Elend im Petrodollar-Meer

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Nach außen hin gibt sich der Iran stark, bagatellisiert die EU-Sanktionen - doch unter der Oberfläche gärt die Unzufriedenheit über den Präsidenten.

Frauen, eingehüllt vom Scheitel bis zu den Zehen in ihre schwarzen Schadors, hocken auf den Hauptplätzen der iranischen Hauptstadt. Es ist ein neues Bild in Teheran: Arbeitslose Iranerinnen, die alles feilbieten, was sie nur auftreiben können: Socken, Haarspangen, einzelne Zigaretten … - wie sie dasitzen und auf einen Käufer hoffen. Gleichzeitig sind sie auf der Hut, um rechtzeitig das Herannahen der Staatssicherheits-Beamten zu erkennen, die solche Zeugnisse des Elends im "Gottesstaat" nicht dulden, die diese Frauen im besten Fall verjagen, häufig aber ins nächste Gefängnis schleppen.

Die "Islamische Republik", auf dem Weg zur regionalen Großmacht, der Welt mit ihrer Entschlossenheit zum Erwerb von Atomtechnologie (und -waffen?) trotzend, ist bis ins tiefste Innere morsch und krank. Das neue persische Reich, das die islamischen Geistlichen aufzubauen versuchen, gleicht nach den Worten eines regionalen Experten in Wahrheit einer "verwundeten Bestie". Eben haben die Europäer unter US-Druck ihre Sanktionen verschärft und wollen die Schraube, gemeinsam mit Washington, noch fester ziehen. Doch das Regime lenkt nicht ein. Ein Stopp der vom Westen geforderten Urananreicherung steht nicht zur Diskussion, auch wenn man über ein "Anreizpaket" der Europäischen Union verhandeln will.

Not wie im Krieg gegen Irak

Während brütende Hitze über das Land zieht, dreht die Regierung täglich vier Stunden lang den Strom ab. Monatelange Trockenheit hat die Produktion in den Wasserkraftwerken drastisch reduziert. "Seit dem Krieg gegen den Irak (1980 bis 1988, Anm.) erlebten wir nicht solche Nöte", klagt eine Hausfrau: "Tomaten kosten nun so viel, dass wir uns stolz mit ihnen fotografieren lassen. Sie haben die Bananen als kostbarste Frucht abgelöst", meint die Iranerin sarkastisch. Umgerechnet zahlt man heute zwei Euro für ein Kilo dieser Alltagsnahrung, während eine Arbeiterfamilie im Schnitt mit 80 Euro im Monat auskommen muss. Selbst lebenswichtige Güter sind für die Masse unerschwinglich geworden. Preise für Reis und Tee stiegen in den vergangenen Monaten um 300 bis 700, Wohnungsmieten in Teheran um rund 250 Prozent. Wie Haushalte in dieser Situation und ohne Konsumentenkredite überleben können, ist ein Rätsel. Laut Zentralbank liegen die Ausgaben einer Durchschnittsfamilie für Miete und Grundnahrungsmittel um zehn Prozent über deren Einnahmen.

Benzin-Schwarzmarkt blüht

Experten klagen über einen Mangel an drei Millionen Wohnungen in Teheran. Allein in der Hauptstadt hausen an die dreieinhalb Millionen Menschen in Slums. Insgesamt leben heute mehr als zehn Millionen Menschen im Iran unter der Armutsgrenze. Der Schwarzmarkthandel mit Benzin blüht - und das im Ölstaat Iran! Benzin ist rationiert, weil neue Raffinerien nur auf dem Reißbrett entstehen

Vielen Frauen bietet sich allein die Prostitution als Ausweg aus ihrer wirtschaftlichen Misere. "Frauen sind heute in unserem Gottesstaat nach Öl das wichtigste Exportgut", bemerkt ein Intellektueller. Allein in Teheran sollen sich an die 300.000 Iranerinnen durch dieses verbotene Gewerbe das Überleben sichern. Genaue Zahlen kennt niemand. Das Ausmaß des Problems lässt sich nur durch ausländische Statistiken abschätzen. So machen nach einer EU-Statistik Iranerinnen zehn bis 15 Prozent der Prostituierten in Belgien, den Niederlanden und in Italien aus. Erstes Ziel dieser verzweifelten Frauen sind aber die Superreichen in Dubai oder Japan.

"Was können wir nur tun? Wir sitzen so tief im Sumpf und keiner zeigt uns einen Ausweg. Wenn es uns schon so schlecht geht, was soll dann erst aus unseren Kindern werden", klagt eine dieser Unglücklichen. Und die Polizei "steckt mitten drin", fährt die junge Frau fort. "Wenn sie ausgerissene Mädchen in den Straßen verhaften, dann schlafen sie erst einmal mit ihnen, bevor sie sie aufs Revier bringen. Kein Wunder, dass die Selbstmordrate unter iranischen Frauen einen Weltrekord erreicht.

Nr. 1 im Drogenmissbrauch

Auch über den Drogenmissbrauch sehen Irans Polizisten und Sittenwächter hinweg. "Die junge Generation soll damit ruhig gestellt werden, damit sie sich nicht auflehnt", sagt eine Studentin. Unter den Augen der Mullahs ist der Iran Rekordhalter im Drogenkonsum geworden. Ein Schuss Heroin kostet nicht mehr als eine Schachtel Zigaretten: "Der Rausch lässt das Elend in diesem Meer von Petrodollar vergessen."

All diese Not drei Jahre, nachdem die Iraner den unbekannten Populisten Mahmoud Ahmadinedschad zu ihrem Präsidenten gewählt haben, weil er ihnen versprochen hat, Petrodollar auf die Tische der Armen zu bringen und der Ölmafia zu Leibe zu rücken. All dies zu einer Zeit in der die Islamische Republik, dank des hohen Weltmarktpreises, Rekorderträge aus dem Ölexport erzielt.

Doch was ist mit den 35 Milliarden Dollar geschehen, die nach einem Bericht der Shabab News aus der offiziellen Bilanz des vergangenen Finanzjahres verschwunden sind? Längst ist bekannt, dass ein großer Teil dieses Geldes seinen Weg in Banken nach Dubai und Japan gefunden hat. In Dubai haben sich die Profiteure des Regimes, darunter einflussreichste Geistliche, einen sicheren Hafen eingerichtet, sollte über den Iran von innen oder von außen die Katastrophe hereinbrechen. 350.000 Iraner sind in Dubai gemeldet, 8200 iranische Firmen haben dort ihren Sitz.

Nirgends sonst wo lässt sich gestohlenes Volksvermögen so problemlos anlegen. "Man erscheint einfach bei einer Bank in Dubai mit einem Koffer von 300 Millionen Dollar oder mehr. Er wird akzeptiert ohne Fragen, ohne Probleme", erläutert ein Diplomat die Praxis, der auch starker US-Druck bis heute nichts anhaben konnte. Zugleich nutzen die Iraner auch problemlos Investmentfonds in Steuerhäfen. Iran wolle, so jüngste Gerüchte, einen 90-Milliarden-Dollar-Fonds im "Dubai Financial International Center" eröffnen. Und China will am Persischen Golf eine Freihandelszone einrichten, die vor allem iranischen Kunden dienen soll.

Sicherer Häfen für Profiteure

So haben die Herrscher des "Gottesstaates" längst Wege gefunden, wie sie Sanktionen der Europäer und Amerikaner umgehen können. "Das Regime schmerzen solche Maßnahmen nicht", stellt ein Teheraner Ökonom klar. Hauptopfer dieser Sanktionen, erdacht, um einen Stopp des Atomprogramms zu erwirken, sind private Geschäftsleute. Alle jene, die auf Importe von Rohmaterialien und Maschinen angewiesen sind. Sie und das einfache Volk leiden unter den internationalen Strafmaßnahmen - all jene, die keinerlei Einfluss auf die Politik des Staates haben. "Der Staat profitiert sogar von den Sanktionen", klagt ein Geschäftsmann. Denn die Staatsfirmen mit ihrem offenen Zugang zum Ölgeld brauchen keine Konkurrenz der dahinsiechenden Privatwirtschaft mehr fürchten. Zudem bieten die Sanktionen Ahmadinedschad die Möglichkeit, der internationalen Gemeinschaft die Schuld an der dramatisch wachsenden Not im Lande zuzuschieben.

Kritik aus höchsten Kreisen

Doch viele Iraner lassen sich nicht täuschen. Viele begreifen längst, dass Misswirtschaft, das Fehlen ökonomischer Strategien, Inkompetenz und Korruption die Hauptursachen der Krise sind, die dem Iran nur eines von zwei Schicksalen offen lassen: Das System wird von Fäule zersetzt. Es muss entweder zusammenbrechen oder - durch militärische Abenteuer - ausbrechen.

Unterdessen wächst von allen Seiten die Kritik an der Regierung. Ex-Präsident Rafsandschani betont in der Zeitung Etemad-e Melli: "Irans Wirtschaft kann sich nicht auf eine Politik stützen, die zu Massenarmut führt." Erstmals prangert damit auch ein prominentes Mitglied des innersten Kreises im Regime die Korruption an. Abbas Palizdar, der einem juridischen Parlaments-Komitee angehört, wirft führenden Politikern Veruntreuung von Staatsgeldern in Millionenhöhe vor. Und auch im engsten Kreis um den Präsidenten bildet sich eine kritische Front: Ahmadinedschad hat bereits die Hälfte seines Kabinetts verloren.

Auch unter der Bevölkerung zeigt sich der Unmut immer offener. Von den Medien weitgehend ignoriert, werden dennoch fast täglich Protestaktionen bekannt. Die Regierung reagiert mit Härte gegen alle Aktivitäten der Zivilgesellschaft, die sie weit mehr fürchtet als die internationale Sanktionen. "Seit sich die internationale Gemeinschaft auf das Atomprogramm konzentriert verschlimmert sich die Menschenrechtslage mit jedem Tag", klagt die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi. In Teheran haben die Behörden nicht nur ihr massives Vorgehen gegen Hooligans - Hauptopfer sind unschuldige Jugendliche - angekündigt, sondern auch "Kontrollen" von Büros und Privatwohnungen. "Doch", so die trotz regelmäßiger Todesdrohungen immer noch nicht zermürbte Menschenrechtsaktivistin Ebadi: "Unser Kampf geht weiter."

Die Autorin ist Nahost-Korrespondentin.

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