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Carter verlor seine erste Schlacht mit dem Kongreß

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Präsident Carter hat seine Regierungstätigkeit mit einer Vietnam-Amnestie eingeleitet, wie er es während der Wahlkampagne versprochen hatte. Der Erfolg dieser der inneren Heilung geltenden Maßnahme besteht allerdings darin, daß sie fast niemandem gefällt und daß sie die Schwierigkeiten erkennen läßt, denen der neue Präsident in Hinkunft ausgesetzt sein wird. Carter versuchte auf die für ihn typische Art, beide Lager zu versöhnen. Das war den einen zu viel, den anderen zu wenig und hat, zumindest im Augenblick, sein Ziel verfehlt. Die Amnestie betrifft im wesentlichen junge Männer, die den Militärdienst verweigerten - etwa 10.000 Amerikaner, die nun schon seit Jahren in Kanada oder Schweden leben und zum Teil bereits Bürger der Asylländer geworden sind. Sie schließt jedoch etwa 100.000 Deserteure aus. Wer also eine volle Amnestie erwartet hat, ist bitter enttäuscht und behauptet, es seien „wieder nur” Mitglieder der weißen Mittelklasse begünstigt worden, Intellektuelle und Söhne reicher Eltern, während Zehntausende von Schwarzen, die der Armee davonliefen oder solche, die strafweise entlassen wurden, von dem Gnadenakt ausgeschlossen sind oder einen mühsamen bürokratischen Rehabilitierungsweg über die Militäradministration einschlagen müssen.

Das linke („liberale”) Lager ist also enttäuscht und gerade seine Opposition sollte ja entschärft werden. Daß die Reaktion des „bürgerlichen” Lagers um nichts weniger freundlich sein würde, war zu erwarten. „Wie kommen Millionen anständiger Staatsbürger dazu, die zwar auch nicht mit Begeisterung kämpften, die aber ihrer staatsbürgerlichen Pflicht nachgekommen sind? Die Eltern und Witwen der Gefallenen und jene, die als Krüppel weiterleben!”

Es ist klar, daß man es in dieser Frage niemandem rechtmachen kann; es ist auch richtig, daß man das Problem aus der Welt schaffen muß, will man das Kapitel Vietnam endlich ad acta legen. Präsident Ford hatte noch in den letzten Wochen seiner Regierung mit dem Gedanken gespielt, seinen Abgang durch eine erweiterte Amnestie zu krönen. Unter seinem Regime wurden einige tausend Wehrdienstverweigerer rehabilitiert, nachdem sie zivile Dienste für die Offene lichkeit geleistet hatten. Zuletzt ließ Ford dann aber doch das heiße Eisen liegen und stellte es Carter anheim, sich daran die Finger zu verbrennen.

Präsident Carter hätte sich wahrscheinlich leichter getan, wäre er während der Wahlkampagne leiser aufgetreten. Weil er aber mit allen seinen Versprechungen bombastisch und dramatisch in die politische Arena gegangen ist, begegnet er jetzt den größten Schwierigkeiten bei der Realisierung seiner Zusagen. Es mag verfrüht sein, aus dem Amnestieerlaß Schlüsse auf die weitere Amtsführung Carters zu ziehen. Aber die Scheu vor echten Entscheidungen, das Bestreben, es möglichst vielen recht zu tun, führt zur Verstimmung vieler. Das gleiche Echo, das Carter heute, nach der Vietnamamnestie, entgegenschlägt, löst auch sein Plan, die Wirtschaft zu stimulieren aus. Den einen stimuliert er zu viel, den anderen zu wenig und jeder schimpft.

Am krassesten zeigte sich jedoch Carters politischer Charakter bei der gescheiterten Ratifizierung der Ernennung Ted Sorensens zum Direktor der CIA. Es bleibt einer späteren Analyse überlassen, darzutun, warum diese Nominierung im Senat scheitern mußte. Daß Carter aber nicht einmal einen ernsten Versuch unternommen hat, für seinen Kandidaten zu kämpfen, könnte für sein weiteres Verhältnis zum Kongreß schwerwiegende Folgen zeitigen. Am Abend vor den Hearings erklärte Carter noch etwas lendenlahm, er stehe hinter Sorensen, weil er ihn für besonders geeignet halte. Zwölf Stunden spätertrat Sorensen aus eigenen Stücken zurück und zeigte damit deutlich an, daß er vom Präsidenten eine stärkere Unterstützung erwartet hätte.

Daß Sorensens Nominierung im Kongreß Schwierigkeiten begegnen werde, war von Anfang an klar. Zunächst einmal entspricht Ted Sorensen mit keiner Faser seines Wesens den Vorstellungen, die man sich von einem Direktor des Geheimdienstes macht. Ein brillanter Intellekt, ein ausgezeichneter Formulierer, der die meisten erfolgreichen Slogans Präsident Kennedys erfunden hat, ist er zugleich ein labiler Charakter, der als Dienstverweigerer im Koreakrieg mit seiner eigenen Einstellung zum Staat und zur Demokratie nicht recht fertig wurde.

Welch ein Gegensatz zu einem Allan Dulles, dem berühmten CIA-Direktor während des Zweiten Weltkriegs, einer völlig gefestigten, profilierten Persönlichkeit! Gefestigt in seiner Weltanschauung, ein eminent praktischer Improvisator, der zugleich mißtrauisch analysieren und dennoch echte Loyalitäten gegenüber Freunden und Alliierten entwickeln konnte.

Im Bereich des CIA wurde Sorensens Nominierung nahezu als Katastrophe empfunden. Als sich dann herausstellte, daß Sorensen Geheimdokumente aus seiner Dienstzeit im Weißen Haus nach Hause mitgenommen hatte, um sie in seinen Memoiren zu verarbeiten, daß er dann diese Dokumente, wie weiland Richard Nixon, gegen einen fetten Steuerabzug an das Staatsarchiv „verschenkt” und Daniel Ellsberg vor den Gerichten mit dieser seiner Handlungsweise legitimiert hatte, wandten sich auch die meisten Senatoren der Demokratischen Partei gegen ihn.

Warum aber hatte Carter einen derartig exponierten Mann für dieses schwierige und delikate Amt ausersehen? Weil er wieder einmal alle Lager befriedigen wollte. Die Wirtschaftsressorts waren an relativ konservative Fachleute vergeben worden, also mußte dem „liberalen” Kennedylager auch etwas geboten werden. Sorensen ist nämlich ein Intimus des politisch längst überrollten Senators Ted Kennedy und überdies hatte das „liberale” Lager seit Watergate ja verlangt, daß der CIA von einer „zivilen” Persönlichkeit geführt werde. Ted Sorensen schien nun der geeignete „zivile” Typ zu sein, um den CIA zu entschärfen.

Sehr aufschlußreich wird es sein, wen Carter nun nach diesem Rohrkrepierer nominieren wird. Wird er wieder ins andere Extrem verfallen und einen dem Militär nahestehenden Kandidaten präsentieren, oder bleibt es beim „zivilen Kontrollor”?

Jedenfalls hat Carter seine erste Schlacht mit dem Kongreß verloren und das ist deshalb so fatal, weil man gerade von ihm erwartet hatte, er werde den an die Legislative verlorenen Lebensraum wieder für die Exekutive, somit für das Weiße Haus, zurückgewinnen können. Daß er seine Schlappe kampflos hinnahm, wird ihm wieder einmal sowohl von rechts wie von links übelgenommen.

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