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Umweg oder Irrweg zum Heros?

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Lyndon B. Johnson ist ein ungewöhnlicher Präsident. Am ehesten kann man ihn mit Andrew Jackson, dem ungehobelten Haudegen und guten Hasser, vergleichen, der in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts' Präsident war. Beide stammen aus dem westlichen Grenzland, und manche ihrer Eigenschaften lassen sich aus ihrer Herkunft erklären. Johnsons Abweichung von der Schablone eines Präsidenten macht manchen Leuten Angst.

An diesem Präsidenten scheiden sich die Geister mit ähnlicher Vehemenz wie bei John F. Kennedy und Franklin D. Roosevelt. Nur verlaufen diesmal die Grenzlinien anders. Verstimmte Intellektuelle stehen gegen die breite Masse, zu der die Geschäftsleute, ebenso wie die Gewerkschaften und die Neger gehören. Die Intellektuellen akzeptierten von Anfang an Johnson nur als das kleinere Übel. Wo immer man sie trifft, kann man scharfe Kritik hören. Der Krieg in Vietnam ist dabei ein bestimmender, aber keineswegs alleiniger Faktor.

Zu den Intellektuellen sind die Journalisten gestoßen. Gewohnt, von den Trägern der Macht mit Glacehandschuhen angefaßt zu werden, werden sie von Johnsons Rücksichtslosigkeit vor den Kopf gestoßen. Ihrerseits übertreiben sie die Fehler des Präsidenten, bis sie schon fast den Eindruck vermittelten, daß Lyndon Johnson zwar die Tatkraft eines Napoleon mit dem Pflichtbewußtsein eines Franz Joseph verbände, aber anderseits auch die Brutalität eines Himmelstoß mit der

Verschlagenheit eines Fouche, der Eitelkeit eines Talma, der Impulsivität eines Wilhelm II. und dem Liebesbedürfnis eines asozialen Kindes.

Diese journalistischen Tiraden taten jedoch der Popularität des Präsidenten nichts an. In den letzten Wochen stieg sie von einem Tiefpunkt von 63 Prozent auf 69 Prozent wieder an, was den Präsidenten, für den die Meinungsforscher das sind, was die Auguren für die Cäsaren waren, sehr befriedigt. Zu diesem Popularitätsanstieg haben ehemalige Goldwater-Anhänger ihren Teil beigetragen. Viele von ihnen ziehen jetzt Johnson ihrem bisherigen Idol vor oder sagen wenigstens, Johnson habe genug Format, um das zu tun, was Goldwater vorschlug.

Die Kritiker des Präsidenten stoßen sich besonders an seinen Manieren. Man kann sich auch unschwer vorstellen, daß ein Staatsoberhaupt, das es fertig bringt, ausländische Staatsbesucher abrupt auszuladen, seinen eigenen Leuten gegenüber erst recht nicht zart besaitet ist. Selbst wenn er gut gelaunt ist, drückt er sich häufig in einer Art aus, die nicht zu seinem Amt paßt. Er gerät aber leicht in äußerst schlechte Laune. Ein Mitglied seines Stabes entschuldigte das damit: „Er baut diese ungeheure Energie in sich selbst auf und schließlich muß etwas nachgeben.“

Auch seine so stark ausgeprägte Eitelkeit ist guten Manieren nicht förderlich. Ein Beispiel: Als er vor kurzem in Kansas City war, lud Johnson den früheren Präsidenten

Truman für 7 Uhr morgens zum Frühstück ein. Als Präsident war Truman als Frühaufsteher bekannt. So spazierte Johnson noch früher durch Kansas City und empfing Truman dann vor dem Hoteleingang. Man vergegenwärtige sich, daß der Expräsident 81 Jahre alt ist.

Folgenschwerer ist die Eitelkeit im großen. Einer der angesehensten Journalisten der Vereinigten Staaten, Stewart Alsop, charakterisierte sie so: „Der Präsident ist im Tiefinnersten so sehr von der Gerechtigkeit seiner Sache überzeugt, daß ihm Kritik, von welcher Seite auch immer, nicht einfach irrig, sondern böse erscheint.“

Mr. Johnson ist ungeheuer arbeitsam. Sein Tag reicht von den frühen Morgen- bis in die späten Nachtstunden und bei wichtigen Nachrichten läßt er sich wecken. Leider aber vergeudet er viel Zeit entweder damit, daß er sich um Details kümmert, die die Aufgabe von Untergebenen sein sollten, oder durch hochnotpeinliche Untersuchungen der Quellen der Indiskretionen. Dies wird auf seine Unsicherheit zurückgeführt, die er trotz seiner steilen Karriere nicht verloren hat.

Dabei pflegt er noch die Geselligkeit und geht abends viel aus. Er schont sich also nicht — wenn er auch wenigstens jeden Nachmittag einen ^kurzen Schlaf hält—, und man denkt mit Besorgnis an seinen Herzanfall vor zehn Jahren. Man bezweifelt, daß diese Lebensweise die beste für die Gesundheit ist.

Für seinen Egoismus ist es bezeichnend, daß er vor kurzem ein Projekt für die Ausbildung eines Lehrerfriedenskorps, das Senator Robert Kennedy und ein anderer Senator entworfen und ihm unterbreitet hatten, übernahm, ohne den Urhebern Kredit dafür zu geben. Es überraschte dagegen, daß er auf einer Pressekonferenz zugab, als Mitglied des Kongresses hätte er nicht genügende Verantwortung für den amerikanischen Neger gefühlt.

Johnsons Aktionen in Vietnam und mehr noch die Intervention in der Dominikanischen Republik erschienen vielen Leuten als Ausfluß einer Goldwater-ähnlichen Impulsivität. Eine vielbelachte Karikatur zeigte den Präsidenten, wie er morgens in den Spiegel schaut, aus dem ihm Goldwater entgegengrinst. Es ist aber keineswegs so, daß er Entscheidungen von solcher Tragweite in einsamer Höhe gefaßt hätte, sondern er holte vorher die Ansicht vieler Leute ein. Allerdings kann man fragen, ob er in der Wahl seiner Berater sehr glücklich ist. Daß Mr. Rusk der richtige Berater für einen Präsidenten ist, der von Außenpolitik wenig versteht, wird vielfach angezweifelt. Wieweit wird Mr. Johnsons Treue zu Rusk von dem Drang bestimmt, daß alles um seine Person kreisen muß?

Auch unfreundlich gesinnte Journalisten sehen die Möglichkeit, daß er ein großer Präsident wird, falls es ihm gelingt, sich besser im Zaume zu halten. Ein englischer Journalist, der Vertreter des „Ob-server“, ist heute schon davon überzeugt. Dieser Herr, den anscheinend Mr. Johnsons Männlichkeit tief beeindruckte, schrieb:

„ ... Er ist einer der faszinierendsten Männer, die je Präsident der Vereinigten Staaten wurden. Er ist interessanter, weil unvergleichlich fremdartiger und komplizierter, als Kennedy. Wenn man ihm begegnet, wird man eingeschüchtert und aufgeregt. Washington ist wie von ihm besessen, und mit der Ausweitung des Landkrieges in Asien wird es immer mehr besessen. Selbst jetzt weiß noch niemand genau, mit was für einen Menschen man es zu tun hat, aber unter der Angst beginnt sich ein Gefühl herauszuschälen, daß er ein großer Präsident werden mag...“

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