6952138-1984_16_07.jpg
Digital In Arbeit

Der Regenbogen des Jesse Jackson

19451960198020002020

Die Prognosen der FURCHE vom 14. März für den Verlauf des US-Wahlkampfes stimmten alle -bis auf eine: daß Jesse Jackson bald ein toter Mann wäre. Er lebt mehr denn je ...

19451960198020002020

Die Prognosen der FURCHE vom 14. März für den Verlauf des US-Wahlkampfes stimmten alle -bis auf eine: daß Jesse Jackson bald ein toter Mann wäre. Er lebt mehr denn je ...

Werbung
Werbung
Werbung

Schon nach der Vorwahl im Bundesstaat New York, als der schwarze Baptistenprediger einen starken dritten Platz belegte, schrieb die „New York Times", dieser sei bedeutsamer als Walter Mondales erster: „Ab sofort ist die amerikanische Politik nicht mehr, was sie bisher war."

Im Industriestaat Pennsylvania überraschte Jesse Louis Jackson (41) neuerlich mit fast 20 Prozent der Demokratenstimmen und eroberte sogar Philadelphia. Am 14. April gelang ihm der erste totale Bundeslandtriumph: Mit fast 35 Prozent landete er in seinem Heimatstaat Südkarolina auf Platz eins. Viele Weiße mußten ihn auch gewählt haben.

Jetzt wird Jackson ohne Zweifel auf dem Parteitag der Demokraten, der am 16. Juli in Los Angeles beginnt, eine zentrale Rolle einnehmen. Schon hat er angekündigt, eine Art „Vorparteitag" seiner Anhänger einzuberufen, um die Strategie für die Gesamt-Con-vention zu entwickeln. Dabei sollen nicht nur typisch „schwarze" Probleme, sondern auch „allgemeine nationale Fragen" wie Wirtschafts-, Umwelt-, Außen-und Friedenspolitik zur Sprache kommen.

Worum es Jesse Jackson aber doch vor allem geht, ist eine Beseitigung der Stichwahl bei Vorwahlen der Demokratischen Partei, die derzeit im Regelfall stattfinden, wenn kein Kandidat die absolute Mehrheit erhalten hat.

In der Praxis hat dies bisher bedeutet, daß, wann immer sich ein Schwarzer an einer Vorwahl beteiligte, dieser bestenfalls eine relative Mehrheit erzielte. Bei der Stichwahl gaben dann alle Weißen ihre Stimmen einem der weißen Kandidaten.

Nun will Jackson, daß schon die relative Mehrheit genügen soll. Das könnte so manchem schwarzen Kandidaten für Wahlämter auf Gemeinde-, Staats- und Bundesebene zum Erfolg verhelfen und würde die politische Szene von Grund auf verändern — möglicherweise auch in die Richtung eines scharenweisen Uberlaufens weißer Demokraten zur Republikanischen Partei, die auf die Stichwahl nicht verzichten wird.

Werden denn die Demokraten darauf verzichten? Gerne sicher nicht. Schon hat sich eine Bewegung rund um die 27 Gouverneure gebildet, die am demokratischen Parteitag teilnehmen werden und die Erfüllung der Jackson-Forderung abblocken wollen.

Aber Jesse Jackson hat es auf

Grund seiner bisherigen Erfolge voraussichtlich in der Hand, auf dem Parteitag entweder Walter Mondale oder (noch lieber) Gary Hart die für die Nominierung entscheidenden Delegiertenstimmen anzubieten. Dafür muß der Nutznießer natürlich einen Preis zahlen. Jackson sagt: Es muß der Stichwahl-Verzicht sein!

Die Demokratische Partei ist mit gutem Grund in Aufregung. Auch die Presse ist es. Jackson hat in New York ein als verächtlich geltendes Wort für Juden („Hy-mies") gebraucht und einen Wahlhelfer nicht zurückgepfiffen, der den Reporter bedrohte, der dieses Wort aus einem inoffiziellen Gespräch preisgab. Das tut keinem Kandidaten bei der Ostküstenpresse gut. „New York Times" und „Washington Post"

drehen Jackson seither täglich durch den Fleischwolf.

Die Wähler stört das nicht im gleichen Maß. Viele von ihnen spricht Jesse Jacksons charismatischer Predigerton („Ein Freiheitszug fährt ab... Aber ihr braucht eine Fahrkarte ... Laßt euch ins Wählerverzeichnis eintragen ...") unverkennbar an.

Wenn Jacksons Rechnung mit einer „Regenbogenkoalition" (Schwarze, andere ethnische Minderheiten, arme Weiße, Frauen und Arbeiter) von Tag zu Tag mehr aufgeht, wird Jackson zwar sicher nicht der demokratische Präsidentschaftskandidat, aber keiner wird es ohne ihn werden können, und keiner, auch Ronald Reagan nicht, kann ohne Rücksichtnahme auf diese Stimmung auf eine Mehrheit bauen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung