist eine Sensation in einem US-Bundesstaat, in dem die farbige Wählerschaft lediglich drei Prozent ausmacht.

Jesse Jackson, das Wunder des bisherigen Wahlkampfes, muß nach europäischer Definition als Radikal-Demokrat verstanden werden.

Innenpolitisch huldigt er einem „gebremsten Sozialismus“, wie es ein wahlpolitischer Analytiker in New York ausdrückte. Er fordert höhere Besteuerung der großen Konzerne, und er verlangt deren steuerliche Bestrafung — wie für General Electric — dann, wenn sie durch Produktionsauslagerungen Arbeitsplätze nicht zu Hause, sondern im billigeren Ausland, vor allem in Südostasien, schaffen.

Das ist nicht minder realpolitisch wie seine Forderung nach völliger Anerkennung der PLO Jassir Arafats und sein Hinweis, daß es ein „palästinensisches Heimatland“ geben müsse. Das mag die Juden Amerikas verschrek-ken, aber die würden sowieso keinen Farbigen wählen.

Aber mit dieser Art Moralistik und Predigertum gewinnt Jackson Anhänger unter den leicht revolutionären Kreisen der weißen Arbeiterschaft und mehr noch unter den weißen Studenten, denen die acht Jahre Reagan als konservatives Trauma erscheinen — obwohl auch dies als Tatsache angemerkt werden muß: Amerika ist auch heute noch grundkonservativ.

Diese Mehrheits-Einstellung fördert einen George Bush, obwohl der sich wenig profiliert. Er ist konservativ, wenn auch weniger als Reagan. Er findet deshalb auch Zuspruch bei liberaleren Politikern. Und da er beteuert, Reagans innen- und außenpolitischen Kurs fortsetzen zu wollen, ist ihm die republikanische Nominierung absolut sicher.

Der Jackson-Rivale Dukakis leidet unter einem Image-Problem. So artikuliert sich Jackson gibt, so introvertiert kann Dukakis erscheinen. Dukakis will im Gegensatz zu Jackson kein soziales Netz ä la mitteleuropäische Länder für die US-Arbeitnehmerschaft schaffen, sondern er strebt lediglich Verbesserungen in der Krankenversorgung an.

Um die Anerkennung der PLO drückt sich Dukakis wortgewandt herum, aber in Sachen Mittelamerika unterscheidet sich seine Melodie nur um Halbtöne von der Jesse Jacksons.

Wül der Farbige mit Fidel Castro sprechen und verhandeln, um die Konflikte Nikaragua und Honduras beizulegen, fordert Dukakis lediglich ein Disengagement der USA in dieser Region.

Insgesamt ist es zu einem Wahlkampf ohne Konturen gekommen, weü die sich - bei allen dreien im Endlauf — vielfach verwischen. Emotionen und rhetorisches Können stehen mehr im

Mittelpunkt der Auseinandersetzungen.

Und da hat es ein Prediger-Typ wie Jackson, in dessen Armen vor zwei Jahrzehnten sein Vorbild Martin Luther King starb, einfacher als die beiden Rivalen. Er profitiert, wie in Europa die Grünen, auch vom Frust der Normal-Wähler, die ihm ihre Stimme geben, weil sie einfach gegen das

Establishment sind, gegen den Alltag, das Alltägliche, den Status quo.

Einflußreiche Stars wie Steve Wonder, Debbie Allen und Bill Cosby tun ein übriges, um Jesse Jackson Stimmen einzuspielen. Und selbst wenn die Zeit noch nicht reif wäre, noch nicht reif für einen schwarzen Präsidentschaftskandidaten: Jesse Jackson wird auf dem Parteitag der Demokraten (vom 18. bis 21. Juli in Atlanta) eine entscheidende Rolle bei der Programmgestaltung einer künftigen demokratischen Regierungspolitik spielen. Er wird Einfluß auf. vieles, wenn nicht alles nehmen und haben -auch angesichts dieser Fakten:

In Manhattan würden ihn heute — so jüngste Umfragen — 17 Prozent der Weißen wählen, im vorwiegend weißen Michigan erhielte er derzeit zwischen 25 und 33 Prozent der weißen Stimmen, und im Staate Connecticut würden ihn 20 Prozent der Weißen zum Präsidenten wählen.

Analysiert man dieses Phänomen, so kommt man zu unrealistischen Hoffnungen, die eben auf unrealistischen Jesse-Jackson-Versprechungen basieren. So will er Arbeitsbeschaffungs- und Wohnbauprogramme ins Leben rufen, die dem New Deal früherer Demokraten nachempfunden sind. Nur: Die Milliarden und Abermüliarden, die diese Träume kosten würden, lassen sich nie und nimmer finden und bereitstellen.

Da ist eben dieser Prediger kaum mehr als ein politischer Schaumschläger, was sich auch außenpolitisch dokumentiert: Für ihn ist Südafrika weitaus gefährlicher als die Sowjetunion, der er friedvolle Absichten bei allem unterstellt. Und das streicht er eindeutig hinsichtlich der „Expansion“ heraus — der „Expansion“ südafrike nischen Apartheidgedankengute 5 kontra der „Expansion“ revolutionärer Ideen seitens Moskau.

Jesse Jackson glänzt durch Sprüche wie: „Ich bin der ärmste der Wahlkämpfer, aber dafür der Ideen-reichste“ und „Wir sind der kleinste Hund - aber der beißfreudigste.“

Dukakis, der bei den Demokraten die größeren Nominierungs-chancen hat, verblaßt gegen solche Aussprüche. Doch das wiederum gereicht ihm beim mehrheitlichen Wählervolk, das Angst vor Sprücheklopfern hat, zum Vorteil.

Einen weiteren Nachteil des Jesse Jackson darf man in Europa nicht unterschätzen: Er hat nie ein verantwortliches politisches Amt innegehabt. Und das schreckt in der Regel den amerikanischen Wähler, der bei Kandidaten gern gewisse Erfahrungen sehen möchte.

Jesse Jackson ist mitunter auch so emotionell, daß die Pferde mit ihm regelrecht durchgehen. Dann kann er in Hysterie verfallen oder auch weinen, kann toben und schimpfen und drohen. „Er will immer geliebt werden“, wird er von einem Freund kritisiert, „und das konnte er sich bisher nicht abgewöhnen. Jesse kann es nicht vertragen, wenn ihm Kritik entgegenschlägt, wenn ihm ein Auditorium kühl gegenüber bleibt. Und das sind seine großen Nachteile.

Sie muß er überwinden, will er weitervorankommen. In diesem Wahljahr wird er wohl noch zu sehr unter diesen Nachteilen leiden. Vielleicht ist es in vier Jahren besser.“

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