6846957-1976_26_06.jpg
Digital In Arbeit

Charisma contra Washington

19451960198020002020

Es bleibt bei Ford gegen Carter im November. Den Parteikongressen der Demokraten im Juli und der Republikaner im August wird es überlassen sein, dieses Ergebnis zu sanktionieren und die beiden Vizepräsidentschaftskandidaten zu bestimmen, die in Wirklichkeit von den Kandidaten selbst ausgewählt werden.

19451960198020002020

Es bleibt bei Ford gegen Carter im November. Den Parteikongressen der Demokraten im Juli und der Republikaner im August wird es überlassen sein, dieses Ergebnis zu sanktionieren und die beiden Vizepräsidentschaftskandidaten zu bestimmen, die in Wirklichkeit von den Kandidaten selbst ausgewählt werden.

Werbung
Werbung
Werbung

Die letzten Vorwahlen konnten an dem bereits klaren Trend nichts mehr ändern. Da in den Staaten Kalifornien, Ohio und New Jersey ein großer und auch regional typischer Teil des Elektorats wählte, sind die Erfolge Carters in Ohio und jene Fords in Ohio und New Jersey von Gewicht.

Obwohl also Ford und Carter die Favoriten ihrer Parteien sind, werden beide jedoch zunächst nicht die notwendige absolute Mehrheit von Stimmen haben, die erforderlich ist, um nominiert zu werden.

Carter könnte jedoch die Nominierung leichter erreichen. Ihm fehlen zur Mehrheit nur 300 Stimmen und seine abgeschlagenen Gegner liegen weit zurück. Nach acht Jahren wollen die Demokraten wieder zurück ins Weiße Haus, und Carter bietet hiefür laut Meinungsbefragung die besten Aussichten. Es wird daher wohl bereits in den nächsten Tagen ein Zug von Ämter und Einfluß suchenden Politikern und Delegierten zu Carter pilgern und seine Dienste anbieten. Schon haben so gewichtige Demokraten wie der Bürgermeister von Chiikago, Daley, und der Präsident des Gewerkschaftsbundes, Meany, ihr Wohlwollen gegenüber einer Carter-Kandidatur ausgedrückt. Man kann daher mit einiger

Sicherheit damit rechnen, daß schon vor Carter der Kongreß in New York, Ende Juli, so viele Delegierte hinter sich vergattert haben wird, daß er im ersten Abstimmungsgang nominiert werden kann. Es ist undenkbar, daß eine Partei bereit ist, Selbstmord zu begehen, indem sie in letzter Minute einem Kandidaten die Nominierung verweigert, dem das Parteienwahl-volk in seiner überwiegenden Mehrheit die Stimme gegeben hat.

Ford wird es dagegen etwas schwerer haben. Sein Abstand zu Reagan ist rejativ gering und die zahlenmäßig kleine Republikanische Partei ist zwischen dem rechten Reaganflügel und dem Bereich vom Zentrum bis etwas links davon, also rund um Ford, gespalten. Wenn aber überhaupt jemand Chancen hat, im November gegen Carter zu bestehen, so ist es Ford. Seine ideologische Basis liegt in der Nähe jener, die Carter vertritt, so daß hier ein echtes Ringen um die Stimmen der Mitte zu erwarten ist, wo denn auch die Mehrheit der Bevölkerung ihren politischen Standort hat.

Ob zu Recht oder Unrecht — Reagan gilt als der Champion des rechten Flügels und seine Kandidatur würde zweifellos mit einer ähnlich vernichtenden Niederlage enden wie jene Goldwaters gegen Johnson im Jahre 1964.

Heute bereits Prognosen über den Ausgang der Hauptwahl im November aufzustellen, wäre vermessen. Würde die Wahl jedoch heute abge-gehalten werden, so würde Carter, laut Gallup- und Harris-Umfrage mit Abstand gewinnen. Die Gründe, die bereits heute für eine höhere Popularität Carters sprechen, werden aber auch im November bestehen und eine wesentliche Rolle spielen.

Carter ist der Repräsentant der größeren der beiden politischen Parteien Amerikas. Würde Amerika „österreichisch“ wählen, das heißt: nach Parteizugehörigkeit oder Affinität, so wären alle Bewohner des Weißen Hauses seit geraumer Zeit Demokraten gewesen. Daß auch Republikaner gewählt wurden, hat seine Ursache in der heterogenen Struktur der amerikanischen Parteien. So wird ein konservativer Demokrat lieber einen konservativen republikanischen Kandidaten wählen als einen linksradikalen Vertreter seiner eigenen Parteii

Heuer dürfte das jedoch anders werden. Es ist eines der Merkmale Carters, daß er eine ausgedehnte Koalition im politischen Spektrum von rechts bis weit über das Zentrum hinaus nach links zusammenzubringen vermochte.

Zu seinen Wählern zählen ebenso Weiße aus dem Mittelstand wie Neger aus den Slums der Großstädte. Seit Roosevelt hatte niemand einen so breiten Anhang. Die Demokratische Partei steht geschlossen wie selten in der Geschichte hinter Carter, sieht man vom zahlenmäßig kleinen linksintellektuellen Flügel ab. Das allein kann einen Sieg im November bedeuten.

Mehr als parteigebundene Wähler spricht Carter auch die Randschieh-ten an. Seit Kennedy hatte niemand mehr politisches Charisma, und Carters „stilles Leuchten“ verfehlt im Land der falschen Töne und Effekte seine Wirkung nicht.

Ford dagegen ist das Symbol all dessen, was in der Hauptstadt „danebengeht“. Obwohl der Widerwillen gegen Washington mindestens so stark aus den Skändalgeschichten verschiedener Abgeordneter gespeist wird, wie aus der Ablehnung der vielköpfigen Administrations-Hydra, ist das Weiße Haus für jedermann doch die sichtbare Verkörperung der politischen Verwaltung des Landes.

Für Ford spricht seine bisher gewonnene Erfahrung.

Friede und wirtschaftliche Erholung sind weitere Faktoren, die Ford im Wahlkampf herausstellen kann. Aber all das würde gegen einen Vertreter der traditionellen Politik — wie etwa Humphrey — ziehen, an Carters Prestige wird es abgleiten. Carter ist ein unbeschriebenes Blatt, gegen ihn spricht lediglich der Mangel an Erfahrung. Aber in einem Klima des Anti-Establishments ist sogar das ein Vorteil.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung