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Zwischen Kennedy und Nixon

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Zwei Bilder von US-Präsidenten wurden unlängst gleichzeitig vom News Management veröffentlicht: ein Photo des fast sechzigjährigen Richard Nixon, der jugendlich optimistisch seiner fast sicheren Wiederwahl entgegensieht; und das seines Amtsvorgängers, des nur um vier Jahre älteren Lyndon B. Johnson. Welcher Kontrast! Über dem Gesicht Nixons liegt noch der Glamour der jetzigen Erfolgsgeneration, während Johnson das Stigma der Out Group trägt: vergreist, erschlaffte Züge, schlohweißes Haar. Genüßlich kommentieren die Hippies in den Redaktionen das Bild des 64jährigen Ex-präsidenten; sie, die längst nicht mehr das überlange Haar tragen, zeigen auf die überlangen Locken, die dem alten Mann in den Nacken fallen. Hat also die Beat Generation doch über den Präsidenten dieser Ära gesiegt?

Johnson wird man vielleicht einmal den US-Präsidenten nennen, der das Land durch die bisher gefährlichsten Hochwässer geleitet hat. Kennedy kosteten diese sechziger Jahre das Leben, Johnson die ganze Kraft eines harten texanischen Ranchers. Während aber Kennedy wie ein Idol in unzähligen Publikationen fortlebt, nimmt es Johnson auf sich, seine meist unbedankte Aufgabe selbst zu exemplifizieren. Die jetzige Autobiographie beweist, daß Männer, die Geschichte machen, und solche, die Geschichte schreiben, meistens verschiedene Typen sind. Der Name Johnson scheint in der Liste der US-Präsidenten zweimal auf. Beide Johnson standen an windigen Ecken, beide wurden hart hergenommen. Lyndon B. Johnson kam 1963 nach der Ermordung Kennedys ebenso unerwartet und unerwünscht an die Spitze, wie Vizepräsident Andrew Johnson 1865 nach dem Attentat auf Lincoln. Beide hatten dieselben Handikaps am Start: das Image des Vorgängers überragte sie; eine nationale Katastrophe, nicht der Volkswille brachte sie an die Spitze; beide waren atypisch für ihre Zeit. Auf dem Cover der deutschsprachigen Ausgabe der jetzigen Johnson-Autobiographie ist von dem „tragischesten und zugleich erfolgreichsten Präsidenten der USA“ die Rede. Mag man darüber streiten. Mehr Zivilcourage hatte keiner. Johnson I hatte vor hundert Jahren „nur“ eine kompakte, machthungrige, aber verfassungswidrig zustande gekommene Senatsrrtehrheit gegen sich und ein Land, dessen öffentliche Meinung die Einpeitscher dieser Mehrheit gegen Johnson aufgeputscht hatten; er setzte dagegen seine Präsidentschaft, seine ganze Karriere und seine persönliche Reputation aufs Spiel. Aber: was war das schon, verglichen mit der Feindseligkeit, die Johnson II überwinden mußte. In der internationalen Politik der Ära nach Kennedy bekam er es auf weiten Strek-ken mit der zusammengefaßten Kritik und Gegnerschaft aus Ost und West zu tun; in der Innenpolitik mit dem Aufruhr von zum Teil bösartigen, rachsüchtigen und militanten Minderheiten, die der von einer schweigsamen Mehrheit gewählten Regierung mit außerparlamentarischen Mitteln und Gewalt ihren Willen aufzwingen wollten.

Während die Kennedy-Saga noch um die Welt ging, mußte Johnson wie Paul VI. die ungeheure Last der Hinterlassenschaft seines populären Vorgängers auf sich nehmen: die Verschärfung des Rassenkampfes, den Aufstand der Intellektuellen, die Fehlentwicklung des Urbanismus, die Armut in der Überflußgesellschaff, die Mängel im Gesundheitswesen, das Überhandnehmen der Kriminalität, die Ernährung der Hungernden in der Dritten Welt (die lieber jene beißen, die ihnen Brot geben, als jene, die ihnen Waffen liefern).

Während zumal wegen des von seinem Vorgänger begonnenen Vietnamkrieges ein unbändiger Haß über die Johnson-Administration hereinbrach, die Sensationslust lieber nach dem Mond sah, den bald ein Mensch betreten sollte, als auf die Probleme vor der Tür zu achten, mußte der Präsident trachten, festen Boden unter die Füße zu bekommen und statt Projekten Taten anbieten: den Kampf gegen die Armut, die Durchsetzung der Bürgerrechte im Alltag, die Reformen in Klassen- und Krankenzimmern, die Verteidigung der Entwicklungshilfe und der bewaffneten Verteidigung der freien Welt gegen aufkommenden Isolationismus, die Förderung eines globalen Regionalismus anstatt der drohenden Bi-polarität der Supermächte, die Bannung eines dritten Weltkrieges nach Ausbruch des dritten israelisch-arabischen Krieges, und vor allem: die Vermeidung jener „bedingungslosen Kapitulation“ der USA in Ostasien, wie diese das Verlangen der öffentlichen Meinung, besser: jener, die sie machen, wurde.

Einmal wird man es Johnson danken, daß er dem Patriotismus de Gaulies nicht nachgab und er nicht Freunde der USA in Asien wegen anderer in Europa preisgab. Oder umgekehrt. Und man soll es Johnson nicht vergessen, daß er am Ende seiner Präsidentschaft scheinbar aufgab, um eine Spaltung der Nation wegen des Vietnamkrieges zu verhindern. Hat aber Johnson nicht in Wirklichkeit, anstatt den Knoten mit dem Schwert zu durchschlagen, die Lösung des Knotens seinem Nachfolger als Chance bereitet?

Der von Kennedy Ende der fünfziger Jahre forcierte Progreß, bald übersteigert in Revolution, hat in den sechziger Jahren zuweilen explosiven Charakter angenommen. Johnson hat mit diesen Gewalten nie paktiert, wie dies in Europa zuweilen geschah. Als Johnson ging, hatte auch die Revolution ihre Durchschlagskraft eingebüßt. Zwischen Revolution und Rollback kam die Situation in eine Balance. Nach Johnson hat das Volk der USA nicht auf das Kennedyidol zurückgegriffen. Es wählte jenen Richard Nixon, der zehn Jahre früher gegen das bezwingende Image des jungen Kennedy keine Chance hatte, der jetzt aber in den siebziger Jahren the greatest Comeback since Lazarus feiert. Nixon steht auf dem Boden, den Johnson unter unsäglichen Mühen und Opfern noch einmal verfestigt hat.

Ich weiß nicht, wie viele die Autobiographie Johnsons lesen werden. Gewiß: die Story aus einem Promille der Fakten der Johnson-Ära liest sich vielleicht besser als die History, die Johnson machte. Das aber ist kein Manko für einen Staatsmann, der seinem Land gedient hat.

Lyndon B. Johnson, MEINE JAHRE IM WEISSEN HAUS. Edition Präger, München 1972, 500 Seiten.

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