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Die Revanche der Journalisten

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Die Watergate-Affäre, die Nixon zu einem einsamen Mann im Weißen Haus gemacht und das Präsidentenamt der Vereinigten Staaten in eine seiner schwersten Krisen seit George Washington gestürzt hat, begann winzig. Wenige Amerikaner interessierten sich ursprünglich dafür, wann ihr Präsident vom geplanten oder schon ausgeführten Einbruch in die Büros der demokratischen Partei in den Watergate-Buildings erfahren und ob er an der Vertuschung des Gaunerstreiches mitgewirkt hatte. Daß Watergate aber zum Kristallisationskern eines Konfliktes wurde, der heute den mächtigsten Machtapparat der Erde lähmt, und in dem Nixons letzter Rest von Reputation auf dem Spiel sowie der gesamte Komplex präsidentieller Machtbefugnis zur Debatte steht, hat überaus vielschichtige Gründe — vor allem aber hat die amerikanische Presse dafür gesorgt.

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Die Watergate-Affäre, die Nixon zu einem einsamen Mann im Weißen Haus gemacht und das Präsidentenamt der Vereinigten Staaten in eine seiner schwersten Krisen seit George Washington gestürzt hat, begann winzig. Wenige Amerikaner interessierten sich ursprünglich dafür, wann ihr Präsident vom geplanten oder schon ausgeführten Einbruch in die Büros der demokratischen Partei in den Watergate-Buildings erfahren und ob er an der Vertuschung des Gaunerstreiches mitgewirkt hatte. Daß Watergate aber zum Kristallisationskern eines Konfliktes wurde, der heute den mächtigsten Machtapparat der Erde lähmt, und in dem Nixons letzter Rest von Reputation auf dem Spiel sowie der gesamte Komplex präsidentieller Machtbefugnis zur Debatte steht, hat überaus vielschichtige Gründe — vor allem aber hat die amerikanische Presse dafür gesorgt.

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Nixon haßt die Journalisten und hatte nie eine gute Presse. Der überempfindliche und nachträgerische Nixon konnte den Journalisten nie verzeihen, daß sie 1952 seine Karriere um ein Haar vernichtet hätten: Nach Presseberichten über Nixons politische Financiers legte damals der republikanische Präsidentschaftskandidat Eisenhower seinem jungen Teamgefährten nahe, sich von der Kandidatur für die Vizepräsidentschaft zurückzuziehen.

Nixon erkannte sehr früh, möglicherweise damals, die Wichtigkeit des Fernsehens als Medium der Zukunft, vor allem aber als Medium, mit dem man die Öffentlichkeit unter Umgehung der Journalisten direkt erreichen kann. 1952 rettete er sich mit Hilfe des Fernsehens: Tränenüberströmt, und mit seinem kleinen Hund Chequers, präsentierte er sich auf dem Bildschirm der

Nation — worauf ihn die eigene Partei nicht gut fallenlassen konnte.

Acht Jahre später verlor er die Entscheidungsschlacht auf dem Bildschirm, weil er den Fehler beging, sich auf eine Diskussion mit John Kennedy einzulassen, der ihm intellektuell, rhetorisch und optisch überlegen war. Da Kennedy mit dem knappsten je registrierten Stim-menvorsprung siegte, ist der entscheidende Einfluß der TV-Diskussion, in der Nixon ziemlich katastrophal abschnitt, evident. Nixon, dessen Machtgier unter den Wortattacken Kennedys deutlich zutage trat, konnte nicht einmal das Mitleidplus des Unterlegenen für sich buchen.

18 Jahre nach dem Schlüsselerlebnis mit der Presse hatte er wieder eine Präsidentschaftschance. Diesmal hatte in Hubert Humphrey er einen Gegner, der auf kaum mehr hinweisen konnte als darauf, daß er Vizepräsident gewesen war — und dies unter einem zerstörten Johnson, dessen innenpolitische Meriten damals durch Vietnam bis zur Un-sichtbarkeit verdunkelt wurden.

Auch 1968 fiel die Entscheidung auf dem Bildschirm, diesmal für Nixon. Nixon hatte, durch die Erfahrung von 1960 gewitzigt, seine Fernsehaktionen mit äußerster Akribie, einem Stab erstklassiger Fachleute, vor allem aber gewaltigem finanziellem Einsatz geplant — das Wahlergebnis war zwar nicht so knapp wie im Wahlgang gegen Kennedy, aber doch mit 31,7 zu 31,2 Millionen Stimmen äußerst knapp. Wäre es nach der Presse gegangen, hätte Humphrey gewonnen, und wenn Humphreys „Campaign“ so reich dotiert worden wäre wie die Nixons, hätte er ebenfalls gewonnen.

Nixons Voreingenommenheit gegenüber der Presse und Nixons Erfahrungen mit Presse und Fernsehen in zwei Wahlkämpfen ließen Nixon theoretisch richtige Schlußfolgerungen auf praktisch falsche Weise, nämlich mit Nixonscher Verbissenheit und Konsequenz ziehen. Nach seinem Machtantritt ließ er die Presse fühlen, was er von ihr hielt, und er hat von Jahr zu Jahr stärker die Presse brüskiert, in ihren Freiheiten eingeengt und bei seiner Öffentlichkeitsarbeit das Fernsehen bevorzugt. Watergate in seinen heutigen Dimensionen ist nicht zuletzt das Resultat der Pressepolitik eines Präsidenten, der meinte, die Presse nicht mehr zu brauchen, und die Macht der Presse als demokratisches Kontrollorgan und moralische Instanz völlig vergaß oder zu gering einschätzte.

Watergate, Nixons publizistisches Waterloo, wurde zum vergleichsweise nichtigen Anlaß eines längst fälligen Konfliktes. Nixons entscheidendstes Handikap waren die zweifelhaften Berater und Handlanger, mit denen er sich umgab — kein US-Präsident der letzten Jahrzente hatte eine so zwielichtige Umgebung. Daß sich der Konflikt mit der Presse ausgerechnet an Watergate entzündete, war ein Zufall und doch kein Zufall: es gab mehrere potentielle „Watergates“, doch erst der stümperhafte Einbruch in das demokratische Büro hatte jene offen zutage liegende kriminelle Dimension, die es den hartnäckigen Reportern von der „Washington Post“ ermöglichte, ihre Recherchen immer weiter voranzutreiben. Was bei der journalistischen Kriminalarbeit sonst als Ziel ans Licht befördert werden sollte, war hier der Ausgangspunkt.

Aber die Wurzeln der Affäre reichen sehr viel tiefer. Lange vor Watergate hatten amerikanische Journalisten versucht, der Nixon-Administration (damals noch nicht dem Präsidenten selbst) geschäftliche und politische Verflechtungen mit dem Multi-Konzem ITT nachzuweisen und beinahe, aber leider eben nur beinahe beweisen können, daß das Weiße Haus das sonst so allmächtige amerikanische Kartellgericht veranlaßt hatte, ein Entflechtungsurteil, das den Riesenkonzern hart getroffen hätte (Befehl, die neu erworbene Versicherungsgesellschaft Hartford Fire wieder abzustoßen), rückgängig zu machen. Man würde den amerikanischen Journalisten ein Unrecht antun, würde man behaupten, daß sie in beiden Fällen nur das Wehe des , Präsidenten im~Auge hatten &#171; Tau-, sen&S^'krilörftahtBehe'' 'Journalisten wÜTdentTeayiißeft<Jrdlfc'hen Rechtsbeugung nachgehen, ob sie nun mit der jeweiligen Administration sympathisieren oder nicht. Die amerikanische Presse konnte sich viel mehr Integrität bewahren als das Pressewesen vieler anderer Länder — aber im Fall ITT, und ebenso im Fall Watergate, ging es außerdem um mehr. Denn hinter dem jeweiligen Korruptions- oder Kriminalfall stand Nixon in der Ziellinie — Nixon, der Pressefeind, der Mann, der es durchaus nicht damit bewenden ließ, Journalisten abzuweisen und die einst üblichen regelmäßigen Pressekonferenzen im Weißen Haus teils abzuschaffen, teils zu seinem Sprachrohr umzufunktionieren.

Die Pressefreiheit ist eines der großen amerikanischen Tabus, aber dieses Tabu wurde von Nixon nicht respektiert. Äußerungen seines Vize Agnew, der den verhaßten „Eierköpfen“, sprich Intellektuellen in den Verlagsgebäuden, eine schärfere Gangart bei der Lizenzierung von Fernseh- und Rundfunksendern androhte, erwiesen sich keineswegs nur als leere Drohungen. Nun sind aber zahlreiche amerikanische Lokalzeitungen von den Einnahmen der Rundfunk- und Fernsehsender abhängig, die sich in der Hand ihrer Herausgeber befinden.

Nixons Maßnahmen wurden aber auch für Reporter der vordersten Linie fühlbar, deren Informationsmöglichkeiten mit der Diskretion, die sie ihren Kontaktpersonen zusichern, steht und fällt.

Nicht nur amerikanische Journalisten werfen Nixon vor, die Rechtsprechung der USA weit über den Ablauf seiner zweiten und letzten Amtsperiode hinaus zu beeinflussen, und zwar durch entsprechende Auswahl der von ihm zu bestellenden Oberrichter. Es gibt keine juristische Kontroverse von Gewicht, die nicht eines Tages vom Obersten Bundesgericht zu klären wäre. Die Mitglieder dieses Gerichtes werden vom Präsidenten auf Lebenszeit ernannt.

Keiner von Nixons Vorgängern hat die Ernennung der Bundesrichter so unverfroren zu einem Werkzeug seiner Politik gemacht wie Nixon — sein Parteifreund und Vorgänger Eisenhower bestellte in bester demokratischer Manier auch den der demokratischen Partei nahestehenden Oberrichter Brennan, dem heute erhebliches Gewicht zukommt. Nixon hat die Zusammensetzung des Obersten Bundesgerichtshofes bereits jetzt tiefgreifend umgestaltet und auf diese Weise einen nacnnamgen lannuu aui aie amen kanisehe Rechtsprechung ausgeübl indem er ausschließlich starre extrem konservative Republikane ernannte, und es besteht die Mög lichkeit, daß während seiner laufen den Amtsperiode sowohl die drei noch amtierenden liberalen als auch die beiden „Swing“-Richter, die fallweise mit den Konservativen oder mit den Liberalen stimmen, zu ersetzen sein werden. Das könnte dann eine Rechtsprechung im Nixonschen Sinn bis ins Jahr 2000 bedeuten.

Ganz im Sinne Nixons, aber äußerst umstritten, war schon die Entscheidung des Obersten Bundesgerichtes, Journalisten hätten weit über das, was sie geschrieben haben, hinaus, ihre Notizbücher zu öffnen und den Geschworenengerichten die Urheber vertraulicher Auskünfte zu nennen. Das Exempel wurde an einem Reporter statuiert, hinter dem keine Zeitung mehr stand, weil sie in der Zwischenzeit eingestellt worden war, aber es wurde von der amerikanischen Pressewelt mit Bestürzung zur Kenntnis genommen. Dies um so mehr, als die US-Presse ihr Heil, seit sie es an Nachrichtenschnelligkeit längst nicht mehr mit den elektronischen Medien aufnehmen kann, in ihrer moralischen und politischen Funktion, und das heißt nicht zuletzt im Aufdecken von Skandalen, erblickt.

Ereignisse wie die Veröffentlichung der Pentagon-Papiere oder der Watergate-Skandal haben daher nicht nur eine politische und moralische, sondern auch eine wirtschaftliche Dimension — sie sind, auch, Mittel im Überlebenskampf der Presse, und eine Gelegenheit, sogar Fernsehen und Rundfunk in den Dienst ihres Uberlebenskampfes zu stellen, denn selbstverständlich werden Journalisten wie die Water-&#187;ate-Reporter der „Washington-Post“ auch vom Fernsehen interviewt, wird der Name ihrer Zeitung licht nur in den anderen Zeitungen, sondern auch im Fernsehen immer wieder genannt. Watergate war licht zuletzt eine Blöße, die sich der

Präsident in seinem Kampf gegen die Presse gab und die diese, fast schon mit dem Rücken an der Wand stehend, nutzen mußte.

Aber Watergate hätte niemals solche Dimensionen annehmen können, wenn nicht in dieser Affäre ein tatsächlich erschreckender Mangel an moralischen und politischen Hemmungen an der Spitze der USA sichtbar geworden wäre. Was heute das denkende Amerika zutiefst erschreckt, sind die Möglichkeiten des Machtmißbrauchs, die Nixon den

Amejgkanejn, so drasjjjgejj, vor Augen geführtAaW— hieltst fwirklieh eine

Fassade zusammengebrochen. Die Gewaltentrennung wird zur Farce, wenn ein Präsident nicht zögert, von seinem Recht auf die Ernennung der Oberrichter in seinem Sinne Gebrauch zu machen, und wenn während seiner Amtszeit genügend Richter sterben. Die Pressefreiheit wird zur Unterhaltungsfreiheit, wenn ein Präsident allen, die ihm unterstehen, ein Schweigegebot auferlegt. Die Fundierung der in der Hand des Präsidenten vereinigten, außerordentlichen Machtbefugnisse, die von Krieg zu Krieg vermehrt wurden, in den wohlbegründeten Interessen der Nation entpuppt sich als Fiktion, wenn ein Präsident seine Befugnisse dazu nützt, Unlauterkeiten zu versohleiern.

Heute ist es soweit, daß ein großer Teil der Amerikaner Nixon fast alles zutraut, auch eine Verfälschung und Ummontage der Tonbänder, deren Herausgabe er vorläufig verweigert. Es ist nicht unmöglich, daß er am Ende der Sackgasse, als Höhepunkt seiner Flucht nach vorne, das Recht des Präsidenten, alles das zu tun, was man ihm zutraut, verteidigen wird.

Die Mehrheit der Amerikaner könnte es ihm, Watergates müde, mit dem Stoßseufzer „Na endlich!“ sogar abnehmen — wissend, daß sie ihn bis 1976 ohnehin nicht loswerden. Denn unter Anklage wird man ihn bestimmt nicht stellen — schon deshalb nicht, weil bei einer Amtsenthebung automatisch sein Stellvertreter Agnew Nachfolger werden würde und weil sich das folgende Verfahren zweifellos so lange hinzöge, daß Agnew in der Zwischenzeit noch den einen oder anderen weiteren neuen Obersten Sundesrichter zu ernennen hätte.

Womit das Verfahren gegen Nixon endgültig dazu verdammt wäre, mit staem Fiasko der Anklage zu enden — in Fällen solcher Größenordnung war Recht noch nie etwas anderes Iis eine Machtfrage.

Ganz abgesehen davon, daß \merika, wenn es ihn mit Agnew vergleicht, Nixon ganz bestimmt als las kleinere Übel zu akzeptieren be-&#9632;eit ist.

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