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Am 43. Tag der Geiselnahme

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Die Zeitzählung erfolgt immer noch nach Tagen der Festhaltung von 50 amerikanischen Geiseln in Teheran. Trotzdem beginnt man ein gewisses Nachlassen des Interesses an der Irankrise zu empfinden. Die Schlagzeilen der Boulevardblätter behandeln den Streik der Long Island Railroad, die Irankrise ist nur mehr „Seite 2“. Wohl betrifft dieser Streik hunderttausende Pendler, die jetzt Schwierigkeiten haben, ihren Arbeitsplatz in New York zu erreichen. Dennoch: Der amerikanische Alltag erhebt wieder Anspruch auf Priorität.

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Die Zeitzählung erfolgt immer noch nach Tagen der Festhaltung von 50 amerikanischen Geiseln in Teheran. Trotzdem beginnt man ein gewisses Nachlassen des Interesses an der Irankrise zu empfinden. Die Schlagzeilen der Boulevardblätter behandeln den Streik der Long Island Railroad, die Irankrise ist nur mehr „Seite 2“. Wohl betrifft dieser Streik hunderttausende Pendler, die jetzt Schwierigkeiten haben, ihren Arbeitsplatz in New York zu erreichen. Dennoch: Der amerikanische Alltag erhebt wieder Anspruch auf Priorität.

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Es ist auch klar, daß sich die Welle der Empörung nach der Geiselnahme allmählich glätten würde. Zu ungewöhnlich waren die Reaktionen. Auf den Colleges, dort wo noch vor sechs Jahren leidenschaftliche Proteste gegen die Kriegsbeteiligung in Vietnam den Betrieb praktisch stillegten, erheben sich Rufe für eine militärische Vergeltung.

„Bombt Teheran zu einem Parkplatz “ war die neue Parole. Selbst Adolf Hitler, der „Antichrist“, wurde gegenüber Ayatollah Chomeini als nahezu zivilisierte Erscheinung gepriesen. Freiwillige strömten zum Militär und die oft belächelte, manchmal beschmutzte amerikanische Flagge weht über den Universitäten, öffentlichen Gebäuden und vielen Wohnhäusern.

Mittags läuten Kirchenglocken für die Geiseln, und Autofahrer drehen boten. Manche Berater hatten eine dramatische Befreiungsintervention empfohlen, weil schließlich nicht nur die Geiseln, sondern auch Amerikas Prestige auf dem Spiel stand.

So konzentriert sich nun die politische Strategie Carters auf das Zu- standebringen einer internationalen Ablehnungsfront gegenüber dem Iran, die er bis zu einer Wirtschaftsblockade ausbauen möchte. Solche Blockaden haben meist freilich wenig Wirkung.

Jedoch scheint der diplomatische Kurs an Stelle eines militärischen auch noch aus einem anderen Grund richtig. Militärische Interventionen könnten den Mittelosten zur Explosion bringen, gemäßigte Staaten wie Saudi-Arabien und damit die Ölzufuhr bedrohen und zuletzt einen dritten Weltkrieg durchaus in greifbare Nähe bringen. Eingeweihte Kreise beurteilten daher auch die Besetzung der Moschee in Mekka oder die Brandstiftung in den US-Botschaf- ten Pakistans und Libyens als noch, ernster als die Geiselnahme.

Was folgt nun auf Iran? Nehmen wir an, daß die Geiseln nach einer UNO-Formel, die eine Verurteilung des Regimes des Schah beinhaltet, freigesetzt werden. Innenpolitisch würde dann Präsident Carter wesentlich gestärkt in den Wahlkampf ziehen. Das Stigma, nicht führen zu können, dürfte überwunden sein, die Demokratische Partei wird ihrem in Krisenzeiten bewährten Präsidenten die Nominierung kaum vorenthalten können, zumal Ted Kennedy von Fehler zu Fehler stolpert.

Die Republikaner werden sich auf die Vorgeschichte der Krise einschießen und das, was man den militärischen Schwächezustand des Landes nennt. Die von Henry Kissinger aufgeworfene Frage - warum wird niemals eine sowjetische Bot-

schäft angegriffen? - gibt heute manchem zu denken. Daher sind auch momentan die Aussichten auf eine Ratifizierung von SALT II höchst akademisch. Die Behandlung der Materie wurde auf 1980 verschoben. Niemand sieht im Augenblick eine Zweidrittelmehrheit.

Dagegen wird Aufrüstung großgeschrieben. Die Bildung großer Luftlandeeinheiten wird offen diskutiert. Sparen ist zwar noch immer populär, aber nicht bei Waffen. Wahrscheinlich wird Iran dazu wesentlich beitragen, daß die Energiekrise durch verstärkten Ausbau autarker Energiequellen gelindert wird. Schon haben E-Werke von öl auf Kohle umgestellt, nachdem man die strengen Umweltschutzverordnungen modifiziert hat.

Lange, nachdem der Alltag wieder angebrochen sein wird, sollte das Trauma von Teheran noch für einige Zeit die aus dem Vietnam-Erlebnis gezogenen Konsequenzen korrigieren können: Daß Schwäche immer bestraft wird, auch dann, wenn sie wie nach Vietnam, selbst auferlegt ist, und daß das nationale Interesse häufig mit der Verteidigung der Menschenrechte in anderen Teilen der Welt in Konflikt gerät.

ihre Scheinwerfer zu bestimmten Stunden des Tages an. Bemerkenswert sind auch Umfrageergebnisse, die einen militärischen Eingriff auch dann befürworten, wenn Geiseln geopfert werden müßten. (Allerdings gibt es auch gegenteilige Erhebungen.)

Anderseits darf nicht übersehen werden, daß, abgesehen von kleinen Zwischenfällen zu Beginn der Krise, iranische Studenten nicht insultiert wurden, obgleich mehr als 100.000 von ihnen in den USA studieren und viele mit dem heutigen Regime in Teheran sympathisieren. Es wird sogar eine Heiratswelle mit Iranern vermeldet, um manchem die drohende Deportation zu ersparen. .

Innenpolitisch war die Irankrise für Präsident Carter ein Segen. Er, dem man jegliche Führungsqualität abzusprechen geneigt war, konnte sich nun beweisen. Noch zu Beginn der Krise gab es Plakate wie „Behaltet den Schah, sendet Carter nach Teheran!“. Heute berichten die Meinungsbefrager von einem dramatischen Comeback des Präsidenten.

Zunächst hat er jegliche öffentliche Diskussion über das Management, aber auch die Ursachen der Krise unterbunden. Seine Erwartung, das Volk würde sich in einer Krise hinter den gewählten Repräsentanten scharen, hat sich erfüllt. Als sein politischer Erzrivale, Senator Edward Kennedy - frustriert über das oktroyierte Schweigen -, eine Diskussion über den Schah und dessen „Regime der Unterdrückung“ anzetteln .wollte, wurde er von der Presse und der öffentlichen Meinung von links bis rechts zurückgepfiffen.

Carter hat auch den Anschein erweckt, daß er, wenn notwendig, vor militärischer Intervention nicht zurückschrecken würde. Angedeutet wurde die Drohung durch das Auffahren eines großen Flottenverban- des im Roten Meer. Da er jedoch vom Beginn an die Befreiung der Geiseln nach der Formel „Bring' sie lebend“ als seine Priorität erklärt hatte, war die militärische Drohung nicht ganz glaubwürdig. Jedenfalls hat er sich durch diese Politik den Weg ins Abenteuer ä la Entebbe verbaut. Die Israelis hatten Absprungbasen ange

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