6906574-1980_46_03.jpg
Digital In Arbeit

Sehnsucht nach einem Neubeginn

Werbung
Werbung
Werbung

Man stelle sich einmal vor, daß der französische Staatspräsident Giscard d'Estaing in einer Rede am Vorabend der Präsidentenwahl am laufenden Band Ives Montand zitiert; oder daß Bruno Kreisky in einem Wahlkampf sich ständig auf den „großen alten Österreicher Hans Moser” beruft, um das Nationalgefühl der Wählerschaft aufzuputschen. Bis es soweit kommt, wird wohl noch viel Wasser die Seine und die Donau hinunterfließen müssen.

Am Potomac-Fluß in Washington ist das anders. Da taucht der republikanische Präsidentschaftskandidat Ronald Reagan am Abend vor dem Wahltag in einer von seiner Partei bezahlten Belangsendung auf sämtlichen Bildschirmen auf, hält eine fulminante Wahlrede, in der es von patriotischen amerikanischen Helden nur so wimmelt, angefangen von John Wayne, Vietnam-Kämpfern bis zu den drei bei einem Unfall ums Leben gekommenen US-Astronauten.

Fürs europäische Ohr war das ein bisserl gar viel Schmalz, für Amerikaner ist es. wohl ein Zeichen von Pathos und Patriotismus, sonst hieße der neue Präsident der Vereinigten Staaten kaum Ronald Reagan.

„Let's make America great again!” („Machen wir Amerika wieder groß!”) hat Reagan seinen Landsleuten im Wahlkampf versprochen. Er hat damit anscheinend einer Vielzahl US-Bürgern aus dem Herzen gesprochen, die sich mit diesem patriotischen Wunsch identifizieren und sich deshalb in Scharen Reagan angeschlossen haben.

Es war zum großen Teil auch diese Sehnsucht nach einem Neubeginn, das Verlangen nach einem wiederhergestellten amerikanischen Selbstbewußtsein einerseits, und andererseits die Enttäuschung über eine labile Führerschaft, das Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins gegenüber dem Antiamerikanismus in aller Welt, die Jimmy Carter und seine Administration aus dem Weißen Haus hinwegschwemmten.

Die Iran-Krise, die sowjetische Invasion in Afghanistan, die zunehmend widerspenstiger werdenden Alliierten -all das hat die Amerikaner tatsächlich tief gekränkt. Und die Mehrheit von ihnen meinte wohl auch, daß Jimmy Carter diese Misere wesentlich mitverschuldet hat.

Hinter der Entscheidung vom 4. November steckten also gewiß viele Emotionen. Trotzdem verliefen diese für die Zukunft der Vereinigten Staaten (und der ganzen Welt) so entscheidenden Tage in Washington nüchtern.

Emotionell war die Stimmung höchstens am Wahltag-Abend im Hilton-und Sheraton-Hotel, wo Republikaner beziehungsweise Demokraten ihre Quartiere für Wahl-Parties aufgeschlagen hatten.

Im Sheraton sah man Carter-Wahlhelfer mit Tränen in den Augen, andere versuchten, die Enttäuschung über die Niederlage ihres Kandidaten mit zur Schau gestelltem Galgenhumor zu übertünchen. Und dann muß im Parteiapparat rund um Jimmy Carter eine geradezu selbstmörderische Torschlußpanik geherrscht haben.

Anders ist es nicht zu erklären, daß Jimmy Carter zwei Stunden, bevor in den westlichen Bundesstaaten die Wahllokale schlössen, im Sheraton in einer bewegten Rede seine Niederlage eingestand. - Ein katastrophaler Fehler, der etlichen seiner Parteifreunde an der Westküste, die sich um nationale und kommunale Ämter beworben hatten, den Sieg gekostet haben dürfte, weil demokratische Wahlgänger angesichts der zu früh besiegelten Niederlage nicht mehr zu den Urnen gingen.

Hingegen strahlten republikanische Mandatare und Wahlhelfer im Hilton Selbstbewußtsein und Aufbruchstimmung aus. Sie ließen sich in ihrem Siegestaumel durch nichts beirren - auch nicht durch den sarkastischen Kommentar eines holländischen Kollegen, der einer dicht vor der Eingangstür zum Ballsaal gedrängten Gruppe von republikanischen Parteigängern prophezeite, genauso „narrow” (eng, beschränkt) werde es in Hinkunft auch um die amerikanische Politik bestellt sein.

„Das kann uns nur recht sein”, konterten sie, „wenn wir dadurch wieder zu uns selbst finden . . .”

Auf Reagans Aufputschmittel im Wahlkampf, den Patriotismus, haben jedenfalls die Mehrheit der amerikanischen Wähler angesprochen. Ob es aber auch auf Dauer eine gute „Medizin” für die krisenerschütterte Nation ist?

Man kann es für die Zukunft der USA nur hoffen. Ein gewisses Bangen aber bleibt . . .

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung