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Poker um die Macht am Golf

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„Mache keine Fehler, wenn duzwischen den Menschen deiner Heimat, für die du berechenbar und mit denen du gerecht sein und deren Eigentum du garantieren mußt, sowie deinen Feinden jenseits der Grenze unterscheidest. Mit ihnen sei unberechenbar, rücksichtslos und brutal, aber benütze Drohungen anstelle von Krieg, und vermeide langwierige militärische Feldzüge weit weg von zu Hause." Das ist eine Lektion, die der babylonische Herrscher Hammurabi etwa um 1700 vor Christus in seinem berühmten „Codex" für die Nachwelt festhalten ließ. Iraks Staatschef Saddam Hussein hat sich in der Auseinandersetzung seines Landes mit dem Iran der Mullahs lange Zeit an diesen Ratschlag Hammurabis gehalten. Vorige Woche aber ließ er seine Truppen auf iranisches Gebiet losmarschieren

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„Mache keine Fehler, wenn duzwischen den Menschen deiner Heimat, für die du berechenbar und mit denen du gerecht sein und deren Eigentum du garantieren mußt, sowie deinen Feinden jenseits der Grenze unterscheidest. Mit ihnen sei unberechenbar, rücksichtslos und brutal, aber benütze Drohungen anstelle von Krieg, und vermeide langwierige militärische Feldzüge weit weg von zu Hause." Das ist eine Lektion, die der babylonische Herrscher Hammurabi etwa um 1700 vor Christus in seinem berühmten „Codex" für die Nachwelt festhalten ließ. Iraks Staatschef Saddam Hussein hat sich in der Auseinandersetzung seines Landes mit dem Iran der Mullahs lange Zeit an diesen Ratschlag Hammurabis gehalten. Vorige Woche aber ließ er seine Truppen auf iranisches Gebiet losmarschieren

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Der Krieg zwischen dem Iran und dem Irak kam nicht aus heiterem Himmel. Schon kurz nach dem Sturz des Schah und der Machtübernahme des Ayatollah Chomeini zogen Gewitterwolken zwischen den beiden Staaten auf. Die persischen Mullahs versuchten, ihre „islamische Revolution" auch in den Irak zu exportieren, wo die Muslime schiitischen Glaubens die Mehrheit der zwölf Millionen Einwohner ausmachen.

Bagdad seinerseits stachelte die kurdische Minderheit sowie die Araber in der persischen ölprovinz Khusistan auf, ermunterte und unterstützte sie in ihrem Untergrundkampf gegen die Zentralregierung in Teheran.

Sowohl das progressistische, säkular und panarabisch ausgerichtete Regime in Bagdaa wie die radikal-muslimischen Machthaber in Teheran und Quom rund um Ayatollah Chomeini gerieten so zunehmend unter Druck. Nicht nur der Propagandakrieg wurde immer heißer. Heißer wurde der Konflikt auch an der 1200 Kilometerlangen iranisch-irakischen Grenze, wo aus Grenzscharmützeln regelrechte Gefechte zu Boden und in der Luft wurden.

Es war deshalb nur eine Frage der Zeit, bis der Konflikt zu einer kriegerischen Auseinandersetzung im großen Stil ausarten würde. Vorige Woche gab der irakische Staatschef Saddam Hussein seinen Streitkräften schließlich grünes Licht für einen Angriff auf den Iran, nachdem er zuvor den Grenzvertrag aufgekündigt hatte, den er imFrühjahr 1975 persönlich mit Schah Reza Pahlevi in Algier ausgehandelt hatte.

Begründung Saddam Husseins für diesen Schritt: „Andauernde Verletzung des Vertrages durch die Machthaber in Teheran" und „Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Iraks".

„Unser Beschluß lautet nicht auf Krieg", zitierte die irakische Propagandamaschinerie immer wieder ihren Staatspräsidenten, „wir haben jedoch den Beschluß gefaßt, daß wir jeden Handbreit von den Persern besetzten irakischen Boden zurückgewinnen wollen. Wir begehren kein iranisches Land."

Historischer arabischer beziehungsweise irakischer Boden aber ist nach Auslegung der in Bagdad regierenden Baath-Partei (siehe Stichwort, Seite 2) auch die persische ölprovinz Khusi-stan, in die die irakischen Streitkräfte vergangene Woche in breiter Front eingerückt sind. In der irakischen Sprachregelung wird dieses ölreiche Gebiet nur „Arabistan" („Land der Araber") genannt.

Tatsächlich wurde diese Provinz noch in unserem Jahrhundert vom arabischen Scheich Khazzal regiert, ehe Reza Schah, der Vater Schah Reza Pahlevis, in den zwanziger Jahren iranische Truppen in das bis dahin autonome Gebiet schickte, den Scheich absetzte und „Khusistan" dem Iran einverleibte. Noch heute lebt dort eine starke arabische Bevölkerungsgruppe, die ihrem Unmut über die Teheraner Zentralregierung mit Aufständen, Demonstrationen und Terroranschlägen immer wieder Luft gemacht hat.

Umstritten zwischen den beiden Kampfhähnen sind außerdem die an strategisch wichtiger Stelle im Persischen Golf gelegenen Inseln Abu Musa und Klein- sowie Groß-Tumb (siehe Karte). 1971 hatte der Schah die drei zum Territorium der Vereinigten Arabischen Emirate gehörenden Inseln von seinen Truppen besetzen lassen, nachdem sich die Briten von ihnen zurückgezogen hatten.

Auch sie will Bagdad wieder in arabischen Händen sehen, ebenso wie es nach der Kündigung des Grenzvertrages wieder die volle Souveränität über beide Ufer des Schatt el Arab für sich beansprucht.

Und das sind denn auch die bisher bekannten Bedingungen Bagdads für eine Feuereinstellung: Der Iran müsse die laut Verträgen vereinbarten Grenzen anerkennen, die irakische Souveränität über den Schatt el Arab zusichern und die drei Inseln zurückgeben.

Bedingungen, denen Teheran wohl kaum zustimmen wird, will das Mullah-Regime nicht sein Gesicht vor der persischen Bevölkerung völlig verlieren. Denn vordergründig mag es in diesem Konflikt zwar um territoriale Streitpunkte gehen, dahinter stecken aber sehr wohl auch sektiererische, nationale und rein machtpolitische Motive.

Der religiöse Aspekt wurde eingangs schon angeschnitten. Für die islamischen Eiferer in Teheran sind die irakischen Baathisten „gottlose Teufel", und in diesem Sinne versuchten die Propagandisten der Revolution Chomei-nis, die schiitischen Moslems in Irak zum Sturz der Regierung in Bagdad anzustacheln.

Außerdem: Die Schaltstellen der Macht in Bagdad, der Staats-, Regie-rungs- und Parteiapparat sowie die Armee, sind überproportional von Sunniten besetzt. Die sunnitische Glaubensrichtung aber ist für die persischen Ayatollahs schiitischen Glaubens eine tausendjährige Verirrung.

Was die persischen Mullahs Ubersahen: Für einen Sturz des Baath-Regi-mes, für eine schiitische Revolution in Irak waren kaum jene Bedingungen vorhanden, wie sie die langjährige Herrschaft des Schah im Iran geschaffen hatte.

Dennoch: Das irakische Regime fühlte sich durch die Propaganda von jenseits der Grenze verunsichert, sah in ihr zumindest eine Verletzung des Geistes des Vertrages von Algier, in dem die „Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des Iraks" festgehalten ist.

Das nationale Motiv des irakisch-iranischen Konfliktes ist die tiefwurzelnde Animosität zwischen Persern und Arabern. Saddam Hussein selbst spielte darauf an, als er nach einem versuchten Attentat auf seinen Vizepremier Tarik Asis wütend erklärte: „Dieser perfide Angriff ist das Werk von Feiglingen, die Rache für Kadesija nehmen wollen."

Kadesija ist Schauplatz jener Entscheidungsschlacht, in der 633 n. Chr. arabische Truppen den letzten König des altpersischen Sassaniden-Reiches bezwangen. Rudolf Chimelli, Nahostkorrespondent der „Süddeutschen Zeitung", kommentierte mit Bezug auf dieses Ereignis:

„Diese Niederlage haben die Perser seelisch bis heute nicht verwunden. Daß sie von Arabern geschlagen wurden, von verachteten ,Heuschreckenessern' die aus der mesopotamischen Tiefebene des heutigen Irak kamen, ist den Bewohnern des iranischen Hochlandes ein Stachel des historischen Bewußtseins geblieben."

Falsch kalkuliert könnten insofern auch die Irakis haben, als sie angesichts des innenpolitischen Chaos, der außenpolitischen Isolierung und der durch die revolutionären Wirren immer mehr auseinanderfallenden iranischen Streitkräfte den Angriff auf ihr östliches Nachbarland wagten, um den Mullahs das Messer an die Brust zu setzen und so - zumindest indirekt - den Sturz Chomeinis herbeizuführen.

Denn mit ihrem Einmarsch in die ölprovinz Khusistan - die gewissermaßen den Lebensnerv des iranischen Staates darstellt, - könnten sie genau das Gegenteil von dem bewirken, was sie anstreben: eine Solidarisierung der Perser mit dem religiösen Regime in Teheran und in der Folge eine Stärkung der Position der Mullahs.

Schließlich hat die Bedrohung von außerhalb nicht zum ersten Mal ein scheinbar erfolgloses Revolutionsregime unerwartet gestärkt und gefestigt - siehe die Französische Revolution, siehe die bolschewistische Revolution in Rußland.

Der machtpolitische Hintergrund des Konflikts ist der Kampf um die Vorherrschaft am Golf. Chomeini hat unverhohlen Anspruch auf die Rolle des „Polizisten am Golf' erhoben, die zuvor der von ihm gestürzte Schah ausgeübt hatte. Wie zu Zeiten Reza Pahlevis führte die iranische Marine im vergangenen Jahr Großmanöver im Persischen Golf durch - wohl auch, um den Arabern militärische Macht zu demonstrieren.

Freilich aber war denen nicht entgangen, daß die iranischep Streitkräfte bei ihren Übungen nur mehr einen Schatten ihrer einstigen Stärke darstellten. Und da hatte das Baath-Regime in Bagdad auch schon seine Stunde kommen sehen, seinen Anspruch auf die Rolle des Golf-Polizisten ebenfalls anzumelden, zumal es auch das militärische Potential dafür zu haben glaubt.

Durch eine geschickte Außenpolitik versuchte Saddam Hussein, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Nachdem Bagdad die sowjetisch-irakischen Beziehungen abkühlen hatte lassen, kam es zu einer Annäherung an Saudiarabien, Jordanien und die anderen arabischen Golfstaaten.

Gleichzeitig kam es aber auch zu einer Verschlechterung der Beziehungen mit Syrien, das sich in letzter Zeit immer mehr in die Abhängigkeit Moskaus treiben ließ, (übrigens unterhält Syrien sehr gute Beziehungen zu den Mullahs in Teheran, was bei einem länger andauernden irakisch-iranischen Konflikt noch von einiger Bedeutung sein könnte.)

Jedenfalls: Saddam Hussein pokert in diesem Krieg ungewöhnlich hoch.Geht er als Sieger in diesem Konflikt hervor, wird er wohl nicht nur die Rolle des Golf-Polizisten übernehmen, sondern auch Anspruch auf die Führerschaft innerhalb der arabischen Welt erheben. Dieser „Posten" ist seit Sa-dats Separatfrieden mit Israel vakant.

Schwer zu sagen, ob aber auch ein bedeutender militärischer Erfolg den Irakis, auf lange Sicht gesehen, entscheidende politische und strategische Vorteile brächte. Die Perser würden im Falle einer militärischen Niederlage den Kampf gegen die arabischen Aggressoren kaum ohne weiteres aufgeben, der Irak hätte an seiner Ostgrenze wohl ständig Schwierigkeiten und könnte sich wahrscheinlich nur schwerlich seinen Aufgaben als arabische Führungsmacht widmen.

Geht dieser Krieg für den Irak überhaupt schlecht aus, dürften die Baathisten ihre Rolle als treibende Kraft der (vor allem gegen Israel gerichteten) „arabischen Sache" ausgespielt haben. Und Saddam Hussein würde wohl als ein ungelehriger Schüler des babylonischen „Lehrmeisters" Hammurabi in die Geschichte eingehen ...

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